Große Geld bleibt aus

Fall Leon: Freispruch für Papa und was nun?

Gericht
02.08.2024 19:30

Leons Papa ist unschuldig, urteilten die Geschworenen. Die Indizien haben für die Laienrichter nicht bewiesen, dass der 40-Jährige seinen sechsjährigen Sohn ertränkt hatte – Zeugen, Gutachten und Co. waren teils nicht eindeutig. Die verlorenen 17 Monate des Familienvaters sind in Österreich maximal 26.150 Euro wert – und nicht einmal auf das kann er hoffen ...

Die Erleichterung war dem Papa von Leon am Donnerstag im Landesgericht Innsbruck ins Gesicht geschrieben, als es hieß: „Nicht schuldig“ am Mord an seinem sechsjährigen Sohn, der Ende August 2022 in der Kitzbüheler Ache ertrunken war. Drei Tage wurde prozessiert, zig Zeugen vernommen und mehrere Gutachter gehört.

Der Familienvater konnte schon nach der Verkündung zurück zu seiner Frau und seiner kleinen Tochter – nach genau 523 Tagen, die der 40-Jährige in Untersuchungshaft verbrachte. Schuldlos. Auf eine große Entschädigung kann er jedoch nicht hoffen.

Anwalt: „Da besteht ganz klar Handlungsbedarf“
Zwar ist anzunehmen, dass seine Verteidigung einen Antrag bei der Finanzprokuratur stellen wird, das große Geld wird ihm aber nicht zugesprochen. 20 bis 50 Euro pro Hafttag sind es bei uns – das heißt maximal 26.150 Euro für Leons Papa. 10 bis 20 Prozent der Anwaltskosten kann er sich außerdem zurückholen. Da bestehe ganz klar Handlungsbedarf, kritisiert der Wiener Anwalt Christian Werner: „Es müssten die gesamten Kosten ersetzt werden.“

Doch auch das wäre nur ein kleiner Trost für die verlorenen 17 Monate ...

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Es wird im Regelfall bei der Haftentschädigung nicht an die obere Grenze von 50 Euro gegangen. Ein Tag Haft, so viel wert wie ein Mittagessen.

(Bild: Klemens Groh)

Wiener Strafverteidiger Christian Werner sieht akuten Handlungsbedarf.

Internationaler Vergleich: Österreich weit hinten
In Österreich wird Freigesprochenen in der Regel von der Finanzprokuratur um die 20 Euro pro Hafttag zugesprochen. Früher lag dieser Wert noch bei 100 Euro, erinnert sich der Wiener Anwalt Christian Werner.

Mit maximal 50 Euro pro Tag liegen wir aber deutlich hinter unseren Nachbarländern: In Deutschland bekommt man seit 2020 für jeden Tag Freiheitsentzug 75 Euro; das soll weiter erhöht werden. In der Schweiz kann man mit 100 bis 300 Franken (106 bis 318 Euro) täglich für schuldlose Untersuchungshaft rechnen.

Spitzenreiter Frankreich zahlt 250 Euro pro Tag
Und auch andere europäische Länder zahlen wesentlich mehr: In Skandinavien bekommt man für den ersten Hafttag 250, für den zweiten 615 und für jeden weiteren zwischen 80 und 100 Euro. Spanien verfolgt ein anderes System. Es werden bei sechs Monaten 50 Euro pro Tag erstattet und bei 18 Monaten oder mehr 250 Euro. In Frankreich kassiert man täglich am meisten – 250 Euro. Extremfall USA: Typischerweise sind es dort 50.000 US-Dollar (45.600 Euro) pro Gefängnisjahr; etwa 126 Euro pro Tag.

Die zentralen Eckpunkte der Staatsanwaltschaft: eine Flasche, ein Schrittzähler, die Google-Suche des 40-Jährigen und ein etwaiges Motiv.

Die Flasche als Tatwaffe
Am Tatort fand man Scherben einer Frizzante-Flasche. Sie soll die Tatwaffe eines Raubüberfalls auf den 40-Jährigen gewesen sein – die Rissquetschwunde am Hinterkopf des Mannes hätte laut medizinischem Gutachten dazu gepasst. Videos zeigen, dass sie aber vor der Tat schon im Kinderwagen von Leon war. Wie sie dahin gekommen war, konnte auch im Prozess nicht restlos geklärt werden. Ein DNA-Gutachten gab auch keinen lückenlosen Aufschluss darüber.

Unvollständiger Schrittzähler?
Ein weiteres Indiz, auf das sich der Ankläger Joachim Wüstner stützte, war das iPhone des Vaters, das seine Schritte in der Tatnacht aufzeichnete. Entscheidende 13 Meter, die der angebliche Räuber mit dem Beute-Handy bis zu einem Mistkübel zurückgelegt haben müsste, fehlen aber. Dort wurde das Mobiltelefon nämlich gefunden. Eine IT-Forensikerin sagt aber am letzten Prozesstag: Die App „Apple Health“ sei mit dem Schrittezählen ungenau und kann auch Ausfälle haben. Auch sonstige Aktivitäten am Handy seien nicht aussagekräftig – da passiere viel im Hintergrund.

Tatort im Fall Leon bei der Kitzbüheler Arche. (Bild: ZOOM.TIROL)
Tatort im Fall Leon bei der Kitzbüheler Arche.

Google-Suche: „Ohnmacht“
Ebenfalls bei der Handyauswertung des 40-Jährigen wurde sein Suchverlauf unter die Lupe genommen. Rund vier Wochen vor dem Tod von Leon googelte er „Ohnmacht“. Das kann der Familienvater jedoch schlüssig mit einem Feuerquallen-Erlebnis im Jesolo-Urlaub erklären. Das bestätigen im Prozess auch Zeugen.

Ablehnung von Kindergarten als Motiv für Mord?
Völlige Überforderung mit dem schwer beeinträchtigten Leon – das Motiv, das der Staatsanwalt den Geschworenen für den angeklagten Mord an dem Sechsjährigen präsentierte. Kurz vorher erfuhren die Eltern, dass sie eine Absage eines Kindergartenplatzes erhalten haben. Und auch sonst war die Betreuung des Buben nicht einfach, viel musste geopfert werden. Doch nicht nur Leons Papa, sondern auch seine Mutter sprachen von einer Besserung seiner Symptome, viel Rückhalt in der Familie und ständiger Hoffnung. „Zu 1000 Prozent hatte ich niemals einen Zweifel an der Unschuld meines Mannes“, sagte die Frau im Zeugenstand.

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Nach diesem Urteil gilt der Vorfall weiterhin als ungeklärt. Hauptaufgabe der Staatsanwaltschaft ist es, solche Fälle zu klären. Das ist uns nach einstimmigen Entscheidung der Geschworenen nicht gelungen. Das müssen wir zur Kenntnis nehmen.

Sprecher der StA Innsbruck Hansjörg Mayr

Und das hatten wohl auch die Geschworenen am Ende nicht. In nicht einmal zwei Stunden Beratung war für die Laienrichter klar: Sie glauben Leons Vater, sprechen ihn einstimmig frei. Bloß einen Tag später gibt die Anklagebehörde bekannt: „Die Staatsanwaltschaft wird dieses Urteil nicht bekämpfen. Es ist eindeutig und fehlerfrei. Das Geschworenenverfahren wurde ordnungsgemäß und mangelfrei geführt. Es gibt keinen Grund, an dem Urteil zu rütteln.“ Der Freispruch ist damit rechtskräftig. 

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