Die Hiobsbotschaften in Sachen Ärzte- und Pflegermangel reißen nicht ab, immer mehr Fachkräfte fehlen – es gibt mittlerweile einen traurigen Rekord an offenen Jobs. Vor allem mehr als 2100 Mediziner fehlen an allen Ecken und Enden ...
Dass es im heimischen Gesundheitssystem an allen Ecken und Enden kracht wie bei einer Kaisersemmel, ist kein Geheimnis mehr. Während zwar in den meisten Fällen die Versorgung noch halbwegs funktioniert, sehen die Prognosen für die Zukunft mehr als düster aus. Ärzte und Pflegekräfte sind im Land, die „Krone“ berichtete ausführlich, eindeutig Mangelware.
Eine neue Studie für den Fachkräfteatlas der Jobbörse Stepstone bestätigt nun die schlimmsten Befürchtungen. Seit dem Jahr 2019 ist die Zahl an Stellenausschreibungen im Gesundheitsbereich enorm angestiegen: Im zweiten Quartal 2024 waren österreichweit um 80 Prozent mehr offene Stellen für Ärzte ausgewiesen als im Vorjahreszeitraum. Auch die Suche nach Pflegepersonal stieg auf einen neuerlichen Rekord von 6583 offenen Stellen.
Insbesondere bei Medizinern hat sich die Lage aber nochmals deutlich verschärft. Bereits Anfang des Jahres war ein Rekordhoch von knapp 1500 unbesetzten Stellen zu verzeichnen, jetzt stieg die Zahl um satte 46 Prozent auf 2100 an. Die Bundesländer Wien und Oberösterreich sind zahlenmäßig in allen Bereichen führend.
Fassungslosigkeit macht sich breit
„Der demografisch bedingte Fachkräftemangel ist im Gesundheitsbereich besonders stark ausgeprägt, das erklärt auch den deutlichen Anstieg bei angezeigten Stellen“, erklärt Nikolai Dürhammer, Geschäftsführer der Recruiting-Plattform Stepstone in Österreich.
Neben Maßnahmen der Mitarbeiterbindung empfehlen die Profis, Quereinsteigern eine Chance zu geben und Fachkräfte im Ausland zu rekrutieren. Eine weitere Möglichkeit, auf den Personalmangel zu reagieren, ist es naturgemäß, selbst Fachkräfte auszubilden.
Die konjunkturelle Lage wirkt aktuell immer noch als Dämpfer, wir bewegen uns aber mit kleinen Schritten nach oben. Im Gesundheitsbereich sieht die Situation aber gänzlich anders aus.
Nikolai Dürhammer, Stepstone Österreich
Bild: StepStone Österreich
Für die Mediziner schlägt auf Nachfrage auch die heimische Ärztekammer Alarm. Eine ordentliche Strategie auf Bundesebene dürfte nämlich fehlen: „Es braucht endlich nachhaltiges Monitoring, wo die neuen Mediziner sind und was sie machen wollen. Von den rund 2300 Absolventen pro Jahr tragen sich nur circa 1400 in die Ärzteliste ein, der Rest verschwindet auf Weltreise oder keine Ahnung wohin“, zeigt sich Harald Schlögel, Vizepräsident der Österreichischen Ärztekammer, fassungslos.
Der stark verankerte Föderalismus im Gesundheitssystem geht sich wohl in Zukunft nicht mehr aus, da helfen auch verzweifelte und teils auch ernüchternde Lösungsversuche wie Pflegekraft-Rekrutierungen aus Fernost, 100 neue Kassenarztstellen plus dem Start-Bonus von bis zu 100.000 Euro der Bundesregierung kaum. „Mit Stand 1. Juli wurden zwölf Ärzte in Vertrag genommen“, erklärte eine Sprecherin der Gesundheitskasse erst kürzlich. Zu wenig, wieder einmal!
„Es braucht Mut, um Probleme zu lösen“
Harald Schlögel gilt als Vize-Chef der Österreichischen Ärztekammer eigentlich als freundlich und sehr besonnen, beim Thema Ärztemangel nimmt er sich im Gespräch mit der „Krone“ aber kein Blatt vor den Mund:
„Krone“: Herr Dr. Schlögel, Hunderte Ärzte werden aktuell gesucht. Wo sind sie?
Dr. Schlögel: Das ist eine gute Frage. Fakt ist, 25 bis 30 Prozent aller Absolventen eines heimischen Medizinstudiums gehen nach ihrem Abschluss direkt ins Ausland. Da sind uns meist die Hände gebunden. Wir verzeichnen aktuell auch 300 Kassenstellen, die nicht besetzt sind. Rund 180 Allgemeinmediziner, und der Rest sind Fachärzte, speziell in den Fächern Kinder-, Frauen-, Augen- und Hautheilkunde. Rundherum sehen wir aber kaum einen Mangel, vor allem nicht im privaten Bereich.
Also alles angerichtet für die Zweiklassenmedizin?
Die Zweiklassenmedizin ist bereits hier. Ich will aber unbedingt festhalten: Nur weil ein Arzt privat ist, ist er nicht unbedingt besser. Die Patienten haben sich einfach daran gewöhnt. Der Langmut der Menschen ist aber oftmals auch beachtlich, manche warten ja schon mehr als ein Jahr auf einen OP-Termin. Der Aufschrei hält sich oft in Grenzen.
Na ja, sich beim eigenen Kassenarzt beschweren wird wohl auch schwierig sein?
Es wäre auch zu einfach, den Ärzten den schwarzen Peter zuzuschieben. Wir sind ehrlich gesagt hilflos. Die Rahmenbedingungen sind einfach nicht gut.
Was bräuchte es denn, um die Situation im Hinblick auf den Ärztemangel in den Griff zu bekommen?
Wir brauchen jemanden mit viel Mut, der die Probleme lösen will. Wir haben grundsätzlich ein tolles Studienangebot, aber die Karriereplanung fehlt völlig. Jeder vernünftige Betrieb hat Interesse daran, dass die eigenen bestens ausgebildeten Fachkräfte gehalten und ordentlich eingesetzt werden. Der Staat Österreich schaut aber einfach zu, wie fertige Mediziner abwandern.
Vielleicht ist der Job dann doch zu uninteressant?
Das glaube ich nicht, aber es braucht Veränderungen. Junge Leute wollen meist Gruppenpraxen im urbanen Gebiet, flexible Arbeitszeiten und nicht nur 100.000 Euro als Bonus für die Ordinationsgründung. Das alleine kostet schon eine Lawine.
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