Die Geschlechtsfrage

„Katastrophe! Frauen müssten sich ja querlegen“

Olympia
31.07.2024 13:37

„Das ist für den Sport eine Katastrophe, eine Riesenfrechheit!“ Marcos Nader, viele Jahre Österreichs Boxsport-Aushängeschild, fährt die verbale Gerade aus. Dass „Männer“ weiblich genug für olympisches Boxen sind, wertet er als Tiefschlag für seinen Sport. Weltmeisterin Michaela Kotaskova hätte sogar den Kampf verweigert.

Prophylaktisch zieht er die argumentative Deckung doch hoch. „Ich bin wirklich der toleranteste Mensch“, ist Marcos Nader bemüht, sich nicht als potenzielle Shitstorm-Projektionsfläche zu inszenieren. Dann aber geht er doch in die Offensive. „Die Entscheidung ist doch kompletter Schwachsinn, eine Riesenfrechheit. Wir sprechen hier nicht etwa von Langstreckenlauf, sondern von einer Kampfsportart. Da hat ein Mann natürlich einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil gegenüber einer Frau. Das ist auch nicht schönzureden. Da müssten sich ja die Frauen querlegen.“

Für WM zu männlich, für Olympia weiblich genug
Botschaft angekommen. Aber der Reihe nach. Wie berichtet, sind in Paris mit Imane Khelif aus Algerien und Lin Yu-ting aus Taiwan zwei Frauen am Start, die vor einem Jahr bei der WM noch gesperrt waren, weil der dort durchgeführte Geschlechtstest sie als (zu) männlich ausgewertet hatte: zu viel Testosteron und das XY-Chromosom. Warum sie ein Jahr später um olympisches Edelmetall kämpfen dürfen? Weiß so recht niemand. Das IOC veröffentlicht Ergebnisse des Geschlechtstests nicht.

Seither gehen die Wellen hoch und schwappen partiell sogar in die heimische Innenpolitik. „Wenn zwei Männer bei den Olympischen Spielen in Paris gegen Frauen in den Ring steigen dürfen, ist das ein weiterer Tiefschlag für jede Logik, Ernsthaftigkeit und Chancengleichheit im Sport“, faucht etwa Sportlandesrat Udo Landbauer.

Wesner: „Arzt soll’s beurteilen“
Die siebenfache Weltmeisterin Nicole Wesner, einer breiten Masse auch als ehemaliger „Dancing Star“ bekannt, geht’s diplomatischer an. „Der Grundgedanke des sportlichen Zweikampfes ist, dass zwei Personen ihre technischen und taktischen Fähigkeiten und Fertigkeiten messen unter gleichen Voraussetzungen“, sagt sie gegenüber krone.at. Ihr Lösungsvorschlag: „Ein Arzt sollte beurteilen, ob nach seiner medizinischen Sicht die gleichen Voraussetzungen gegeben sind.“

Nicole Wesner sieht die Entscheidungsbefugnis bei den Ärzten. (Bild: krone.at)
Nicole Wesner sieht die Entscheidungsbefugnis bei den Ärzten.

„Ich hätte Angst gehabt“
Österreichs aktuell heißestes Eisen im Frauenboxen ist Michaela Kotaskova. Mit dem Weltmeistertitel stieß sie sich die Tür in die ganz große Kampfsportwelt weit auf. Sie kennt die Algerierin Imane Khelif, die jetzt als Frau antritt, noch aus ihrer Zeit beim olympischen Boxen. „Sie hat damals schon ziemlich männlich gewirkt: breite Schultern, kampfstark“, erinnert sich Kotaskova. Auch ihre Meinung ist klar. „Khelif boxt in meiner Gewichtsklasse, also bis 66 Kilogramm. Wäre ich die Italienerin, die gegen sie antreten muss, hätte ich den Kampf verweigert. Ich hätte schlichtweg Angst gehabt. Der Vorteil durch das Testosteron ist enorm, die Chancengleichheit nicht gegeben.“

Wie das, wo es doch klar eingeteilte – und auch eindeutig überprüfbare – Gewichtsklassen gibt? Kotaskova klärt auf: „Eine jetzt ins Treffen geführte Studie besagt, dass ein Mann über 160 Prozent der Kraft verfügt, auf die es eine Frau im gleichen Alter, bei gleicher Größe, mit gleichem Gewicht bringt.“ Ihre Schlussfolgerung: „Dass Khelif bei den Frauen boxt, ist für den Sport nicht gut.“ Die Rede ist übrigens von dieser Person:

Und so kann es aussehen, wenn Khelif in die Vollen geht und die Gegnerin regelrecht „paniert“:

