Es ist ein ordentliches Brett, das Frail Body mit ihrem jüngsten Album „Artificial Bouquet“ abgeliefert hat: Das US-Trio kombiniert darauf harsche, dem Noise entliehene Sounds mit höchst persönlichen Texten über Trauer und Verlust. Jüngst begeisterte die Band um Sänger und Gitarrist Lowell Shaffer damit in der Szene Wien als Vorband von Baroness.
Dabei war die Geburt des Zweitlings keine einfache Angelegenheit, fiel die Entstehungszeit doch in die Coronapandemie. „Wir alle haben damals unsere Jobs verloren“, erinnerte sich Shaffer im APA-Gespräch. „Was also tun? Letztlich trafen wir uns fünfmal die Woche im Proberaum und haben an neuer Musik gearbeitet. Sie wurde zu unserem Job.“ Davor war man eigentlich auf Tour zum Debüt „A Brief Memoriam“, doch ein US-Bundesstaat nach dem anderen rief den Lockdown aus. „Ich werde nie vergessen, als wir zurück nach Rockford kamen“, erzählte der studierte Sozialarbeiter. „Unsere Heimatstadt hat grob 200.000 Einwohner, aber die Straßen waren wie leer gefegt. Es war eine Geisterstadt.“
Scharfe Politkritik
All die Energie, die bei Shaffer und seinen Kollegen Nic Kuczynski (Bass) und Nicholas Clemenson (Drums) damals vorherrschte, drohte zu verpuffen. „Wir waren sauer, weil uns die Möglichkeit genommen wurde, diese Songs zu präsentieren. Dieses Fenster hat sich aufgrund äußerer Umstände geschlossen – und auch wegen der Inkompetenz unserer Regierung.“ Nicht zuletzt deshalb finden sich auf der neuen Platte mit Songs wie dem bitterbösen „Scaffolding“ auch betont politische Inhalte, die sich kritisch mit den USA auseinandersetzen. „Das ist quasi unser Mittelfinger für all die Dinge, die schiefgelaufen sind“, unterstrich Shaffer.
Denn die Band machte natürlich trotz der Umstände weiter. „Es ist rückblickend ein Wunder, dass wir uns nicht aufgelöst haben. Wir dachten uns aber: Egal, wir dürfen nicht locker lassen! Irgendwann wird sich dieser Scheiß wieder legen.“ Eine durch die Maskenpflicht erschwerte Aufnahme später war „Artificial Bouquet“ dann im Kasten – und ein neues Kapitel der Bandgeschichte aufgeschlagen. Wo die früheren Stücke noch eher im Screamo zu verorten sind, atmet das neue Werk ein gebührendes Maß an Black-Metal-Unberechenbarkeit sowie die Kraft des Post Rock. „Wir wollten die Intensität raufschrauben und zeigen, wozu wir fähig sind.“
Starker Tobak in den Texten
Und das ist einiges: Der Schnellschuss „Berth“ macht in weniger als zwei Minuten keine Gefangenen, andererseits sind Lieder wie das auch live ungemein mitreißende „Devotion“ deutlich dynamischer gelungen, heben teils von einem ambientartigen Ruhepol aus an, um innerhalb weniger Takte den großen, wütenden Ausbruch zu wagen. Entsprechend ruppig präsentiert sich teils Shaffers Gitarrenspiel, während Kuczynski immer wieder mit prägnanten Basspartien aufwartet und sich Clemenson die Seele aus dem Leib trommelt. Eine passende Umsetzung für die zentralen Inhalte, die Shaffer nun schon seit mehreren Jahren beschäftigen. Denn der Sänger und Texter hat sich in seinen Songs vielfach mit dem Tod seiner Mutter auseinandergesetzt.
„Es war anfangs schwer, bei diesen Liedern im Performance-Modus zu bleiben. Es gab Momente bei Konzerten, in denen ich ziemlich neben mir stand“, erinnerte sich Shaffer. „Dann habe ich es einfach zugelassen, diesen Gefühlen zu folgen, um dem Ausdruck der Songs besser zu entsprechen.“ Grundsätzlich sei der Umgang mit diesem Thema eine stete Entwicklung. „Erst kürzlich war der sechste Todestag meiner Mutter, aber es geht mir mittlerweile viel besser. Ich bin verheiratet, möchte eine Familie gründen, befinde mich an einem besseren Ort und kann offen über diese Dinge sprechen.“
Ehrlichkeit in der Kunst
Zusätzlich habe er erkannt, was die Band mit ihrer Musik bewirken könne. „War es zunächst eine selbstsüchtige Form der Therapie, werden meine Texte jetzt auch von anderen Leuten interpretiert und gefühlt. Sie kommen nach den Konzerten zu uns und erzählen aus ihrem Leben.“ Wobei gesagt werden muss: Das Textblatt zur Hand zu nehmen, schadet dem Verständnis nicht, ist Shaffer doch den größten Teil der Zeit heftigst schreiend unterwegs. Ungeachtet dessen fühle er sich glücklich, in seiner Kunst eine Ehrlichkeit an den Tag legen zu können, „die die Songs auch beschützt. Am Ende des Tages stimmt es nämlich, was ich singe.“ Parallel zum Schreibprozess habe er so einen Heilungsprozess durchlaufen. „Jetzt ist es möglich für mich jemanden zu umarmen und zu sagen: Ich weiß, was du gerade durchmachst.“
APA/Christoph Griessner
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