Dr. Sigrun Roßmanith, gerichtlich zertifizierte Sachverständige und Psychiaterin, weiß, wie radikalisierte IS-Anhänger ticken. Mit der „Krone“ sprach sie über deren Sinnsuche, das Gefühl der Aufwertung – und wie schwer es ist, Menschen aus diesem Teufelskreis wieder herauszulotsen.
Frau Roßmanith, ein 19-Jähriger aus Niederösterreich hat sich über das Internet radikalisiert und dem Islamischen Staat (IS) zugewendet, um einen Anschlag auf Taylor-Swift-Fans zu verüben. Warum radikalisieren sich Menschen überhaupt?
Dass sich jemand einer Ideologie zuwendet, erfolgt aus einem Zustand, wo man keinen Sinn und Halt mehr im Leben hat. Plötzlich bekommt man ein Angebot, eine Aufgabe, eine Zukunftsorientierung und eine Sinnhaftigkeit. Man findet in der Gruppe und Ideologie Halt, fühlt sich aufgewertet, man ist dann jemand und derjenige, der eine große Aufgabe erledigt. Um dieses Ziel zu erreichen, ist oft sogar erlaubt oder erwünscht, zu töten. Der Einzelne orientiert sich meist an einer idealisierten Führungsfigur. Es heißt, dessen Aufgabe ist sinnvoll und ganz im Sinne von Allah. Dadurch fühlt sich die Person auch groß.
Wie geht jene Radikalisierung denn genau vor sich?
Man nimmt die Ideen kritiklos auf, manche sagen auch, dass sie zuerst dazu genötigt wurden. Je länger man dann sozusagen in der Suppe der Ideologie kocht, umso mehr ist man auch bereit, die übergeordnete große Idee umzusetzen. Wie in der Werbung wird ein idealisiertes Bild angeboten. Die eigenen Eltern erkennen ihre Kinder dann oft nicht einmal mehr wieder.
Durch die verschlüsselte Kommunikation und geheime Botschaften fühlen sich die Verdächtigen dann wie Geheimbünde, die abgeschottet sind.
Dr. Sigrun Roßmanith
Wer ist anfällig für solch eine Gehirnwäsche?
Oft sind die Menschen psychisch labil, Außenseiter oder höchst unzufrieden. Das wird ausgenutzt, dass es Menschen sind, die sich im Leben nicht zurechtfinden. Solche Muster lassen sich auch bei Sekten erkennen, auch im Dritten Reich waren sie verbreitet. Überall, wo Menschen nicht mehr kritikfähig bleiben, wo Menschen sagen, ich habe die einzig richtige Weltanschauung und die anderen sind ungläubig oder sündig, findet man so etwas.
Ist es eigentlich möglich, sich von einer Ideologie wieder zu distanzieren?
Das ist nur schwer möglich. Manchmal schon, aber nur, wenn man sehr viel Leid erlitten hat. Man kann es dann mit einer Deradikalisierung versuchen. Das Problem ist aber, dass man jenen Menschen keine wirkliche Alternative anbieten kann, die ähnlich ausgerichtet ist wie die Ideologie. Das ist bei allen Süchten dasselbe. Jene Menschen haben Halt durch religiöse Rituale, beten oft am Tag. Diese Rhythmisierung, diese Struktur tut ihnen leider gut. Für sie gibt es nur eine Religion, eine Idee. Heraussteigen ist auch deswegen schwer, da auch in Gefängnissen radikalisiert wird. Menschen tunken dabei wie in einer Hypnose in eine Gefühlsstimmung ein.
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