Festival-Halbzeit

Frequency: „Es ist verdammt heiß bei euch“

Musik
16.08.2024 03:49

Kein Ende der Hitze in Sicht – auch am zweiten Tag litten rund 45.000 Besucher an den Rekordtemperaturen dieses Sommers. Musikalisch eingeheizt wurde von unterschiedlichen Top-Acts wie Apache 207, The Offspring und der famosen Britin Raye. Heute geht es mit RAF Camora, Cro und Louis Tomlinson weiter.

(Bild: kmm)

Nach dem hitzigen, aber musikalisch soften Start am Mittwoch drehten viele Künstler den Partylevel am ersten offiziellen Frequency-Festivaltag auf Anschlag. Zwischen Hyperpop, Techno, Punkrock und Old-School-Rap reicht die Range mittlerweile, was dem Traditionsevent im St. Pöltner Green Park eine gewisse Einzigartigkeit gibt. Doch die Vermischung all der Stile und Substile ist mitnichten nur als Kraut-und-Rüben-Unordnung zu betrachten, es spiegelt auch das Hörverhalten der jüngeren Generationen wider. Spotify-Playlists halten sich nicht an althergebrachte Konsumformeln. Gehört wird, was gefällt. Da passt Skibrillen-Partyrapper Ski Aggu schon mal direkt auf die norddeutschen Punkrocker Feine Sahne Fischfilet und die US-Punkrock-Urgesteine Rise Against teilen sich die Bühne am selben Tag mit der deutschen Rapperin Badmómzjay.

Wasserspender sorgten auch auf dem Hauptgelände für wohltuende Abkühlung. (Bild: Andreas Graf)
Wasserspender sorgten auch auf dem Hauptgelände für wohltuende Abkühlung.

Flucht vor der Hitze
Der größte Gegner aller bleibt – wie schon am Warm-Up-Tag – die unbarmherzige Sonne. Am Donnerstag zieht zumindest ein leichter Wind über die Schotter- und Betonpisten des Green Parks, aber erste Acts wie die fantastische Amerikanerin Upsahl oder das schräge Ska-Partykollektiv Querbeat spielen fast noch unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Ähnlich auch drüben auf der Green Stage, wo die beiden Amerikaner Joey Valence & Brae bei ihrem Österreich-Debüt eine wundervolle Kante Old-School-Hip-Hop im besten Cypress Hill-Stil zum Besten geben, aber nur auf zwei Handvoll wackere Hartgesottene treffen. Wer sich in der Traisen kühlen kann, nützt das. Wer vielleicht nicht campt und daheim das Glück eine Klimaanlage hat, kommt auch lieber erst am Abend.

Gerade zu Mittag und am frühen Nachmittag waren die Temperaturen so hoch, dass die Traisen die gewünschte Abkühlung bot. (Bild: Andreas Graf)
Gerade zu Mittag und am frühen Nachmittag waren die Temperaturen so hoch, dass die Traisen die gewünschte Abkühlung bot.

Verwaist sind lange Zeit auch die Essensstände, dafür werden die (immer noch zu wenigen) Wasserstationen verständlicherweise wortwörtlich überflutet. Das musikalische Programm ist dabei gerade an diesem Tag über alle Zweifel erhaben. Kenya Grace würde mit ihrer schrägen Laptop-Kunst dabei besser in einen stickigen Indoor-Club passen, der Indie-Elektronik-Punk-Popper Grandson vermischt dafür Stile so geschickt und behände wie niemand sonst. Auf der Space Stage verwebt Skibrillenfetischist Ski Aggu dabei seine Ballerbeats mit Deutschrap und Schlager-Derivaten. Dazwischen bleibt Zeit, um sich beim heimischen Publikum einzuschleimen, weil er dem Schiedsrichter im EM-Achtelfinale die Schuld an Österreichs Ausscheiden gibt und dafür tosenden Applaus erntet.

