„Schneiders Brille“

„As hirbschtalat“

Vorarlberg
24.08.2024 16:55

Spüren Sie ihn auch schon, den Herbst? „Krone“-Kolumnist Robert Schneider sieht den Sommer jedenfalls unweigerlich dem Ende zugehen. Der Mann weiß die Zeichen der Natur zu deuten – auch dank seinem Vater.

„Du kannst schauen, wenn es in der dritten Augustwoche auch nur einen Tag lang regnet, wirst du am anderen Morgen die ersten gelben Blätter an der Buche sehen“, pflegte mein Vater zu sagen und deutete dabei auf einen alten, windschief gewachsenen Baum im Mischwald unterhalb unseres Hauses. Tatsächlich kam es so. Während die Laubbäume noch ihr sommerlich grünes Blattkleid trugen, und das noch lange, fingen an der besagten Buche die Blätter an zu welken. Dabei waren es nur drei oder vier Blätter an dem riesigen Baum. Aber die hatten sich tatsächlich in ein leuchtendes Gelb verwandelt. Wie im Handumdrehen waren die Wiesen am Morgen nicht mehr trocken, sondern nass. Dunst lag über dem Rheintal, und die eine oder andere Nebelschwade nistete sich, wenn noch nicht hartnäckig, unten im Tal ein. Es war die Luft, der Äther, ja das ganze Atmosphärische, das sich von einem Tag auf den anderen verändert hatte.

Mir blieb es immer schleierhaft, mit welcher Genauigkeit mein Vater das Wetter voraussagen konnte. „Wenn es über der Hohen Kugel schwarz wird, musst du dich beeilen. Das Gewitter kommt schnell“, predigte er fast gebetsmühlenartig. „Aber wenn es über den Schweizer Bergen dunkel wird, dauert es, bis Regen kommt.“ Nach diesen Beobachtungen richtete mein Vater das Einbringen des Heus. Er konnte fast bis auf die Minute genau voraussagen, wann die ersten Tropfen fallen werden.

Dabei schaute er nie den Wetterbericht im Fernsehen an. Darauf gab er nichts. „Der gilt doch nur für die Wiener“, bemerkte er abschätzig, denn die Wiener mochte er nicht. Er hatte im Krieg eine unliebsame Erfahrung mit einem Wehrmachtsoldaten aus Wien gemacht. Darum mochte er die Wiener nicht mehr.

Er vertraute lieber dem Barometer, das in der Stube hing, ein in Holz gefasstes Ding mit einer Quecksilberkugel in einer schlanken Glassäule. Jeden Abend tippte er mit dem Zeigefinger gegen das Glas, studierte die Messskala. Mich begann das leidenschaftlich zu interessieren. Vielleicht, weil mein Vater so lange und ernsthaft drauf blickte. Eines Tages nahm ich es von der Wand, um dem Geheimnis des Wetters auf die Spur zu kommen. Das Glas zerbrach, die Quecksilberkugel sprang heraus und zerteilte sich auf dem Holzboden in zig neue Quecksilberkügelchen.

An jenem Abend hat es schließlich auch für mich „ghirbschtalat“, um es gelinde auszudrücken.

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