Seit mehr als 20 Jahren sind die Schweden von Amon Amarth eine Fixkonstante am Extreme-Metal-Himmel und füllen auch bei uns die Hallen und erobern die Charts. Der einzige Österreich-Gig findet bald in Innsbruck statt. Frontmann Johan Hegg ließ sich zum etwas anderen Interview breitschlagen.
„Krone“: Johan, du hast in einem Interview einmal gesagt, du seist Musiker geworden, nachdem du einen Europe-Song gecovert hast, weil dich das so begeisterte. Stimmt diese Legende?
Johan Hegg: Ja, aber es war nicht nur Europe. Ich habe mich auch an anderen Songs versucht. Da waren sicher auch einige von Metallica dabei.
Bevor du mit Amon Amarth durchgestartet bist, hast du im Vorgängerprojekt Scum gesungen – zumindest ein paar Monate lang. Du warst also nie woanders als bei Amon Amarth. Was hast du in diesem frühen Stadium deiner Karriere gelernt, das später wichtig werden sollte?
Dass ich nichts wusste. (lacht) In den ersten paar Jahren hatte ich keine Ahnung von Techniken. Ich habe ganz meinem Gehör vertraut und das alleine bringt dich nicht weiter. Auch beim Texten war mir viel egal. Wichtig war, dass ein Song steht und gut klingt. Wenn irgendwo noch Platz für eine Textzeile war, wurde sie reingequetscht. Ob das Sinn machte, oder nicht. Erst als wir bei Amon Amarth mit den Jahren zunehmend professionellere Produzenten an Bord holten, setzte da eine Professionalisierung ein. Gesanglich war mir früh klar, dass man ein gutes Warm-Up braucht, um eine Show lang durchzugrowlen. Dafür sollte man sich am besten Hilfe holen. Ein Vocal-Coach kann wahre Wunder bewirken, also habe ich mir früh einen besorgt.
Mit der Band ging es recht schnell bergauf. Die ersten drei Alben sind Fan-Lieblinge, 2002 seid ihr dann erstmals breiter durchgestartet.
Ja, mit der „Versus The World“. Das war eine erste Initialzündung, aber ich glaube, der richtige Schritt nach vorne war dann 2006 mit „With Oden On Our Side“. Da arbeiteten wir erstmals mit einem erprobten Produzenten, was uns ordentlich weiterbrachte. Der nächste große Schritt war „Twilight Of The Thunder God“ zwei Jahre später. Diese zwei Alben haben uns den Weg bereitet. Seitdem wachsen wir mit jedem einzelnen Album. Die Hallen wurden größer, das Publikum mehr, die Verkaufszahlen steigen seitdem auch an. Nicht mehr schubhaft, aber sehr regelmäßig.
Es gab über all die Jahre auch nur sehr wenige Besetzungswechsel. Die personelle Konstanz bei euch fiel immer auf. Wie hält man eine Beziehung unter Bandmitgliedern über all die Jahre so frisch und geschlossen?
Die Beziehung von uns zueinander ist so gut wie immer, in gewisser Weise wohl sogar besser als früher. Als die Band erstmals so viel Geld abwarf, dass wir von ihr leben konnten, hat sich der persönliche Umgang miteinander etwas zurückentwickelt. Das liegt daran, dass alle Familien gründeten und wir so oft auf Tour sind, dass wir den Abstand brauchen. Wir haben auch keinen gemeinsamen Proberaum mehr, in dem wir uns einfach so treffen. Ich bin zudem von Stockholm raus aufs Land gezogen, weshalb wir uns in der Stadt auch nicht mehr so oft treffen wie früher. Vor einiger Zeit spielten Iron Maiden in Stockholm, da sind wir dann alle hingegangen. Wir verbringen schon noch Zeit miteinander, aber nicht mehr so oft wie früher.
Am Anfang ging es um Death Metal mit Viking-Einschlag und eine gute Zeit. Bier, Party, Gigs. Je größer ihr wurdet, umso mehr Fans kamen dazu, umso höher die Erwartungshaltungen seitens eurer Hörer, des Labels und allen Menschen, die bei euch mitarbeiten. Hat das euren Lifestyle verändert?