Weltmeisterin Kotaskova: „Ich hätte den Kampf verweigert.“ (Bild: instagram.com/boxteambounce)
Weltmeisterin Kotaskova: „Ich hätte den Kampf verweigert.“

„Außer die Frau dopt“
Hans Holdhaus Junior kennt die von Kotaskova erwähnte Studie nicht. Aus der Luft gegriffen erscheint ihm der 1,6er-Wert aber auch nicht. „Natürlich hat ein Mann aufgrund seiner Testosteronoption mehr Power als eine Frau“, sagt der Sportwissenschaftler, „und hat dadurch gegenüber der Frau einen Vorteil.“ Interessanter Nachsatz: „Außer, die Frau dopt und holt sich auf unnatürliche Weise das Testosteron in den Körper.“ Was in der Vergangenheit ja durchaus passiert sein soll. „Wir kennen ja die Bilder von den Frauen, die in der DDR unbewusst gedopt wurden. Diese Personen waren ja de facto Männer im Frauenkörper. Das Testosteron hatte damals und hat generell natürlich Auswirkung auf den Stoffwechsel und die Prägung der Muskulatur. Manchen dieser Frauen hat das auch das Leben gekostet.“

Sportwissenschaftler Hans Holdhaus, hier bei einer Aufzeichnung im krone.tv-Studio im Jahr 2022 (Bild: krone.tv)
Sportwissenschaftler Hans Holdhaus, hier bei einer Aufzeichnung im krone.tv-Studio im Jahr 2022

„Der Wandel ist da“
Zumindest davon ist bei Olympia aktuell gottlob keine Rede. Die Causa bleibt, zumal in seiner sich dauerwandelnden Zeit, dennoch komplex. Findet auch Virgina Ernst. Die Singer-Songwriterin geigte vor ihrer Musikkarriere als Eishockeyspielerin und kurvte und checkte sich gar bis zur Weltmeisterschaft. Sie verwertet den thematischen Assist hin zur Frau-Mann-Thematik gleich mannigfaltig. Zum einen familiär. „Wir haben in der Familie einen Fall, in dem es Anpassungen von Mann zu Frau gab.“ Also ähnlich wie bei den Boxerinnen Khelif und Yu-ting, die sich als Transgender-Personen etikettieren. Ernst weiß zu berichten: „Sich die Kraft anzueignen, ist bei Anpassungen von Frau zu Mann einfacher, als die Kraft abzubauen, wenn die Anpassung von Mann zu Frau erfolgt. Auch die Stimme bleibt tief. Insofern ist der Testosteron-bedingte Vorteil beim Boxen vorhanden und es für die Kontrahentinnen unfair, gegen einen ‘früheren Mann‘ zu boxen. Andererseits ist der Wandel jetzt einfach da. Viele Menschen wollen sich nicht als Frau oder Mann identifizieren, es muss früher oder später eine Kategorie geschaffen werden, in der Menschen wettkämpfen, die weder männlich noch weiblich sind. Das sollte aber normal sein und nicht spezifisch benannt werden. Auch wenn der biologische Vorteil da ist, kannst du Leute nicht disqualifizieren, weil sie sich einem anderen Geschlecht zugehörig fühlen. Du musst ihnen die Chance geben, sich im Sport wohlzufühlen, wenn sie gut sind.“ Am besten in einer eigenen Kategorie, zumal die Subkategorisierung der Gesellschaft ohnehin Fahrt aufnimmt, meint Ernst.

Virigina Ernst sieht den Wandel kommen. Früher oder später müsse die Gesellschaft ihm Rechnung tragen. (Bild: krone.tv)
Virigina Ernst sieht den Wandel kommen. Früher oder später müsse die Gesellschaft ihm Rechnung tragen.

Die Ähnliches in der Musik erlebt hat. 2014 war sie beim Amadeus Austrian Music Award mit Conchita Wurst in dergleichen Kategorie, nämlich der besten Künstlerin, nominiert. Auch nicht hundertprozentig fair, meint Ernst, „der Tom lebt ja im zivilen Leben als Mann“. Ihr Lösungsansatz in der Musik wie im Sport: eine Kategorie für Menschen, die geschlechterspezifisch nicht zuordenbar sind. „Das ist ein verdammt schwieriges Thema, weil die Menschheit dazu neigt, in Schubladen zu denken.“ Die Zeit der Mann-Frau-Schubladisierung sei nur eben im Aufbrechen begriffen.

Nicole Wesner bringt die Angelegenheit – zumal die Frage des Hormonstatus ja eine sehr komplexe sein kann – prägnant auf den Punkt: „Sind das wirklich die gleichen Voraussetzungen, wenn eine Person mit XX-Chromosom gegen eine Person mit XY antritt?“ Gute Frage.

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