Oberarzt verurteilt

Drei Monate Haft nach Tod von Baby Lukas

Oberösterreich
07.08.2024 17:35

Ein neugeborenes Kind zu verlieren, ist eine unglaublich traumatische Erfahrung. Ein Gynäkologe stand deswegen am Mittwoch zum dritten Mal vor dem Landesgericht Wels. Er wurde nach 90 Minuten Überzug zu drei Monaten bedingter Haft verurteilt, und der fahrlässigen Tötung und Körperverletzung schuldig gesprochen.  

Immer wieder berichten Frauen, während des Geburtsvorgangs mit ihren Ängsten, Sorgen und Schmerzen nicht ernst genommen worden zu sein. In dieser extrem verwundbaren und hilflosen Position sind sie dem medizinischen Personal vollständig ausgeliefert, können nur auf deren Kompetenz zählen.

Schwere Hirnschäden bei Geburt
Gegen Fehleinschätzungen und Fehler helfen in manchen Fällen aber auch jahrzehntelange Erfahrung nicht: So war es auch im Fall von Sabrina W. Die heute 38-Jährige hatte ihr zweites Kind verloren. Der Grund: Lukas hatte schwerste Hirnschäden erlitten, die im Zuge der Geburt entstanden waren. 

Mehr als zwei Jahre nach der Geburt musste Sabrina W. das ganze Martyrium erneut durchleben, weil der Anwalt des Angeklagten, Gerhard Huber, darauf bestanden hatte, dass die Mutter als Zeugin vor Gericht aussagen muss. 

(Bild: Alexander Schwarzl)

Kein Problem festgestellt
Nachdem ihr erstes Kind per Kaiserschnitt auf die Welt gekommen war, sei die Mutter von Anfang an unschlüssig gewesen, ob ein weiterer Kaiserschnitt oder eine natürliche Geburt von Vorteil seien. Auf zahlreiche Nachfragen und nach mehreren Untersuchungen durch verschiedene Ärzte wurde ihr mitgeteilt, dass bei keiner der beiden Methoden Probleme zu erwarten wären. Daher entschieden sich Mutter und Vater für die vaginale Geburt. 

Nachhelfen oder Heimfahren
Als nach der Einlieferung die Wehen schließlich „eingeschlafen“ waren, wurde die Salzburgerin vor die Entscheidung gestellt: Entweder medikamentös nachhelfen oder zurück nach Hause fahren. „Weil ja klar war, der Kleine muss zur Welt kommen, habe ich mich für das Nachhelfen entschieden“, so Sabrina W. vor Gericht. Dass das aber bei Risikopatienten wie ihr, die bereits einen Kaiserschnitt hinter sich haben, zu einer lebensgefährlichen Uterusruptur führen kann, sei ihr nicht gesagt worden. 

„Ich wusste, Wehen sind anders“
Die Wehen seien wie geplant schnell zurückgekommen, doch ebenso schnell seien trotz Unterleibsbetäubung starke Schmerzen aufgetaucht. „Ich habe von meiner ersten Geburt gewusst, wie sich Wehen anfühlen, und dass diese Schmerzen etwas anderes waren“, so Sabrina W. „Da habe ich zum ersten Mal klar geäußert, dass ich doch lieber einen Kaiserschnitt will.“ 

Zitat Icon

Der Tag, an dem wir die Maschinen abdrehten, das letzte Mal den Herzschlag unseres Lukas spürten, war der schlimmste Tag meines ganzen Lebens.

Mutter Sabrina W.

Nichts half
Weil verschiedene Methoden und Mittel zur Schmerzbekämpfung nicht fruchteten, sondern die Pein nur noch stärker wurde, leiteten zwei Ärzte und vier Hebammen schließlich eine Glockengeburt ein, während einer der Doktoren von oben auf ihren Bauch drückte. Da seien die Schmerzen aber absolut untragbar geworden. Sabrina W. habe wieder mehrmals um einen Kaiserschnitt gefleht. 

Geburt selbst fast nicht überlebt
Schließlich sei doch, mehrere Stunden nach Einleitung der Wehen, ein Notkaiserschnitt vorgenommen worden, in Zuge dessen kam eine massive Uterusruptur zutage. Zwei Liter Blut hatte Sabrina W. verloren, hätte die Geburt selbst fast nicht überlebt. Der kleine Lukas kam mit einem schweren Hirnschaden auf die Welt. Für einige Tage wurde er beatmet, bevor die Eltern schließlich die Maschinen abdrehen ließen. 

Geburt war Martyrium
„Die Geburt von unserem Lukas war sehr schlimm, ich leide seither an großen physischen und seelischen Schmerzen. Obwohl mir mehrmals zugesichert wurde, sobald Probleme auftauchen, würde man einen Kaiserschnitt vornehmen, geschah dies dann nicht. Ich wurde nicht ernst genommen“, schildert Sabrina W. mit bebender Stimme. „Unser Plan war immer, drei Kinder zu bekommen. Im schlimmsten Fall hätte meine Älteste ihre Mutter verloren. Der Tag, an dem wir die Maschinen abdrehten, das letzte Mal den Herzschlag unseres Lukas spürten, war der schlimmste Tag meines ganzen Lebens.“ 

Prozess voller Wendungen
Viele Überraschungen brachte der Prozess am Mittwoch: Erst meinte der Sachverständige, alle im Gutachten angeführten Punkte des Fehlverhaltens und der Sorgfaltsverletzung wären hinsichtlich der juristischen Verwertung nichtig, da der Oberarzt im Einklang mit dem Hausbrauch und den SOPs (standard operating practices) gehandelt habe. Daraufhin beantragten Staats- und Opferanwalt ein neues Gutachten, dem aber nicht stattgegeben wurde.

Der Verteidiger des Angeklagten hingegen bezeichnete ihn als höchst beliebten und sehr engagierten Arzt, der alleine seit 2012 über 4000 Geburten erfolgreich begleitet hatte.

Urteil 90 Minuten verspätet
Schlussendlich fiel nach 90 Minuten Überzug schließlich das Urteil: kein Freispruch, sondern drei Monate bedingte Haft für den 64-jährigen Oberarzt. Er wurde der Vergehen der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung schuldig gesprochen. Zusätzlich muss er Sabrina W. 2500 Euro Teilschmerzensgeld zahlen. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

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