Alpenüberquerung

Ötzi-Trek: Wandern auf (k)ältesten Spuren

Reisen & Urlaub
15.09.2024 06:01

In sechs abenteuer- und aussichtsreichen Etappen führt der Ötzi-Trek quer durch das Herz der Alpen – auf den Pfaden des Mannes aus dem Eis bis zu seiner letzten Ruhestätte nach Bozen in Südtirol. Ötzis Geschichte ging nicht nur Brad Pitt unter die Haut. Nach meinem ersten Dreitausender ist die persönliche Begegnung mit der Mumie durchaus ergreifend.

Es war ein unschätzbarer Fund für die Wissenschaft: Fast auf den Tag genau vor 33 Jahren, am 19. September 1991, fanden Wanderer in einer Rinne am Tisenjoch auf 3210 Metern Höhe eine der ältesten und am besten erhaltenen Mumien der Welt. Jeder kennt ihn: Der Mann aus dem Eis, auch Ötzi genannt.

„Cold Case“ Ötzi
Sein Fundort ist aber auch ein Tatort. Denn es stellte sich heraus, dass der Mann vom Similaun durch Mörderhand den Tod fand – vor mehr als 5300 Jahren. Ötzi war nicht der einzige Ur-Bergsteiger, der die Wege in den Alpen benutzte – und auch nicht der erste, wie Funde belegen.

Tour auf Ötzis Spur
Bei einer Alpenüberquerung von Landeck in Tirol bis nach Bozen in Südtirol kommen Wanderer in sechs Tagesetappen an geschichtlichen Schauplätzen aus der Zeit des Eismannes vorbei. Die Wegführung des Ötzi-Trek und der Spannungsbogen sind dem Veranstalter ASI-Reisen (Alpinschule Innsbruck) besonders gut gelungen. Während man sich Schritt für Schritt der Mumie höchstpersönlich nähert, wird das Gepäck komfortabel von Unterkunft zu Unterkunft (außer in der Similaunhütte) transportiert.

Gewandert wird individuell mithilfe eines gedruckten Tourenbuchs sowie einer App. Nach einer bequemen Anreise mit der Bahn bestreitet man von Landeck aus die erste Etappe auf alten Handelswegen der Kelten, Rätern und Römern hinauf zum Brandopferplatz am Piller Sattel (1559 Meter). Der Spaziergang durchs Piller Moor bis zum Naturparkhaus Kaunergrat rundet das Erlebnis ab.
1. Tagestour: etwa 14 Kilometer; Aufstieg: 950 HM; Abstieg: 180 HM 

Auf einsamen Pfaden vom Pitztal ins Ötztal
Der zweite Tag startet in luftigen 2395 Metern Höhe am Sechszeiger. Die aussichtsreiche Tour ist anspruchsvoll und führt über sattgrüne Grasberge und steinige Geröllfelder im Hochgebirge. Stundenlang wandert man auf einsamen Pfaden bergab und zeitweise steil bergauf bis zum Passübergang in das Tumpental auf 2660 Meter Höhe. Einzig die Glocken von Weidetieren und das Plätschern von Gebirgsbächlein unterbrechen die Stille. Nach gut sieben Stunden erreicht man die Vordere Tumpenalm und wird von dort mit einem Taxi nach Umhausen im Ötztal gefahren.
2. Tagestour: etwa 13 Kilometer; Aufstieg: 680 HM; Abstieg: 1200 HM

Vom höchsten Wasserfall Tirols durch den „Zauberwald“
Im Ötzi-Dorf, einem Freilichtpark zur Jungsteinzeit in Umhausen, sind originalgetreue Nachbauten der spätneolithischen Gräber und Hütten zu sehen. Von dort führt die Route zum höchsten Wasserfall Tirols – dem Stuibenfall. Gewaltige 160 Meter stürzt sich der Horlachbach von Niederthai kommend über eine Felskante in die Tiefe des Tals. 700 Stufen führen entlang des Wasserfalls fast vertikal den Felshang hinauf. Man kann die enorme Naturkraft des Wassers auch hautnah an einem Klettersteig (Schwierigkeit C) erleben.

Der Stuibenfall und auch das Hochplateau Niederthai entstanden vor knapp 10.000 Jahren durch den Köfler Bergsturz. Die Urgewalt entsprach einem Erdbeben der Stärke 7,5 auf der Richterskala. Die Geröllmassen donnerten zu Tal, verteilten sich auf einer Fläche von etwa zwölf Quadratkilometern und formierten sich auf der gegenüberliegenden Seite zu einem Waldrücken, dem Tauferberg.

Beim Durchwandern wirkt dieser wie ein verzauberter Ort aus Erdlöchern, Grotten und haushohen Granit-Felsbrocken – verwunschen, geheimnisvoll. Bei Sonne wie bei Regen schützen die Bäume, die hier so dicht an dicht stehen, dass sie ein grünes Dach aus Blättern und Nadeln bilden. Bei jedem Schritt saugt man den Geruch aus Moos und Moder, aus Harz und Holz, aus Blättern, Pilzen und Beeren tief in sich hinein.
3. Tagestour: etwa 13 Kilometer; Aufstieg: 980 HM; Abstieg: 850 HM

Höchster und schönster hochalpiner Höhenwanderweg 
Als solcher wird der Venter Panoramaweg gerne bezeichnet. Die Anreise zum Startpunkt ist allerdings etwas befremdlich. Ein Bus fährt von Sölden aus auf 2830 Meter zum Rettenbach- und Tiefenbachferner (Ferner = Gletscher auf tirolerisch). Dabei passiert er den höchsten Straßentunnel Europas, den Rosi-Mittermaier-Tunnel, und lässt die Passagiere am voll versiegelten Parkplatz der Tiefenbachbahn aussteigen.

