Wirtschaft wächst

Wie Russland den EU-Sanktionen trotzt

Wirtschaft
10.08.2024 06:00

Eigentlich müsste Russlands Wirtschaft am Boden sein:  Seit der Annexion der Krim 2014 und nun wegen des Ukraine-Krieges hat alleine die EU 14 Sanktionspakete verhängt. Doch diese sind bisher überraschend zahnlos, stellen Wirtschaftsforscher fest. Moskau steht besser da als erhofft. Experten wissen, warum.

Die nackten Fakten: Wegen der „Strafmaßnahmen“ sind z.B. 90 Prozent der früheren Ölimporte in die EU blockiert. Insgesamt kauft Europa um 91 Milliarden Euro weniger in Moskau und strich eigene Lieferungen im Wert von 48 Milliarden Euro, vor allem Maschinen und andere Hightech-Produkte.

Russland steht überraschend gut da
Dennoch steht Putins Land überraschend gut da, stellen Wirtschaftsforscher nun fest. Die Sanktionen haben die Kriegsführungsfähigkeit bisher nur wenig beeinträchtigt, konstatiert Russland-Experte Vasily Astrov vom auf Osteuropa spezialisierten Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw): „Die Wirtschaft wächst angesichts des Rüstungsbooms momentan kräftig, allerdings wirken die Sanktionen langfristig wie ein schleichendes Gift.“ Das wiiw hat dazu im Auftrag des deutschen Wirtschaftsministeriums eine aktuelle Datenbank erstellt, um die Auswirkungen der EU-Maßnahmen und die Lage erstmals möglichst genau darzustellen.

Russland-Experte Vasily Astrov: „Die Wirtschaft wächst angesichts des Rüstungsbooms momentan kräftig.“  (Bild: Hans Schubert)
Russland-Experte Vasily Astrov: „Die Wirtschaft wächst angesichts des Rüstungsbooms momentan kräftig.“ 

Die Analyse ist teilweise ernüchternd: So ist etwa das BIP gegenüber dem Ausgangsjahr 2021 (Indexwert 100 Punkte, im 1. Quartal 2021 sogar nur 86,6) auf 117,3 Punkte gestiegen. Die Staatseinnahmen kletterten im Februarvergleich von 17 auf 30 Milliarden Dollar, die Industrieproduktion wuchs im heurigen Jänner um satte 2,7 Prozent, die Inflation hat sich mehr als halbiert etc. Wie dieses „Wunder“ möglich ist, liegt vor allem an zwei Faktoren:

Massive Staatsausgaben: Sie betrugen alleine heuer im Februar 40 Mrd. Dollar, vor dem Krieg waren es 27 Milliarden. Insbesondere die Rüstungsindustrie boomt deshalb, Arbeitskräfte sind knapp, die Löhne haben sich dort verdoppelt. Weil auch in anderen Branchen die Beschäftigung gut ist und zudem der Sold der Soldaten erhöht wurde, blüht der Konsum. Das kann sich Moskau leisten, denn die Staatsverschuldung liegt laut Astrov bei nur 15 Prozent und die Budgetdefizite sind nicht allzu hoch. Der Staat kann deshalb bei inländischen Banken leicht Kredite aufnehmen. Weiters wird der staatliche Wohlfahrtsfonds angezapft, der mit Öl- und Gaseinnahmen gefüllt wurde. Er dürfte noch bis Ende 2025 reichen, schätzt Experte Astrov. Daher ist verschmerzbar, dass die EU derzeit 210 Milliarden Euro an Geldern der russischen Nationalbank eingefroren hat.

Umgehungsgeschäfte: Russland hat seinen Handel massiv umgestellt. Über befreundete Länder wie Kasachstan, Armenien usw. kommen weiterhin westliche Güter ins Land, auch jene, die eigentlich den Sanktionen unterliegen. Gleichzeitig kaufen China, Indien, die Türkei und andere nun gerne zu Vorzugskonditionen das Öl und Gas, das Europa nicht mehr abnimmt.

Als Folge hat sich etwa der Außenhandel Moskaus mit Indien binnen Kurzem mehr als verdoppelt und mit China um 40 Prozent gesteigert, rechnet Wifo-Chef Gabriel Felbermayr im Magazin „Spiegel“ vor. Das habe den Ausfall der West-Geschäfte mehr als ausgeglichen. Felbermayr regt daher an, dass die EU, statt weitere Sanktionspakete zu beschließen, eher die Kooperation mit Türkei und Co. suchen sollte, um sie in die Anti-Putin-Koalition zu bringen.

Russland hat sich also clever angepasst und ist außerdem wirtschaftlich zu groß, als dass Strafmaßnahmen schnell wirken können. Doch sie sind nicht sinnlos, meint Astrov: Der erschwerte Zugang zu Hochtechnologie, etwa Elektronikchips, Flugzeugtriebwerke, Turbinen oder Gasfördertechnik, dürften auf Sicht von etwa zehn bis 15 Jahren die Wachstumschancen Moskaus bremsen. Die Qualität von Konsumgütern (z. B. Autos) wird bereits jetzt schlechter. Zudem verlor das Land seit Kriegsbeginn zehntausende IT-Spezialisten und andere Fachkräfte, die oft dauerhaft fehlen werden.

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