Ich trinke wesentlich weniger als früher. Natürlich genießen wir hier und da ein Bier oder einen Drink, aber wir spielen mittlerweile allabendlich Headliner-Shows vor Tausenden Menschen. Diese Menschen zahlen viel Eintritt und wollen dafür keine fünf besoffenen Typen sehen, die über die Bühne stolpern. Da hat in jeder Hinsicht eine Professionalisierung stattgefunden. Ich trinke allgemein viel weniger als vor zehn oder 15 Jahren, dafür sind die Kater am Tag danach umso brutaler. (lacht)
Du bist auch sportlich unterwegs und ein etablierter Wandersmann. Auf deinem Instagram-Account kann man deine Naturverbundenheit sehr gut verfolgen. Ist das Abnabeln von Großstädten und die Suche nach Ruhe in der Natur wichtig, um bei ansteigendem Alter so gut performen zu können? Ist dir ein nachhaltiger und glücklicher Lifestyle besonders wichtig?
Ich kann das gar nicht beantworten, weil ich schon seit 16 Jahren am Land wohne. Wobei – Land ist relativ. Mein Haus ist nur rund zehn Kilometer von Stockholm entfernt, aber das reicht aus. Außerdem schaue ich aus dem Fenster lieber in die Natur als in eine andere Wohnung. Früher dachte ich immer, ich müsse in Stockholm unbedingt am Ball bleiben und irgendwann habe ich realisiert, dass ich zwar in Stockholm wohne, nicht aber am Stadtleben teilnehme. Das war der Knackpunkt für die wohnliche Veränderung. Dadurch hat der Stadtbesuch mehr Qualität. Wir gehen zielgerichtet zu Konzerten, in ein Restaurant oder eine gute Bar. Ansonsten bin ich viel beim Campen, ich wandere, bin aktiv beim Canyoning. All die Dinge, die in der Natur in Schweden Spaß machen.
Mir fällt ad hoc kaum eine Band ein, die mit für den Mainstream-Geschmack gesehen derart brutaler Musik seit Jahren so konstant viele Menschen anzieht. Gab es mal einen Moment in deinem Leben, wo du gespürt hast, dass da wirklich viel möglich ist oder überrascht dich das noch immer?
Die kurze Antwort wäre nein, damit war nicht zu rechnen. Aber da spreche ich nur für mich und nicht für die anderen. Jeder von uns hatte sicher seine eigenen Ziele mit Amon Amarth. Ich bin da eher nüchtern, habe immer nur von Album zu Album und von Tour zu Tour geschaut. Einfach den nächsten Schritt machen und darauf achten, nicht zurückzufallen. Als wir dann vor allem in Deutschland irgendwann richtig große Hallen spielten, ging das so gemütlich und natürlich vonstatten, dass es mich nicht aus dem Tritt warf. Wir haben nie den großen Schritt gemacht, sondern viele kleine, die sich summierten. Vor 20 Jahren hätte ich nicht mit diesen Venues gerechnet. Es war jedenfalls kein Ziel - man hat aber natürlich immer Träume.
Du kommst – wie auch die anderen Jungs in der Band – aus dem schwedischen Arbeitermilieu. Geht man dadurch mit einem anderen Ehrgeiz an Dinge heran?
Um Erfolg zu haben, musst du verdammt hart arbeiten. Und vor allem auch deine Zielrichtung genau festsetzen. Die Leute wissen, woher wir kommen und wer wir sind. Früher hatten wir Jobs, seit geraumer nur noch die Band. Daher können wir aber auch mehr Touren und viel mehr mit der Band arbeiten. Warum sollte man sich zurücklehnen, wenn man mehr Erfolg hat? Wir sind auf einem Level, wo wir eine tolle und große Crew, ein großes Label und ein kundiges Management haben. Den Job, gute Musik zu schreiben und ein gutes Konzert zu spielen, kann dir aber niemand abnehmen. Wenn du einen Plattenvertrag abstaubst und dich zurücklehnen willst, dann bist du definitiv in der falschen Branche unterwegs. Bei uns gibt es immer was zu tun. Wie wird die Musik noch besser? Was machen wir mit der Bühne? Wie können wir Kosten minimieren und trotzdem die Show verbessern? Die meiste Arbeit passiert dann und dort, wo das Publikum nicht dabei ist.
Eure Landsmänner von Sabaton etwa sind wahre Arbeitstiere. Sie haben einen History-Channel ins Leben gerufen, ein eigenes Magazin und planen sogar ein Museum. Wären solche Dinge nicht auch für Amon Amarth vorstellbar?
Puh, ich weiß nicht, ob das zu uns passt. Um all diese Dinge auf die Beine zu stellen, brauchst du sehr großes Interesse und viel Leidenschaft und ich weiß nicht, ob wir auf diesen Nebenschauplätzen der Musik so viel Energie investieren wollen. Mir gehen schon die kurzen Clips für Instagram am Nerv, die wir immer wieder filmen müssen. Ich sehe unsere Stärken eher auf anderen Feldern. Wir haben mit „Victorious Merch“ etwa unsere eigene Merchandising-Firma gegründet, wo wir auch Material von anderen Bands vertreiben. Wir schauen erst einmal, wie wir das Kapitel weiter voranbringen. Dann haben wir vielleicht Zeit, weitere Schritte zu überlegen.
Apropos Arbeitsmoral – hat es bei dir auch mal anders ausgesehen? Hast du zwischenzeitlich mal die Lust an der Band oder an Musik verloren?
Ich würde gerne nein sagen, aber das wäre gelogen. Die paar Jahre vor der Corona-Zwangspause waren irgendwie nicht mehr lustig. Es war fast so, als wären wir in einem Limbus gefangen, der nur aus Songwriting-Studio-Tour bestand. Immer und immer wieder, ohne Pause und Raum, um durchzuatmen. In diesen vier Jahren waren wir zusammengerechnet keine zwölf Monate daheim und das hat uns alle an unsere Grenzen gebracht. Vor „Berserker“ haben wir uns dann etwas Pause gegönnt, um die Akkus aufzuladen und den Spirit wiederzufinden. Dann hatten wir aber wieder viel zu viel am Plan. Corona war natürlich furchtbar, aber - versteh mich nicht falsch – für mich und die Band allgemein ungemein wichtig. Wir konnten uns wirklich einmal zurücklehnen und hatten viel Zeit, um „The Great Heathen Army“ für 2022 fertigzustellen. Ein bisschen hat uns die Zeit sicher auch gerettet.
Aber habt ihr aus dieser Erkenntnis auch langfristige Lehren gezogen? Dass es vielleicht manchmal klüger ist, eine Tour weniger zu planen und dafür mehr Freude am Tun zu haben? Oder rutscht man schnell wieder in alte Routinen?
Es könnte besser sein. (lacht) 2023 haben wir uns schon wieder ordentlich viel aufgehalst, aber derzeit ist es ein bisschen weniger. Es passt aber. Wir fühlen ohnehin, wenn es zu viel wird.
Ihr seid mit Viking-Texten bekannt geworden und könnt aus dieser Rolle natürlich nicht mehr raus. Seit vielen Jahren verwendet ihr diese historischen Themen als Unterbau für aktuelle Gesellschaftskritik, was man sehr deutlich herauslesen kann, aber ganz ohne Thorshammer, Drachenboot und Wikingerfell geht es nie. Bereust du heute manchmal, dass ihr euch da so früh so eng spezialisiert habt?
Manchmal schreibe ich einen Text für einen Song und komme beim Singen zur Melodie irgendwie drauf, dass sich das bekannt anhört. Ich stolpere quasi über meine eigene Diskografie. (lacht) Man ist in diesem Rahmen natürlich auch limitiert und es wird immer schwerer, im Korsett des Viking-Death-Metal mit neuen Ideen um die Ecke zu kommen. Ich habe auch schon mal die fast identen Lyrics eines alten Songs für einen neuen geschrieben. Dann muss das halt in den Müll, das kann schon mal passieren. Wir müssen extrem wachsam und akkurat sein. Das sind wir den Leuten, aber auch uns selbst schuldig.
Viele Musiker probieren sich gerne in anderen Bereichen aus. Morbid Angel-Frontmann David Vincent etwa, der leidenschaftlich gerne Country macht. Wäre so ein Side-Project für dich nichts, wo du auch andere musikalische Passionen ausüben könntest?
Das hat mich nie interessiert. Ich hätte auch keine Ahnung, was ich machen sollte, weil ich meine musikalischen Interessen in Amon Amarth sehr gut abgebildet sehe. Ich habe abseits davon andere Hobbys. Etwa der „Victorious Merch“-Onlineshop, den ich mit einem Freund führe. Oder Sport und die Natur zu Hause.
Ein stabiles Familienleben mit deiner Frau ist dir auch besonders wichtig. Ist sie manchmal auch mit auf Tour oder wird das strikt getrennt?