Zickzack geht es auf einem Wanderweg hinab ins Seiterkar. Über Blockwerk, Steintreppen und verlegte Platten weiter über die Mutböden und auf fast gleichbleibender Höhe hinein ins weite Weißkar. Dieser idyllische Fleck mit einem kleinen See ist ein lohnender Rastplatz unterhalb des eindrucksvollen Weißen Kogels und seinen Hängegletschern. In der Ferne taucht alsbald die kleine Ortschaft Vent auf. Der Panoramaweg schlängelt sich weiterhin an den meist mit Blumen übersäten Hängen dahin.

Welch ein Kontrast! Nur wenige Kilometer hinter dem touristisch hochgerüsteten Sölden findet man sich in einem stillen Tal und dem von 150 Menschen bewohnten Örtchen Vent wieder. Ein Klassiker unter den alpinen Bergsteigerdörfern mit langer Alpingeschichte und Alpenvereinsbezug.
4. Tagestour: etwa 12 Kilometer; Anstieg: 270 HM; Abstieg: 720 HM

Tatort Tisenjoch – Steinpyramide auf 3210 Metern über dem Meer
Rund 1480 Höhenmeter werden Bergwanderführer Josef Essl und ich am fünfte Tag von Vent bis zu der berühmten Ötzi-Fundstelle aufsteigen – und ich dabei meinen ersten Dreitausender erklimmen.

Am frühen Morgen geht es auf einer Schotterstraße taleinwärts Richtung Martin-Busch-Hütte. Der Weg ins Niedertal führt am Hohlen Stein vorbei, einem vier Meter hohen, überhängenden Felsblock, der Hirten und Jägern bereits zwischen dem achten und vierten Jahrtausend vor Christus Schutz geboten haben soll. Ötzi war also bei weitem nicht der Erste, der den Weg durch dieses Tal gewählt hat.

Seit vielen Jahrhunderten wird das Hoch- und Niederjoch von Schnalser Bauern im Sommer begangen, da diese im Nieder- und Rofental Weiderechte und Grundbesitz haben. Aus der Ur- und Frühgeschichtsforschung ist gesichert, dass es die Schaftriebe über die zum Teil vergletscherten Jöcher seit mindestens 6000 Jahren gibt.

Entspannte Schafe und Männer in blauen Schürzen
Der Schafübertrieb im Schnalstal ist eine alte und noch immer lebendige Tradition. Der Archaische Brauch, auch Transhumanz genannt, ist Teil des immateriellen Kulturerbes der UNESCO. Als einziger Schafübertrieb der Welt führt er über einen Gletscher und eine Ländergrenze. Jedes Jahr ziehen Hirten im Frühsommer mit bis zu viertausend Schafen aus dem Schnalstal in Südtirol über das Nieder- und Hochjoch auf die Sommerweiden bei Vent im Ötztal. Im September treten die Weidetiere, Hirten und Hunde den Rückweg an. Der erfolgreiche Almabtrieb wird in Südtirol mit einem fulminanten Hirtenfest gefeiert. Treiber tragen traditionell blaue Schürzen und lange Bergstöcke aus Holz. Lockrufe, wie etwa das „höörla leck leck leck“ sind für das Ötztal typisch.

Nach etwa zwei Stunden wandern wir an der Martin-Busch-Hütte vorbei und weiter durch ein breites Hochtal, dem früheren Verlauf einer Seitenmoräne des Niederjochferners, der Similaunhütte entgegen. „Durch die Klimaerwärmung ziehen sich Gletscher dramatisch zurück. Vom Niedertalferner ist kaum mehr als ein kleines Schneefeld unterhalb der Similaunhütte übrig. Wenn Gletscher tauen, verändert sich die Landschaft. Ehemalige Gletschertäler verwandeln sich in Gesteinswüsten, in denen sich nur wenige Lebewesen wohlfühlen“, erzählt Josef betroffen.

Zitat Icon

Die Ötztaler Alpen sind nicht nur ein faszinierendes Gebirge, sie stellen mit dem Fund von Ötzi und der seit Jahrtausenden bestehenden Transhumanz auch ein besonderes Kulturerbe dar.

(Bild: Josef Essl)

Josef Essl, Förster, Biologe & Bergwanderführer, ASI-Guide

Die Sonne brannte an diesem Augusttag vom blauen Himmel (hoher Schutzfaktor ist besonders wichtig, auch für die Waden!), während wir über Stein-, Geröll- und Schneefelder zum Tisenjoch emporstiegen.

Der höchste Übergang der Alpenüberquerung stellt gleichzeitig die Grenze zwischen Österreich und Italien dar. Am frühen Nachmittag erreichten wir das pyramidenförmige Denkmal in 3210 Meter Höhe. Die Sicht verschlechterte sich – Italien im Süden wurde quasi unsichtbar. Mystische Nebelschleier strichen um unsere Beine, die Gebirgsluft prickelte und roch nach Kälte.

In einer Felsmulde, zirka 70 Meter vom Monument entfernt, wurde vor knapp 33 Jahren Ötzis mumifizierte Leiche gefunden. Genaue Nachmessungen im Grenzgebiet haben ihn zum Italiener gemacht. Das Umfeld wirkt unspektakulär, friedlich.
5. Tagestour: etwa 17 Kilometer; