In der Sky-Dokumentation „Klitschko: Der härteste Kampf“ zeichnet Regisseur Kevin Macdonald ab 13. September das Kriegsleid in der Ukraine nach und vermengt es mit einem Psychogramm über die Klitschko-Brüder Vitali und Wladimir. Dabei tat sich ein überraschend ausgeuferter Konflikt auf.
Boxweltmeister, Politiker, Hoffnungsträger für eine ganze Nation – der Ukrainer Vitali Klitschko gehört zusammen mit seinem Bruder Wladimir zu den vielseitigsten und beeindruckendsten Persönlichkeiten der Gegenwart. Vitali lenkt als Bürgermeister von Kiew seit 2014 die Geschicke der ukrainischen Hauptstadt, Wladimir arbeitet hinter den Kulissen unermüdlich daran, dass der Ukraine im Krieg gegen Russland von Deutschland und Co. Unterstützung zukommt. Mit „Klitschko: Der härteste Kampf“ (Sky, ab 13. September) ist ab Spätsommer eine Dokumentation streambar, die es in sich hat. Der Oscar-gekrönte Regisseur Kevin Macdonald („Ein Tag im September“) wollte eigentlich eine Doku über den Krieg in Kiew drehen, wie er der „Krone“ im Interview verrät. „Mit den Klitschkos haben wir dann Kontakt aufgenommen, weil ich ein Publikum außerhalb des News-Zirkels haben wollte. Menschen, die sich weder nur für den russischen Angriffskrieg, noch nur für das Boxen interessieren.“
Überraschender Konflikt
Eine ungewollte Schlüsselrolle im Film nimmt der Konflikt zwischen Vitali Klitschko und Ukraines Staatspräsident Wolodymyr Selenskyj ein. Schon vor Beginn ihrer politischen Karriere konnten sich die beiden nicht leiden, in der größten Krise des noch jungen Staates herrscht aktuell bedrückende Funkstille. „Das war uns in dem Ausmaß nicht klar. Vitali hat uns irgendwann gesagt, er hätte Selenskyj seit Ausbruch des Krieges nicht mehr gesehen. Ich meine – die Büros der beiden sind etwa ein oder zwei Kilometer voneinander entfernt. Am Ende war uns wichtig, den Konflikt zu zeigen, wir wollten ihn aber nicht überbewerten. Mir war wichtig, die Ukraine und seine tapferen Bewohner positiv zu zeigen und durch diese Fehde kein falsches Licht auf das Land zu werfen.“
Wie so viele Menschen war auch Macdonald vom brutalen Angriffskrieg erschüttert und wollte mit der Dokumentation ein Statement setzen. „Die Ukraine kämpft für die Freiheit. All das, was wir gewohnt sind und was die Welt besser macht. Das wollte ich zeigen. Der Streit zwischen Klitschko und Selenskyj ist persönlicher Natur. Sie haben eine ähnliche Weltanschauung und liegen gar nicht weit voneinander entfernt. Es war interessant zu sehen, wie solche Friktionen selbst im Krieg nicht ganz wegfallen können.“ Das Filmteam folgt Vitali Klitschko in sein Büro, zu internationalen Polit-Verhandlungen, aber auch zu seiner geliebten Mutter, seinen beiden Söhnen und der Ex-Frau, die sich 2022 von ihm scheiden ließ. So wurde aus der geplanten Kriegsdokumentation plötzlich auch eine sehr persönliche Lebensschau eines Workaholics mit Sinn für Gerechtigkeit und Frieden.
Einen hohen Preis zahlen
„Für dieses Projekt brauchte es Emotionen und einen tieferen Blick nach innen“, führt Macdonald aus, „Mama Klitschko etwa ist eine liebevolle, warmherzige Person. Durch sie habe ich ihre Söhne auch besser verstanden und aus einem anderen Blickwinkel kennengelernt. Vitali für alle da sein und ihnen helfen. Er arbeitet rund um die Uhr für sein Land und die Freiheit, dafür hat er seine Ehe und sein Privatleben geopfert. Er zahlt für sein Engagement einen hohen Preis.“ Beide Klitschkos sind millionenschwer und könnten sich auch in einem sicheren Land zurücklehnen. „Darum geht es ihnen aber nicht. Sie sind sehr spezielle Charaktere, die mit unheimlich viel Disziplin erzogen wurden und bei denen es immer ums Gewinnen ging. Aufgeben ist keine Option. Sie zeichnet eine besondere Form von Courage und Resilienz aus.“
In der knapp 100-minütigen Dokumentation folgt man Vitali Klitschko nicht nur in der Gegenwart. Macdonald bekam Archivmaterial aus Trainingssessions der Brüder aus der Sowjetunion zur Verfügung gestellt. Boxszenen und Triumphe werden mit aktuellen Kriegsgräueln vermengt. Immer wieder überraschen Details aus früheren Zeiten. Etwa wie sich die beiden nicht für den schillernden Box-Promoter Don King als Manager entscheiden, sondern ihren Karriereweg über Deutschland machen, oder wie sie das offene Wesen der USA entdecken und die jahrelang eingepflanzte sowjetische Propaganda in ihren Köpfen zu bröckeln beginnt. „Selbst als sie in Deutschland lebten, sind sie mit dem Auto immer wieder über Polen heim in die Ukraine gefahren. Diese Heimatverbundenheit war nie weg. Völlig egal, wie erfolgreich und international bekannt sie waren.“
Heroischer Held
Das Psychogramm der Klitschkos zeigt auch das blinde Verständnis zwischen ihnen und lässt Raum für Humor und Leichtigkeit, die der harten Realität trotzend nie ganz abhandenkommen. „Die Ehrlichkeit, die sie mir in unseren Gesprächen und beim Filmen vermittelten, war unglaublich. Am Ende war es gar nicht so leicht, keinen Propagandafilm zu machen“, lacht Macdonald, „Vitali ist ein geborener Held. Einen Helden kann man nur heroisch darstellen und ich wollte davon auch nichts nehmen, weil ich ihn selbst so sah und erlebte. Wie jeder andere Mensch auch hat er seine negativen Eigenschaften und Schwächen, aber die sind aufgrund seiner positiven Strahlkraft verschwindend. Er ist eine geborene Vaterfigur mit einer schützenden Hand. In Zeiten wie diesen brauchen wir solche Helden.“
Beim Filmen hatte Macdonald freie Hand. „Wir durften nicht bei allen politischen Sitzungen dabei sein, was klar war. Ansonsten ist alles so zu sehen, wie wir es erlebt haben. Wir haben nur teilweise Gesichter gepixelt, Namen verändert oder Security-Mitarbeiter weggeschnitten, um die Sicherheit der Menschen zu gewährleisten.“ Was sind Macdonalds wichtigste Erkenntnisse nach einem Jahr Dreh mit den Klitschkos? „Ich habe eine noch größere Bewunderung für die Ukrainer als je zuvor. Sie leben ihr Leben so normal wie möglich und lassen sich nicht unterkriegen. Es gab Tage, da haben wir vergessen, dass überhaupt Krieg herrscht, weil vieles seinen normalen Gang geht. Sie kämpfen für ihr Land, für die Demokratie und für die richtigen Werte. Vor allem kämpfen sie um ihre Unabhängigkeit – und das ist etwas, für das jedes Land auf dieser Welt kämpfen sollte.“
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