Angst vor Gewalt-Nacht

Was hinter den Krawallen in England steckt

Ausland
07.08.2024 17:23

Brutale Angriffe auf Polizisten, Läden von Muslimen werden in Brand gesetzt, Plünderungen: Seit Tagen wird Großbritannien von rechtsextremistischen Ausschreitungen erschüttert und ein Ende ist nicht in Sicht. Dutzende Einsatzkräfte wurden verletzt. Die Polizei nahm bisher mehr als 400 Menschen fest, die ersten Hafturteile sind bereits verhängt. Experten erklären, warum so viele Menschen an den Protesten teilnehmen.

Die Organisation Hope not Hate, die auf die Beobachtung rechtsextremistischer Gruppen in Großbritannien spezialisiert ist, berichtete von rechtsextremen Aktivisten, die bei den Ausschreitungen gesichtet wurden. Die Organisation sprach von dem womöglich schwersten rechtsextremen Gewaltausbruch in Großbritannien der Nachkriegszeit.

Auch Frauen und Ältere bei Protesten dabei
Nach Ansicht des Sicherheits- und Terrorexperten Peter Neumann vom King‘s College in London sind es aber nicht nur bekannte Rechtsextreme, die sich den Protesten und Krawallen anschließen. Darunter seien neben vielen jungen Männern und Fußball-Hooligans beispielsweise auch Frauen und ältere Menschen.

Selbst im nordirischen Belfast kam es zu Ausschreitungen. Dieser Supermarkt eines muslimischen Besitzers wurde zerstört. (Bild: AP/PA)
Selbst im nordirischen Belfast kam es zu Ausschreitungen. Dieser Supermarkt eines muslimischen Besitzers wurde zerstört.

„Das ist nichts, was uns beruhigen sollte, sondern im Gegenteil. Es zeigt, dass offensichtlich Rechtsextreme einen Weg gefunden haben, weit über ihre eigene Filterblase hinaus Leute auf die Straße zu bringen“, sagte der Experte.

Über soziale Netzwerke organisiert
Organisiert und befeuert werden die Krawalle in sozialen Medien wie Telegram und auf „X“. Dort werden etwa Listen mit Adressen der Ziele für die geplanten Proteste geteilt, die dann häufig in gewalttätige Ausschreitungen umschlagen.

Ein Pub-Besitzer verbarrikadiert aus Angst vor einer neuen Krawall-Nacht in North Finchley, London, seine Fenster. (Bild: AP/PA)
Ein Pub-Besitzer verbarrikadiert aus Angst vor einer neuen Krawall-Nacht in North Finchley, London, seine Fenster.

Öl ins Feuer gießen Agitatoren wie der als Tommy Robinson bekannte Rechtsextremist Stephen Yaxley-Lennon und Lawrence Fox, ein früherer Moderator des rechtsgerichteten Nachrichtensenders GB News. Sie organisieren die Krawalle nicht, befeuern sie aber teils mit Falschnachrichten und geben der Bewegung Struktur, erläutert Neumann. „Das ist schon etwas Neues. Also die Rolle von sozialen Medien, auch von Desinformation auf sozialen Medien, ist etwas, was wir in dieser Deutlichkeit eigentlich vorher noch nicht hatten“, sagte der Experte.

Migrationsthema eigentlich wenig relevant
Politikwissenschaftler Anand Menon vom King‘s College betonte, dass Migration als politisches Thema bei den Briten nicht weit oben auf der Prioritätenliste stehe. „Da sind die Umfragen eigentlich ziemlich eindeutig“, erklärte er. Die große Mehrheit sei entspannt, was Einwanderung angehe. Trotzdem drehte sich die politische Debatte in den vergangenen Jahren oft um das Thema.

Neumann hält unrealistische Versprechungen der früheren konservativen Regierung, die Einwanderungszahlen zu senken, für mitverantwortlich für eine aufgeheizte Stimmung im Land. Das habe Erwartungen geschaffen, die nicht zu erfüllen gewesen seien.

Dabei sei auch die Rhetorik eskaliert, beispielsweise als die damalige Innenministerin Suella Braverman von einer „Invasion“ sprach in Bezug auf irreguläre Einwanderer, die mit kleinen Booten den Ärmelkanal überqueren. Damit habe sie dem Diskurs eines Tommy Robinson Legitimität verliehen, so Neumann.

Soziale Ungleichheit im Land
Die konservative Regierung habe mit ihrer Sparpolitik seit 2010 die Ungleichheit im Land vergrößert, sagte der Soziologe Aaron Winter von der Universität Lancaster. Damit habe sie ein Umfeld geschaffen, in dem Alteingesessene die Migranten als Ursache für die Sparmaßnahmen verantwortlich machen könnten, die eigentlich von einer konservativen, rechtsgerichteten Regierung durchgeführt wurden, meinte er.

„Die extreme Rechte wird als Stimme der zurückgebliebenen weißen Arbeiterklasse dargestellt, als Stimme des Volkes, der schweigenden Mehrheit“, sagte Winter. Akademiker, Journalisten und politische Parteien rechtfertigten rechtsextreme Aussagen dann teils als legitime Beschwerden aus der Arbeiterklasse und machten sie so salonfähig.

Falschmeldungen als Auslöser
Auslöser der Randale sind Falschmeldungen über den mutmaßlichen Täter bei einem Messerangriff auf Kinder in Southport nahe Liverpool, bei dem drei kleine Mädchen getötet wurden. Angeblich soll es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen irregulären Einwanderer mit muslimischem Namen handeln – doch beides ist falsch. Der Verdächtige ist ein 17-Jähriger, der als Sohn ruandischer Einwanderer in Großbritannien geboren wurde.

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