Die Umfragen deuten darauf hin, dass die rechtsextreme AfD bei den Landtagswahlen im September in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg stark dazugewinnt – sie könnte teilweise sogar den ersten Platz erreichen. Laut Politologe Aiko Wagner sind die Wahlmotive überall dieselben, nur gebe es „mehr Menschen mit populistischen Einstellungen und gesellschaftspolitisch rechten Einstellungen in Ost- als in Westdeutschland“.
Wieso gerade in der ehemaligen DDR die Zustimmung für die AfD, die in Sachsen und Thüringen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextrem eingestuft wird, so groß ist, erklärt Wagner auch durch ihre Vergangenheit unter dem sozialistischen Regime. Der Politikwissenschafter von der Freien Universität Berlin führt aus, dass die DDR beschlossen hatte, ein antifaschistischer Staat zu sein und es damit die kritische Aufarbeitung, das „Hinterfragen, was das auch für uns heute noch bedeutet“, kaum gab. Außerdem habe Westdeutschland ein anderes Bild der Demokratie, da die Einführung dieser nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem einhergehenden wirtschaftlichen Aufschwung positiv assoziiert sei. Für Bürgerinnen und Bürger der ehemaligen DDR „war es ganz anders. Die Einführung der repräsentativen Demokratie nach bundesrepublikanischem Muster fiel in eine Zeit der Massenarbeitslosigkeit. Das heißt, dieser kognitive Link zwischen Wohlstand und Demokratie im Osten hat sich nie so entwickeln können wie im Westen“.
„Einzig wahre demokratische Partei“
Anna-Sophie Heinze, Politikwissenschafterin an der Universität Trier, verweist darauf, dass in Deutschland der Großteil der Bevölkerung die Demokratie als beste Staatsform sehe, mit dem derzeitigen Funktionieren der Demokratie allerdings weniger zufrieden sei. Die AfD kann das Heinzes Analyse zufolge gut aufnehmen, indem sie sich beispielsweise als „einzig wahre demokratische Partei“ bezeichnet. Schreckt in diesem Zusammenhang eine Partei, die vom Verfassungsschutz überwacht wird, nicht ab? Heinze beobachtet das nicht, eher sei es der AfD erfolgreich gelungen, zu sagen, „Jetzt erst recht“ und „Wir sind die einzig wahre Opposition, die einzig wahren Demokraten“.
Heinze beschreibt auch, dass die mangelnde gesellschaftliche Aufarbeitung der Wiedervereinigung Deutschlands und der Transformationserfahrungen der 1990er zu Denkmustern geführt haben, die sich bis heute verfestigten. Es besteht für sie unter ostdeutschen Bürgerinnen und Bürgern zum Teil das Gefühl, ihre Interessen und Bedürfnisse würden weniger gehört als die von Westdeutschen. Die AfD nehme das „perfekt auf“, spiele stark mit der „ostdeutschen Identität“ und stelle es als positiv dar, anders als Westdeutschland zu sein. Heinze erklärt diese Entwicklung auch damit, dass „die DDR nicht überall besonders kritisch aufgearbeitet wurde“.
„Gefühl, Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse zu sein“
Wagner erklärt überdies, dass der „Osten natürlich weiterhin deutlich hinter dem Westen liegt, was wirtschaftliche Kraft, Einkommen und Renten angeht“. Ob das erkläre, dass Wählerinnen und Wähler aus Protest gegen den Westen stimmen? Der Politologe würde eher einen generellen Unmut verorten, der zur Unterstützung populistischer Aufrufe gegen „die da oben“ führe. Abgesehen vom beschriebenen „Gefühl, Bürgerinnen und Bürger zweiter Klasse zu sein“, hätten viele Menschen in den ostdeutschen Bundesländern realpolitisch damit zu kämpfen, dass sie weniger Vermögen zu Verfügung haben. Wagner beschreibt, dass dadurch „wirtschaftliche Schocks – sei es durch Corona, die Inflation, die Wirtschaftskrise“ – im Osten schneller durchschlagen, „weil es einfach viel, viel weniger Vermögen gibt, was kurzzeitig den Mittelschichten erlaubt, mal auch Durststrecken zu überstehen“.
Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR sei bis heute wenig Vertrauen in die Politik und die politischen Parteien zu beobachten, verweisen die Politikwissenschafter darauf, dass es weniger Parteimitglieder und eine geringere Identifikation mit den etablierten Parteien gibt als in westdeutschen Bundesländern. Eine große Rolle spielt laut Heinze in diesem Zusammenhang auch, dass es „die AfD, aber auch die FPÖ geschafft haben, eine relativ stabile Organisation – auch mit teilweise kompetentem Personal und starken Jugendorganisation aufzubauen“. Das alles trage dazu bei, als wählbare Möglichkeit für viele Wählerinnen und Wähler zu erscheinen.
Der Osten ist rechter als der Westen
Des Weiteren seien die radikal bis extremen Rechten schon länger eine starke Kraft in Ostdeutschland. „Der Osten ist gesellschaftspolitisch konservativer oder rechter als der Westen“, meint Wagner. Um das zu erklären, wird wieder auf die Geschichte der DDR verwiesen. Beispielsweise gab es auf diesem Gebiet weniger Gastarbeitende. In der DDR lebende „Vertragsarbeiter“ – etwa aus Vietnam oder Kuba – wurden kaum in die Gesellschaft integriert, sondern eher in „extra Wohnblöcken“ untergebracht, erklärt der Berliner Politologe. Also zeige sich auch das Phänomen, dass weniger Kontakt zu Personen mit Migrationsgeschichte nicht nur zu größeren Vorbehalten führe, „sondern auch die Ablehnung und der blanke Rassismus“ stärker ausgeprägt seien.
In jedem Fall gehe von Parteien wie der AfD oder der FPÖ „eine Gefahr für die liberale Demokratie aus“, betont Heinze. Rechtsradikale Parteien würden „Minderheitenrechte, Rechtsstaatlichkeit oder repräsentative Institutionen nicht besonders hochhalten“. Der Aufschwung der radikalen Rechten werde auch unterstützt, wenn sie „normalisiert“ würde. So könnte laut Heinze ein starkes Ergebnis der FPÖ bei den Nationalratswahlen und vielleicht auch eine Regierungsbeteiligung in Österreich „natürlich massiv dazu beitragen“, Rechtsaußenparteien in ganz Europa weiter in den Mainstream zu rücken.
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