Mit „Sail“ eroberte Aaron Bruno Anfang der 2010er-Jahre den Mainstream, mittlerweile zählt er zu den innovativsten Künstlern Amerikas. Im großen „Krone“-Talk spricht er über sein neues Awolnation-Album, sein neues Hardcore-Projekt The Barbarians Of California und warum er im steigenden Alter wieder stärker zurück zum Punk-Rock-Ethos geht.
Im November 2018 wütete das Woolsey-Feuer im kalifornischen Los Angeles und hinterließ nichts als verbrannte Erde. So manchen führte die Tragödie an den Rand des Existenzminimums - etwa Awolnation-Mastermind Aaron Bruno. Mit dem Studio brannte auch seine wirtschaftliche Grundlage ab. Die Schmerzen verarbeitete er auf dem famosen Album „Angel Miners & The Lightning Riders“, das aber gleich in die nächste Katastrophe fiel. Gut einen Monat nach Ausbruch der weltweiten Corona-Pandemie veröffentlicht, kam es unter die Räder der Öffentlichkeit. „Das war nicht leicht zu verdauen“, erzählt Bruno im „Krone“-Zoom-Interview, „die Single ,The Best‘ kletterte die Charts hoch und alles war angerichtet. Dann kam Corona und niemand wollte eine positive, motivierende Hymne hören. Aber es ist so, wie es ist. Am Ende soll es immer so kommen, wie es eben kommen muss.“
Frei und ungezwungen
In der Pandemie hält sich Bruno fit, indem er mit illustren Gaststars quer durch alle Genres ein Cover-Album einspielt und überbordend kreativ ist. „Corona war natürlich schlimm, aber ich habe nie ganz verstanden, warum manche Menschen darin in komplette Lethargie verfallen sind. Ich hatte so viel Energie und auch so viel Zeit, ich habe die ganze Zeit an Dingen gearbeitet.“ Schon früh entstand dabei die sanfte Piano-Ballade „Panoramic View“, die nun als Signature-Song des brandneuen Albums „The Phantom Five“ gilt und auch als erste Single ausgekoppelt wurde. „Ich habe mein eigenes Label. Niemand sagt mir, was ich zu tun habe und ich muss keine lästigen Business-Sitzungen mit Menschen in Anzügen abhalten, die ohnehin immer falsche Entscheidungen treffen. Also haben wir den Song ausgekoppelt, obwohl er so ruhig und sanft ist, aber es hat funktioniert.“
Durch die Krisen und Rückschläge der letzten Jahre hat der Kalifornier seine innere Rebellion wiedergefunden. Er trifft nicht nur alle Business-Entscheidungen selbst nach bestem Wissen und Gewissen, sondern beruft sich musikalisch auch wieder auf seine Hardcore-Wurzeln, mit denen vor gut 20 Jahren alles begann, bevor er mit „Sail“ viral ging und zum Superstar wurde. Das Resultat nennt sich The Barbarians Of California und ist eine astreine All-Star-Hardcore-Band. „Es war einfach Zeit, die vielen harten Songideen zu bündeln. Das Projekt gibt mir gleichzeitig die Freiheit, mit Awolnation präziser zu musizieren.“ Harsche Ausritte wie in der Vergangenheit gehen zurück, der Fokus wird auf mehr Ruhe und schöne Melodien gesetzt. „Ruhig ist vielleicht das falsche Wort, aber die Songs sind ein bisschen komprimierter, weil ich jetzt ein eigenes Ventil für die Härte habe.“
Hinterfragen und überlegen
Die Prinzipien Optimismus und Hoffnung hat Bruno nicht zufällig gewählt. „Ich finde nicht, dass die Welt ein hässlicher Ort ist. Es sind die Regierungen und Politiker, die den Ort hässlich machen. Ich bin gerade viel auf Tour und treffe unzählige Menschen. Fast alle davon sind gute Leute, absolut in Ordnung. Nur wenn du dir die Nachrichten und die gesteuerten Medien ansiehst, glaubst du, wir wären alle kurz vor dem Bürgerkrieg. Die Realität vermittelt mir ein anderes Bild.“ Auf „The Phantom Five“ erweist sich Bruno einmal mehr als kundiger Klangtüftler, der gerne nach neuen Wegen sucht und sich selbst herausfordert. „Das ist das Prinzip meines Lebens. Mir war es schon immer suspekt, wenn mir eine gerade Linie zu einem Ziel gezeigt wurde. Ich habe das immer hinterfragt und überlegt, ob ein anderer Weg nicht lohnenswerter wäre.“
Das Hinterfragen von Autoritäten und scheinbaren Besserwissern hat sich beim 45-Jährigen in den letzten Jahren verstärkt. Einerseits durch unzufriedenstellende Erfahrungen mit Plattenfirmen, andererseits durch die Pandemie. „In Kalifornien wurden Surfer angezeigt und teilweise eingesperrt. Das musst dir mal vorstellen. Surfen zu gehen ist so etwas wie der Inbegriff des Social Distancing. Unglaublich deprimierend.“ Solche Erfahrungen führten dazu, dass er die Seele und das Wesen von Punk Rock heute anders sieht. „Diese Surfer sind für mich Punk Rocker. Für mich sind es Menschen, die Optimismus vermitteln und das Positive hervorkehren. Früher war ich da auch anders gepolt, aber seit so viele Staatenlenker die Welt brennen sehen wollen, muss der Punk Rock neu gedacht werden.“ Die musikalische Breite auf dem neuen Album ist Brunos breiter Interessenslage geschuldet. „Ich fühle mich wie der Indiana Jones der Musik, weil ich immer nach Neuem und nach Verbindungen suche.“
Hommage an die Jugend
Als Punk-Rock-Statement können auch Cover-Artwork und Grobkonzept von „The Phantom Five“ herangezogen werden. „In erster Linie klang der Titel einfach cool, so eine Idee muss man schnell umsetzen“, lacht der Sänger, „er hat aber einen dystopischen Touch. Es geht um fünf Menschen, die in einer restriktiven Welt die ultimative Freiheit besitzen, die Musik zu hören, die sie hören wollen und die Filme zu sehen, die sie sehen wollen. So wie sich die Welt gerade entwickelt, muss man für diese Freiheiten kämpfen und ich hoffe inständig, dass ich eine weitere Verschlechterung nicht mehr erlebe.“ Der Titel hat durchaus sarkastische und humorige Züge, aber in erster Linie ist er eine Hommage an die jugendliche Ungezwungenheit und das Prinzip, sich nicht in Ecken drängen zu lassen.
Zu einem kleinen Schock im Awolnation-Fancamp führte die Nachricht, dieses fünfte Studioalbum könnte auch das letzte sein. Von einem geplanten Ende kann keine Rede sein, allerdings reflektiert Bruno mittlerweile mehr als früher. „Ich bin Vater von zwei Zwillingsbuben geworden. Es ist unglaublich zu sehen, wie sie auf Töne und Kadenzen reagieren und dabei fast in Trance verfallen. Und ja, jedes Klischee stimmt. Alles andere steht im Leben zurück, inklusive mir selbst. Ich bin in einer sehr ego-getriebenen Welt unterwegs, aber daheim bin ich die mit Abstand unwichtigste Person im Haus. Jetzt noch zu touren ist okay, aber wenn sie vier oder fünf sind, will ich das Aufwachsen miterleben. Ich weiß nicht, ob ich dann dauernd auf Tour sein kann. Es könnte also das letzte Awolnation-Album sein, es könnten aber auch noch zehn weitere folgen. An diesem Punkt im Leben kann ich nur einfach nicht mehr alles planen.“
Österreich-Gig soll folgen
Offenheit und Neugierde bleiben die wichtigsten musikalischen Parameter im Leben von Aaron Bruno und seinen Projekten. Mit dem „Phantom Five“-Song „Barbarian“ hat er sogar eine direkte Überleitung zu seiner zuvor erwähnten Hardcore-Band. „Das Barbarians-Album kommt wahrscheinlich im Oktober. Inhaltlich und konzeptionell ist es als eine Art Doppelalbum gedacht, nur aus musikalisch völlig verschiedenen Blickwinkeln.“ Auf einen Österreich-Livetermin Awolnations müssen wir noch warten, Bruno verspricht aber, 2025 nach Europa zu kommen. „Ich bin mir sicher, es wird sich etwas finden lassen.“
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