Das kommt mittlerweile ein bisschen auf den Tourplan an. Unlängst waren wir etwa in Schottland und hatten zwei freie Tage. Da flog sie dann zu uns rüber und wir haben die zwei Tage verbracht, um zu wandern und Sightseeing zu machen. Ansonsten ist das aber eher nicht der Fall und früher einmal war das unvorstellbar. Wir haben auch schon so eine große Produktion, dass die Crew groß ist und wir eigene LKW für die Shows brauchen, wenn sie speziell sind. Wir Musiker schlafen mittlerweile in einem eigenen Tourbus. Das ist ein unglaublicher Luxus, der mit zunehmendem Alter aber auch wichtig ist, wenn man in Bestform sein soll.
Was sind die größten Vorteile und Nachteile, wenn man der Frontmann einer der bekanntesten Metal-Bands der Welt ist? Gesichtsprominent zu sein, stelle ich mir zum Beispiel eher mäßig toll vor …
Ich will nicht dämlich klingen, aber rauszugehen und im Publikum eine Band zu sehen ist wirklich so gut wie unmöglich, weil dich immer wieder Leute erkennen und Fotos machen wollen. Auf Festivals können wir den Backstagebereich auch kaum unbehelligt verlassen, weil immer jemand mit dir quatschen will. Andererseits ist das aber auch ein Segen, weil es dir zeigt, dass du für die Menschen wichtig bist. Der schönste Teil daran, ich zu sein, ist der, dass ich mein Geld mit meiner größten Leidenschaft verdiene. Ich mache Musik und lebe sehr gut davon – was soll man sich sonst noch wünschen?
Hast du noch große Träume, die du dir erfüllen möchtest und denen du gerne nachjagst?
Mein großer Traum war schon als Kind immer die Musik, also lebe ich meinen Traum und bin glücklich mit meinem Leben. Ich spiele in einer beliebten und erfolgreichen Band, wohne an einem schönen Ort, bin mit einer wundervollen Frau verheiratet und habe ein paar wirklich tolle Hunde und Katzen. Ich habe immer nach der Maxime gelebt, dass ich Möglichkeiten annehme, wenn sie sich auftun. Nur wenn du Dinge probierst, siehst du, ob es was für dich ist oder nicht. Das gilt besonders für die Band. Wenn sich für Amon Amarth Türen öffneten, sind wir einfach hineingegangen, weil wir neugierig waren. Wenn das nächste Level bevorstand, haben wir uns neu ausgerichtet und sind nicht in Ehrfurcht erstarrt.
Eine so langlebige und erfolgreiche Band anzuführen ist schön, aber auch immer mit Kompromissen verbunden. Nicht immer haben alle die gleichen Visionen oder dieselbe Richtungsauslegung. Sogar beim Zusammenstellen einer Setlist ist es da schon oft zu Dramen gekommen …
Bislang ging das bei uns immer ganz gut über die Bühne. Wir haben schon immer gut miteinander reden und diskutieren können und wenn es wirklich einmal eng wird, dann entscheidet die Mehrheit. Wir sind fünf Bandmitglieder, es gibt also immer eine Entscheidung – so einfach ist das. Jeder gewinnt mal, jeder muss mal zurückstecken.
Jetzt einmal ganz ehrlich – was ist für dich selbst das am wenigsten gelungene Album von Amon Amarth? Wo habt ihr Potenzial vergeudet?
Das kann ich leicht mit „Fate Of Norns“ beantworten. Ich mag das Album selbst noch immer ganz gerne, aber es ist nicht so gut geworden, wie es hätte werden sollen. Bei uns gab es rundum viele Veränderungen, die Band wurde gerade immer größer und wir waren schlichtweg nicht konzentriert genug, weil es uns rundum an Zeit fehlte und wir damals auch noch nicht wussten, wie man Prioritäten setzen soll. Ich bin überzeugt, dass viele Songs auf dem Album richtige Kracher wären, hätten wir uns nur ein bisschen mehr darum gekümmert. Ich würde es heute anders aufnehmen, aber es ist ein Teil unserer Geschichte und hat damit auch wieder seine Berechtigung.
Live in Innsbruck
Am 20. August kommen Amon Amarth für ihren einzigen Österreich-Auftritt 2024 in den Innsbrucker Congressaal Dogana. Mit an Bord haben sie Insomnium und die gehypten Deutschen Kanonenfieber. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten und weitere Informationen zur Show in Westösterreich.
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