Faustpfand-Strategie

Was passiert, wenn Kiew Putins Gas abdreht?

Außenpolitik
16.08.2024 22:37

Die Ukraine hat angekündigt, in der besetzten russischen Gas-Stadt Sudscha eine Militärbasis errichten zu wollen. Für die heimische Energieversorgung sind diese Entwicklungen besonders relevant. Österreich ist von dem Knotenpunkt in höchstem Maße abhängig – zumindest bis jetzt.

„Die Suche und Vernichtung des Feindes in der Ortschaft Sudscha ist abgeschlossen“, teilte der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj am Mittwoch in seiner Videoansprache mit. Was nach einer unbedeutenden Ortschaft klingt, ist aber eine der wichtigsten Drehscheiben von Kremlchef Wladimir Putins Gas-Imperium.

Die Ukraine geht militärischen Beobachtern zufolge nun nach dem Faustpfandprinzip vor. Durch die massenhafte Inhaftierung russischer Soldaten und Besetzung kritischer Infrastruktur erhoffe sich die ukrainische Führung eine verbesserte Verhandlungsposition. Selenskyj selbst spricht von einem „Austauschfonds“, der sich vor allem mit der Eroberung von Sudscha dramatisch gefüllt hat. 

Wichtiger Transportweg in der Schwebe
Die russische Kleinstadt in der Oblast Kursk beheimatet einen großen Gas-Knotenpunkt des Gazprom-Imperiums, über den Putins Gas durch die Ukraine in die Slowakei, nach Österreich und in andere EU-Länder gepumpt wird. 2023 wurden über Sudscha etwa 14,65 Milliarden Kubikmeter Gas bereitgestellt. Das entsprach etwa der Hälfte der russischen Erdgas-Exporte nach Europa oder etwa fünf Prozent des EU-Verbrauchs.

Die Gazprom-Falle

  • Der Gasliefervertrag zwischen der OMV und Gazprom, der 2028 auslaufen sollte, wurde 2018 feierlich bis zum Jahr 2040 verlängert.
  • Die Konsequenz: Gazprom liefert, die OMV muss bezahlen, selbst wenn sie das Gas nicht mehr benötigt. Hier wurden Zahlungsgarantien nach dem „Take or Pay“-Prinzip eingegangen.
  • Unklar ist, wie das Gas ab 2025 nach Österreich kommen soll, da die Ukraine einen Transitvertrag mit Putin nicht verlängert hat.
  • Die ukrainische Invasion und die Besetzung von Sudscha tragen nun zur Unsicherheit bei.

Österreich ist von diesem Transportweg in besonderem Maße abhängig. Zur Einordnung: 2024 kam ein Großteil aller heimischen Gasimporte noch immer aus Russland – mit Spitzenwerten von bis zu 97 Prozent (Jänner). Den NEOS zufolge hat Österreich dem Kreml bis inklusive Mai mehr als 11 Milliarden Euro für russisches Gas überwiesen. 

Ministerium sieht Österreich gut aufgestellt
Was bedeutet der ukrainische Feldzug also für heimische Verbraucher? Aus dem grünen Energieministerium heißt es auf „Krone“-Anfrage, dass unsere Energieversorgung laut „aktuellen Prognosen“ gesichert sei. 

„Es stehen ausreichend Transportkapazitäten für nicht-russisches Erdgas nach Österreich zur Verfügung. In diesem Sommer wird auch die Gaspipeline von Italien nach Österreich ausgebaut – dann können hier nochmals größere Gasmengen nach Österreich transportiert werden“, erklärt das Ministerium von Leonore Gewessler (Grüne).

Situation birgt Risiken
Doch jetzt gebe es für Energieversorger keine Ausreden mehr. „Die OMV hat deshalb auch in großem Umfang nicht-russisches Erdgas beschafft.“ Aktuell gebe es nur eine Gewissheit: „Russische Gaslieferungen sind unsicher.“ Aufgrund des Verlaufs der Pipeline durch ein Kriegsgebiet seien auch Schäden an der Infrastruktur nie vollständig ausgeschlossen.

Unabhängig davon, wie es im ukrainischen-russischen Konflikt weitergehe, habe Putin bereits bewiesen, dass er sein Gas erpresserisch einsetze. Die Botschaft an den Koalitionspartner ÖVP und andere politische Mitbewerber lautet: „Deshalb hat das Klimaschutzministerium auch einen Gesetzesvorschlag zum Ausstieg aus russischem Erdgas vorgelegt. Dieser kann jederzeit beschlossen werden.“ 

Österreich will auf Deutschland und Italien setzen
Dem Energieministerium zufolge hat Österreich mittlerweile genügend Alternativen geschaffen, um eine sichere Versorgung zu gewährleisten. Neben den vollen Speichern seien auch die Importkapazitäten für nicht-russisches Erdgas über Italien und über Deutschland groß genug.

Putin hatte die Gaslieferungen nach Österreich Ende 2022 massiv gedrosselt. (Bild: AFP/Kirill MOROZOV)
Putin hatte die Gaslieferungen nach Österreich Ende 2022 massiv gedrosselt.

Dadurch könne etwa Flüssigerdgas (LNG) oder norwegisches Gas nach Österreich gebracht werden. „Mit dem Ausbau der Gaspipeline aus Italien, der im Sommer abgeschlossen wird, steigt der Sicherheitspolster nochmals.“ Endgültige Entspannung gebe es aber nur mit einer vollen Unabhängigkeit von russischem Gas.

Wie billig ist „billiges“ Russen-Gas?
Aufgrund der unsicheren Entwicklung können Preisschwankungen nicht ausgeschlossen werden. Das Preisschild hänge in einem „stark liberalisierten Gasmarkt von vielen Faktoren“ ab – wenngleich in geringerem Ausmaß als 2022.

Wichtig sei vor allem: „Der Mythos vom billigen russischen Gas hat mit der Realität nichts zu tun. Wenn man die Börsenpreise in Österreich und Deutschland vergleicht, sieht man sehr deutlich, dass Deutschland kein Russen-Gas mehr importiert und die Preise trotzdem niedriger als in Österreich sind.“

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