Mozarts Oper aller Opern wurde in Romeo Castelluccis bildgewaltiger Inszenierung bei den Salzburger Festspielen wiederaufgenommen: Maestro Currentzis überrascht bei dieser ersten szenischen Opernaufführung des Sommers mit Langsamkeit.
Während Jedermann vor dem Dom seine Werke zusammenklaubt, lässt Romeo Castellucci Don Giovanni im Festspielhaus alles Göttliche aus seiner Breitwandkirche räumen. Christus darf gehen, statt der Liebe zieht Teufel Eros in der Gestalt von Mozarts Wüstling ein. Die Festspiele haben ihre Produktion von 2021 aus dem Fundus gefischt.
Theaterstar Castellucci befüllt erneut und dezent überarbeitet seine strahlend weiße Kathedrale der Lust mit Dingen und Tieren: Ein Auto schwebt vom Schnürboden herab, ein Klavier kracht aus dem Bühnenhimmel, der Ziegenbock rennt wieder durchs Bild und Ottavio führt seinen Königspudel Äußerln.
Zerlina muss Giovanni im „Reich mir die Hand“-Duett gleich den ganzen Körper geben – für ein Bondage-Spielchen. Elvira ist ganz Mama mit zwei kleinen Giovannis im Gepäck.Donna Anna steht stoisch in der Kulisse, die sich bald zwischen weißen Wallegardinen, Nebel und Gaze-Vorhängen aufzulösen scheint. Bis die Frauen in fleischfarbenen Negligés wie Seeanemonen wabernd Don Giovanni die Wol- und Lebenslust aussaugen. Aber der vertschüsst sich in der Höllenfahrt ohnehin, beschmiert sich am Boden zuckend mit weißer Farbe, löst sich quasi in seiner Lust-Hölle auf.
Man kann das als genialisches Assoziationsgewitter verstehen, oder doch nur als eitel verrätselte Bilderorgie zwischen Manierismus und Kitsch. In jedem Fall dünnt Castelluccis Interpretationskraft noch im Laufe des ersten Aktes gehörig aus. Da wäre die viel beschworene musikalische Potenz von Teodor Currentzis im Orchestergraben gefragt. Doch der ziert sich diesmal als Motor. Spannungsarm und grausam langatmig schleppt er Mozarts Helden am Pult des klanglich höchst unauffälligen Utopia Orchesters ins Verderben.
Kein leichter Stand für die Sänger, wenngleich Davide Luciano als Giovanni wieder das virile Kraftzentrum ist. Der Leporello von Kyle Ketelsen muss sich da als ergebener Diener hinter ihm anstellen. Julian Prégardiens Ottavio schlägt sich nobel, bis er sich in „Il mio tesoro“ mit absurden Verzierungen als Schmalspur-Titus zum Affen machen muss.
Anna El-Khashem trällert putzig die Zerlina, während Federica Lombardi ihre Elvira viel mit Überdruck befrachtet. Nadeszhda Pavlovas kriecht einem als Donna Anna mit angeschliffenen Tönen ins Gehör und macht ihre letzte Arie zur grotesken Belcanto-Nummer. Unter Currentzis ist wohl alles möglich, wie der ergebene Jubel beweist.
Bewegende Momente mit Herbert Blomstedt
Wahre Größe atmeten tags zuvor Mendelssohns „Lobgesang“ und das „Schicksalslied“ von Brahms. Der 97-jährige Herbert Blomstedt sorgte gemeinsam mit den großartigen Wiener Philharmonikern und dem wunderbaren Wiener Singverein für eine tief zu Herzen gehende Weihestunde.
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