Ein Jahr ist der Flugzeugabsturz von Wagner-Chef Jewgenij Prigoschin mittlerweile her. Dennoch spielen die russischen Söldner nach wie vor eine wichtige Rolle – nämlich in Afrika.
„Trotz des Todes von Prigoschin und der Umbenennung zu Afrika-Korps wird der Fußabdruck von Wagner auf dem Kontinent wahrscheinlich weiter zunehmen“, meinen Analysten der Konfliktdatenorganisation Acled. Im ersten Halbjahr 2024 habe es in Afrika mehr Vorfälle politischer Gewalt durch russische Söldner gegeben als zu Lebzeiten Prigoschins.
Der Geschäftsmann Prigoschin hatte seit 2014 faktisch eine Privatarmee aufgebaut – die Wagner-Söldner kämpften nicht nur in der Ukraine, sondern auch erst in Syrien, dann vor allem auf dem afrikanischen Kontinent im Interesse Moskaus. Im Juni 2023 startete Wagner einen bewaffneten Aufstand gegen den Kreml. Am 23. August 2023 stürzte Prigoschins Flugzeug mit ihm und seinen engsten Verbündeten ab – ohne Überlebende.
„Überlebenspaket für das Regime“
Als „Überlebenspaket für das Regime“ beschreiben Experten in einem Panel des US-Thinktanks Brookings Prigoschins lukrativste Dienste: Die Russen stellten Paramilitärs etwa zum Schutz von Präsidenten oder der Bekämpfung von Aufständischen – mit jeglichen Mitteln, darunter auch Massakern, Vergewaltigungen oder Folter von Zivilisten. Acled erfasste Gewalt in Verbindung mit Wagner in Libyen, der Zentralafrikanischen Republik, Mali, Mosambik und dem Sudan sowie Grenzgebieten im Tschad und Mauretanien.
Seit Prigoschins Tod liegt die Kontrolle über die neue paramilitärische Struktur namens Afrika-Korps zwischen Moskaus Verteidigungsministerium und dem Militärgeheimdienst GRU. „Der Kreml will Wagner immer noch als geopolitisches und wirtschaftliches Werkzeug benutzen. Aber er versucht das ohne Prigoschin und den Markennamen Wagner“, sagt der Forscher Mark Galeotti. Das gelang etwa in Libyen, wo die neuen Chefs die Wagner-Netzwerke zur Unterstützung des Generals Khalifa Haftar geräuschlos übernahmen.
Doch anderswo in Afrika herrscht Wagner weiterhin vor: „In der Praxis existiert die Wagner-Gruppe im Geiste noch immer. Die Angehörigen der Gruppe sehen sich selbst als die Wagner-Gruppe; das ist eine soziologische Sache“, schreibt Acled-Analyst Héni Nsaibia.
Der Sahel-Staat Mali kämpft sowohl gegen Separatisten als auch gegen islamistische Terrorgruppen und setzt, nachdem weder eine französische Anti-Terror-Mission noch UN-Blauhelmsoldaten das Land befrieden konnten, seit Ende 2021 auf Wagner-Paramilitärs. Seitdem waren die Söldner laut Acled an einem Drittel der Militäreinsätze beteiligt. 60 Prozent der gewalttätigen Vorfälle, an denen Wagner-Kräfte in dem Sahel-Staat beteiligt gewesen seien, hätten sich gegen Zivilisten gerichtet, berichtet die Organisation.
Gewaltfälle steigen
„Als Prigoschin starb, befand sich Mali bereits mitten in einer Militäroffensive zur Rückeroberung des Nordens des Landes“, schreiben die Acled-Analysten. Seitdem seien die Gewaltfälle unter Beteiligung russischer Söldner um 81 Prozent angestiegen. Erst vor wenigen Wochen erlebten die Russen dort mit bis zu 80 getöteten Söldnern ihre bisher tödlichste Niederlage.
Die bitterarme Zentralafrikanische Republik war das Wagner-Vorzeigeprojekt: Die Russen halfen der Regierung gegen Rebellen und gewannen weitreichenden Einfluss. In Bangui steht sogar ein Denkmal für die russischen Söldner. Doch in der Zentralafrikanischen Republik sei in den letzten Monaten ein erneuter Anstieg der politischen Gewalt zu beobachten, weil die Rebellen wieder aktiver würden, schreibt Acled.
Die Zahl der von der Wagner-Gruppe in diesem Jahr getöteten Zivilisten stelle bereits jetzt die Gesamtzahl des Jahres 2023 in den Schatten. Während die Führung nach Prigoschin ausgetauscht worden sei, blieben die Netzwerke im Land von Moskau unberührt – „nach dem Motto, wenn es nicht kaputt ist, sollte man es nicht reparieren“, sagt Wagner-Experte John Lechner.
Stabilität um jeden Preis
Bis Prigoschins Tod gab es in Malis Nachbarländern Burkina Faso und Niger trotz ebenfalls russlandfreundlicher Putschregierungen keine Wagner-Kräfte. Doch Anfang dieses Jahres zogen nun in beiden Hauptstädten je rund 100 Söldner des Afrika-Korps ein. Noch beschränkten sich diese Acled zufolge auf Ausbildungs- und Sicherheitsdienste – etwa als Leibgarde des burkinischen Juntachefs Ibrahim Traoré, der sich nach schweren Niederlagen seiner Armee gegen Terroristen immer mehr vor einem Gegenputsch fürchtet.
Auch andere afrikanische Länder könnten mittelfristig an dem Modell interessiert sein. Forscher sorgen sich um Staaten wie die Demokratische Republik Kongo und den kleinen Inselstaat São Tomé und Príncipe, die Militärabkommen mit Russland unterschrieben haben, oder Westafrikas Küstenstaaten, die Hilfe gegen Terrorgruppen aus dem Sahel brauchen.
„Wagners Verkaufsargument ist, dass sie den Auftrag umsetzen, den afrikanische Regierungen von ihnen wollen“, sagt Wagner-Experte Lechner. Die Russen hätten ein überzeugendes Produkt anzubieten: Stabilität um jeden Preis.
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