Viele Fans trotzten der Gluthitze und feierten ihre Helden schon am Nachmittag ab. (Bild: Andreas Graf)
Viele Fans trotzten der Gluthitze und feierten ihre Helden schon am Nachmittag ab.

Zukunftsträchtiges
Die Bühnenrequisite erinnert an eine Art Spiegelkabinett-Seilbahn – Tirols Nationalratsabgeordneter Franz Hörl hätte seine helle Freude damit. Frequency und Ski Aggu, das passt jedenfalls zusammen. „Ich finde es so geil hier, dass ich die nächsten zehn Jahre wohl immer wieder kommen werde“, spricht er freudig mit verdrecktem T-Shirt ins Publikum. Spannende Geheimtipps sind für gewöhnlich auf der Red Bull Stage im VAZ zu finden. Levin Liam und Domiziana könnten tatsächlich eine spannende Zukunft vor sich haben. Die deutsche Hyper-Pop-Elektronikerin Baby B3ns lässt Animes über die Leinwand laufen und setzt auf Autotune, bevor der britische Durchstarter Artemas seinen mystischen Pop mit R&B-Zitaten und melancholischer Stimme durchzieht. An den Frontmann-Qualitäten muss er noch feilen, dafür hat er vor seinem ersten Österreich-Gig zwei Tage in Wien verbracht, wie er der „Krone“ vorher im Interview verrät. „Ich hätte mir nicht gedacht, dass es so verdammt heiß bei euch ist“. Wir auch nicht.

Der Freund aller Tiroler Seilbahnenbesitzer: Deutschlands Schlager-Rap-Wunder Ski Aggu genießt schon sowas wie Heimvorteil. (Bild: Andreas Graf)
Der Freund aller Tiroler Seilbahnenbesitzer: Deutschlands Schlager-Rap-Wunder Ski Aggu genießt schon sowas wie Heimvorteil.

Die Punkrock-Staffelübergabe findet derweil auf der Space Stage statt. Der Brite Yungblud ist mittlerweile Österreich-Veteran und auch wenn zwei Drittel des Ski-Aggu-Publikums Richtung Campingplatz oder nächster Bierhütte abwandert, die Übriggebliebenen feiern ihren britischen Helden wie Mick Jagger. Als geborene Bühnen-Frontsau lässt er nicht nur eine fulminante Pyroshow vom Stapel, sondern bittet auch die überglückliche Wienerin Viktoria auf die Bühne, die während des Songs „Fleabag“ (durchaus kundig) Gitarre spielt, sich im breitesten Wienerisch bei den Fans für den Zuspruch bedankt und von ihrem Helden dann am Ende noch eine Gitarre geschenkt bekommt. Das nennt man Dienst am Fan. Die Oldies von Offspring sind wesentlich routinierter, aber auch längst abgeklärt. Die ersten Single-Auskoppelungen des im Oktober erscheinenden Albums lassen Übles vermuten, mit den Klassikern aus den 90er- und 2000er-Jahren kann man aber nach wie vor nichts falsch machen.

Treibt den Punkrock erfolgreich durch das 21. Jahrhundert: Yungblud zeigt sich gerne fandienlich. (Bild: Andreas Graf)
Treibt den Punkrock erfolgreich durch das 21. Jahrhundert: Yungblud zeigt sich gerne fandienlich.

Wieder deutlich verbessert
Die Kalifornier sind mit einer konstanten Regelmäßigkeit sommers auf heimischen Bühnen zu sehen, so wie morgens ein neuer Tag anbricht. Aus dem Punkrocker Dexter Holland wurde mittlerweile ein diplomierter Molekularbiologe, dementsprechend hat sich auch der Look verändert. Mit orangem Hemd und Krawatte wirkt er wie eine Mischung aus Investmentbanker und Michael Douglas in „Falling Down“. Den Punkrock-Faktor hält Gitarrist Noodles hoch, der sein ergrautes Haupthaar mittlerweile mit tonnenweise Färbemittel auf jugendlich lenkt. Bei den vielen Ups and Downs, die Offspring live in den letzten Jahren hierzulande erlebt haben, ist diese Show definitiv im oberen Qualitätssegment anzusiedeln. Manchmal kehren die alten Besen noch gut, nur halt nicht immer.

