Die jahrelang umtriebigen Retro-Rocker Blues Pills gönnten sich zuletzt eine notwendige Kreativpause und begrüßten erweitert ein neues Familienmitglied. Das vierte Studioalbum „Birthday“ ist somit auch eine Abkehr vom Gewohnten und ein mutiger Sprung in massentauglichere Gefilde, der für Diskussionen sorgt.
Anfang der 2010er-Jahre formierten sich von Norddeutschland bis hinauf in die norwegischen Bergspitzen relativ unabhängig voneinander zahlreiche Rockbands, die eine prägende Retro-Welle lostraten und der handgemachten Gitarrenmusik zumindest in europäischen Gefilden zu einer erklecklichen Popularität verhalfen. Das mochte vielleicht nicht für die überdimensionierten Stadthallen der jeweiligen Metropolen gelten, amtliche Festivalslots oder prestigeträchtige Open-Air-Auftritte waren aber allemal möglich. Bands wie Graveyard, die Truckfighters, Kadavar, Horisont, Greenleaf, The Vintage Caravan oder die Blues Pills huldigten ein bisschen dem Funk, ein bisschen dem Soul und überdimensional dem Blues und psychedelischen 70er-Jahre Schrägschattierungen. Vor allem Letztgenannte zogen quasi über Nacht in den Hard-Rock-Himmel ein und waren ein paar Jahre ohne Unterlass auf Tour.
Erfolg über Nacht
Der Hauptgrund für den ausufernden Erfolg der Blues Pills ist Sängerin Elin Larsson. Die gebürtige Schwedin lernte ihre Kollegen (heute ist nur noch Gitarrist und Lebenspartner Zack Anderson übrig) 2011 in Kalifornien kennen und wie es eine richtig gute Nomaden-Rock’n’Roll-Geschichte so will, fügte sich alles zum perfekten Ganzen. Die Kurzversion zur Erinnerung oder Orientierung noch einmal kurz ausgerollt: Erster Zusammenschluss 2011 und Umzug nach Schweden. Über YouTube-Videos gibt es Tourangebote aus Spanien und einen ersten Underground-Plattenvertrag. Gigs beim renommierten Roadburn und dem Desertfest. Die Band schickt 2013 in naiver Hoffnung eine E-Mail an das Metal-Label Nuclear Blast und wird tatsächlich unter Vertrag genommen. Mit dem 2014 veröffentlichten Debütalbum „Blues Pills“ geht das skandinavische Quartett durch die Decke. Lobpreisungen in Genre-Magazinen, pausenloses Touring, Auftritte bei den größten Festivals, Prominenz.
In Österreich teilt man als Nachwuchsband damals etwa die Bühne mit CCRs John Fogerty und der leider schon verstorbenen Blues-Legende Johnny Winter. „Der Backstage-Bereich war nicht abgetrennt und wir saßen beim Essen direkt neben ihnen“, erinnert sich Anderson, „das war surreal und genial“. Mit „Lady In Gold“ und dem während der Pandemie verpufften Drittwerk „Holy Moly!“ folgten zwei in den Charts hoch notierte Alben, die den Status der Blues Pills als langwertige Erfolgskonstante im Gitarren-Genre festigte, aber auch erste, für viele gewöhnungsbedürftige, Veränderungen mit sich brachte. Nicht nur friedvoll verzogene Besetzungswechsel sorgten dafür, dass die ruppige Blues-Edge zunehmend von Soul, Motown und gesanglicher Inbrunst abgelöst wurde. Postergirl Larsson ist im Studio mit einem beneidenswerten Organ und auf der Bühne mit ansteckender Spielfreude ausgestattet. Ihre Mischung aus Talent, Einsatz und Charisma führte die Blues Pills in jene lichten Höhen, die heute nicht mehr so unerreicht weit entfernt wie früher wirken.
Doppelte Geburtsfreuden
Die Pandemie stellte auch für das Schweden-Gespann eine markante Zäsur dar. Der Retrorock-Hype flachte schon davor ab und holte die Blues Pills wieder auf den Boden der Tatsachen zurück. Die unzähligen Reisen und Touren nagten schlussendlich auch ein bisschen am Hausfrieden, weswegen diverse Personaladaptierungen und Auszeiten voneinander notwendig und erwünscht waren. Als sich das musizierende Personal schlussendlich wieder ans Songwriting machte, merkte Larsson ihre Schwangerschaft und kreierte instinktiv das zu dieser Lebensphase ideal passende Konzept: die Geburt. Einerseits die Geburt eines kleinen Jungen, der nicht nur beim Schreibprozess, sondern auch beim Einsingen von Larssons Vocal-Spuren im Studio stiller Beobachter war. Andererseits die Geburt von neuen Songs, einem vierten Studioalbum und einer merklichen Abkehr vom bisherigen Kurs.
Die Blues Pills haben sich mit BMG nicht nur eine neue Plattenfirma geangelt, sondern die Ausrichtung ihres Sounds auch deutlich verbreitert. Für „Birthday“ engagierte man niemand Geringeren als den international umtriebigen Freddy Alexander (Rihanna, The Chainsmokers) als Produzent und dessen Vita schreit nicht unbedingt vor naturbelassener Musikalität. Dementsprechend hatte er auch wenig Lust darauf, sich an die urigen Stoner- oder vernebelten Psychedelic-Rock-Spuren der Vergangenheit zu lehnen, sondern zentrierte den Erfolgsfaktor der Band, Larssons voluminöses Gesangsorgan, so markant, dass man zuweilen fast schon von einer mit Hintergrundmusik verstärkten Solo-Performance sprechen kann. Wer sich mit dem Titeltrack, „Top Of The Sky“ oder vor allem der Single „Piggyback Ride“ befasst, braucht ein gehöriges Toleranzlevel, um sich der Nähe zu seiner Band sicher zu bleiben.
(R)evolution klingt anders
Nicht nur die überkandidelte Produktion sorgt für den einen oder anderen Aha-Moment, auch die immens massentaugliche Pop-Kante von mindestens der Hälfte der Songs wird einen erklecklichen Teil der Blues Pills-Old-School-Fans möglicherweise in andere, noch unverbrauchte offene Arme treiben. Doch dann gibt es natürlich auch wieder die Momente, die man nur von der Combo aus Örebro bekommt. Die stimmliche Nähe von Larsson zu Aretha Franklin in „Don’t You Love It“, die herzhafte Blues-Rückbesinnung in „Somebody Better“ (Album-Highlight) oder die nonchalante Art und Weise, sich musikalisch zwischen alle Stühle zu setzen („What Has This Life Done To You“). Larssons Schwangerschaftsprozess und Mutterschaft dürfte zu einer gewissen Milde geführt haben, doch zum großen Wurf wird „Birthday“ durch das Abschleifen aller sperrigen Kanten nicht. (R)evolution klingt anders.
Live in der Szene Wien
Mit dem neuen Album „Birthday“ und den Hits aus zehn erfolgreichen Jahren Bandgeschichte kommen die Blues Pills nach längerer Pause auch wieder zu uns. Am 4. Dezember konzertieren sie in der Szene Wien. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und weitere Informationen zum Gig.
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