Das blutige Messerattentat von Solingen hat eklatante Mängel in der deutschen Asylkette offengelegt. Bundeskanzler Olaf Scholz wärmt nun alte Versprechen auf, während seine Parteikollegen die bisherige Politik verteidigen. Dabei werden blinde Flecken im System immer offensichtlicher.
Der deutsche Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte die Asylfrage Ende 2023 zur Chefsache. In einem Interview mit dem „Spiegel“ kündigte er an, dass er im „großen Stil“ Menschen abschieben wolle. Heute darf behauptet werden: Der ansonsten schweigsame Sozialdemokrat hat den Mund wohl zu voll genommen. Denn in den meisten Fällen blieb es bei der Ankündigung.
Seither wurde Deutschland von mehreren Anschlägen heimgesucht. Scholz hatte als Konsequenz aus der tödlichen Messerattacke von Mannheim im Juni angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen und terroristischen „Gefährdern“ nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen. Gelungen ist das bisher nicht.
Eklatante Mängel im Abschiebeverfahren
Am Freitagabend der nächste Schock: Bei einem Stadtfest in Solingen (Nordrhein-Westfalen) sind drei Menschen mit einem Messer getötet worden. Acht Menschen wurden verletzt, vier davon schwer. Der mutmaßliche Täter ist ein 26-jähriger Syrer, der IS hat die Bluttat für sich reklamiert. Der Fall legt die Fehler im System schonungslos offen:
Union fordert Aufnahmestopp
In Deutschland ist eine Debatte darüber entbrannt, wie der Asylprozess vom Antrag bis zu einer potenziellen Abschiebung reformiert werden könnte. CDU-Chef Friedrich Merz plädierte etwa für einen radikalen Aufnahmestopp für Flüchtlinge aus Syrien und Afghanistan. Wie dies rechtlich umgesetzt werden soll, ließ er offen.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder von der CDU-Schwesterpartei CSU forderte eine striktere Abschiebepraxis für abgelehnte Personen. Zuletzt sorgten in Deutschland auch Fälle von Asylwerbern für Aufmerksamkeit, die trotz ihres Flüchtlingsstatus in ihren Heimatländern Urlaub machten.
CDU-Chef Merz skizziert seinen Asyl-Plan:
„Nach #Afghanistan und #Syrien kann auch abgeschoben werden. Dagegen wehren sich Teile der #Grünen bis heute. Ich habe dafür kein Verständnis mehr. Der Schutz der Bevölkerung ist die wichtigste Aufgabe, der Politik. Das muss jetzt absolute Priorität haben.“ (tm) @ARDdepic.twitter.com/z10Y9Sp0jz
— Friedrich Merz (@_FriedrichMerz) August 25, 2024
„Ich fordere Scholz auf, mit uns zusammen schnell Entscheidungen zu treffen, die konsequent darauf ausgerichtet sind, weitere Terroranschläge zu verhindern. Nach Syrien und Afghanistan kann abgeschoben werden, weitere Flüchtlinge von dort nehmen wir nicht auf“, erhöhte Merz nun den Druck auf Kanzler Scholz.
SPD lässt CDU abblitzen
Der „Ampel“-Chef wiederum forderte, der Täter müsse „mit der vollen Härte des Gesetzes“ bestraft werden. Als Reaktion auf den tödlichen Messerangriff von Solingen hat Scholz am Montag eine rasche Verschärfung des Waffenrechts in Aussicht gestellt. Wieder versprach er: „Das soll und das wird jetzt auch ganz schnell passieren“, versicherte der SPD-Politiker bei seinem Besuch in Solingen.
Und er sagte, was er bereits nach Mannheim erklärte: Scholz wolle nun schneller abschieben. Notfalls „mit rechtlichen Regelungen“, was wenig bahnbrechend klingt. Abschiebungen von Dublin-Fällen, die sich zuerst in anderen Ländern Europas aufhielten, müssten vorangebracht werden. „Da wird es sicherlich sinnvoll sein, eine Taskforce zu etablieren, die das genau studiert“, sinnierte Scholz.
Über Parteichefin Saskia Esken und SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert ließ Scholz zudem CDU-Chef Merz abblitzen. Die Aufnahmestopp-Pläne des Oppositionsführers seien nicht umsetzbar, weil „die Verfassung, unsere Grundordnung, dem entgegensteht“, erklärte Kühnert in einem Interview. Die Antwort könne doch nicht sein, dass Menschen, die selber vor Islamisten fliehen, die Tür vor der Nase zugeschlagen werde, argumentierte Kühnert.
Sein Vorschlag: „Wir müssen Hassprediger gerade auch im Netz in den Blick nehmen, wir müssen gucken, wie die Radikalisierung stattfindet.“ An der vom Kanzler versprochenen Abschiebung von Intensivstraftätern werde gearbeitet.
SPD-Chefin findet Anschlag wenig lehrreich
Zur Wahrheit gehört auch, dass der mutmaßliche Attentäter von Solingen bisher nicht als „Gefährder“ auffällig wurde. Denn die Behörden hatten den Syrer nicht auf dem Schirm, die Terrorfrühwarnsysteme blieben stumm. NRW-Innenminister Reul will der Polizei nun mehr rechtliche Befugnisse einräumen, um „im Vorfeld“ Informationen zu sammeln. „Da tun wir uns in Deutschland irrsinnig schwer. Ich begreife das wirklich nicht mehr.“
Reul will der Polizei unter die Arme greifen:
"Seit Monaten weisen alle Innenminister darauf hin, dass wir eine große abstrakte Gefahr haben" @hreul zum Attentat von Solingen. #solingen#IS#Islamismus#miosgapic.twitter.com/ltQZefPYiz
— Caren Miosga (@CarenMiosgaTalk) August 25, 2024
Seine Worte finden bei den Sozialdemokraten jedoch wenig Anklang. SPD-Parteichefin Esken zufolge ließen sich aus dem Fall Solingen nur schwer Erkenntnisse gewinnen: „Aus diesem Anschlag lässt sich nicht viel lernen, weil der Täter nicht unter Beobachtung stand.“ Ihr Fazit: Die Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden „sei durchaus da“. Die Bundesregierung sei hier nicht untätig. Ihre Worte ließen politische Beobachter verwundert zurück.
Vor allem die Anonymität von Solingen bereite Kopfzerbrechen, genau an dieser Stelle sei ein Reflektieren – und infolgedessen ein Dazulernen – das Gebot der Stunde. Niemand hatte diesen Mann, der längst wieder in Bulgarien hätte sein sollen, auf dem Zettel. Wie soll auf eine Gefahr reagiert werden, die niemand kommen sieht?
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