Eine Mischung aus Investmentbanker und Punk-Senior: Dexter Holland von The Offspring. (Bild: Andreas Graf)
Eine Mischung aus Investmentbanker und Punk-Senior: Dexter Holland von The Offspring.

Die wohl wertvollste Perle des Festivals spielt indes fast vor Ausschluss der Öffentlichkeit auf der Green Stage. Die Britin Raye, Stimmwunder mit ghanaisch-schweizerischen Vorfahren, hat für „My 21st Century Blues.“ den renommierten BRIT-Award für das „Album des Jahres“ abgeräumt und gilt völlig zu Recht als einer der aufstrebenden Stars auf der Insel. Während in der Rollerdisco und auf der Wodka-Stage etwa 50 Meter entfernt derbe Techno-Beats über das Schottergelände ballern, setzt Raye auf die zartesten Momente des ganzen Festivals. Bühnendeko und Band sind in Reinweiß gehalten, ein Bläser-Trio sorgt für Big-Band-Feeling und ein echtes Klavier duelliert sich mit Beats, die in Rayes Mischung aus Soul, R&B und Pop verknüpft werden.

Erste Künstlerin auf der Space Stage: Upsahl vermischt Pop mit Punk-Attitüde. (Bild: Andreas Graf)
Erste Künstlerin auf der Space Stage: Upsahl vermischt Pop mit Punk-Attitüde.

Charisma und Melodien
Obwohl der Sound meilenweit vom Rest des Festivals entfernt ist und sie mühevoll gegen die Geräuschkulissen aus allen Richtungen ankämpfen muss, brilliert Raye mit nachdenklichen, teilweise sehr persönlichen Texten und einer Stimm-Range, die beeindruckt. Das Publikum ist nicht allzu zahlreich vorhanden, dafür in den vorderen Reihen textsicher und begeistert. Es müssen nicht immer nur Gitarrengeschrammel und Beat-Stafetten sein, manchmal reichen auch pures Charisma, zarte Melodien oder eine eingespielte Band, die sich trotz ernster Themen nicht vor humorigen Einflüssen fürchtet. Ein Triumphzug, der allerdings am falschen Platz stattfand. Raye und Band würde man am liebsten im Wiener Konzerthaus genießen. Eine geschätzte Kollegin schlägt die Arena vor. Durchaus auch legitim.

Eine Naturgewalt in allen Belangen – die Britin Raye war die Gewinnerin des zweiten Tages. (Bild: Andreas Graf)
Eine Naturgewalt in allen Belangen – die Britin Raye war die Gewinnerin des zweiten Tages.

Bei den Headlinerpositionen werden die Bühnenthematiken geswitcht. Der Punkrock zieht Richtung Green Stage, wo die Festival-etablierten Rise Against aus ihrem reichhaltigen Backkatalog zitieren und (links)politische Botschaften mit brachialen Riffs und viel Spielfreude mischen. So schön, so nicht neu, aber Gitarrenbands mit Punk-Attitüde und Message funktionieren immer. Die Space Stage beschließt der Mannheimer Rapper Apache 207, der zuletzt mit einigen Singles wieder verstärkt ins Rampenlicht zurückkehrte. Der Frequency-Auftritt vor zwei Jahren zeigte durchaus Schwächen im Live-Segment auf, so richtig schwungvoll und durchdringend klappt eine Apache-Show auch heuer noch nicht. Die Spielfreude in den Songs wird oft durch ausgedehnte Interludes und holprige Ansagen verwässert. Nach einem Stimmungsabriss wie bei The Offspring ist das Nachlegen aber auch schwierig. Tag drei bringt heute wieder hohe Temperaturen und Acts wie RAF Camora, Cro, Louis Tomlinson und das hippe Elektro-Kollektiv Brutalismus 3000.

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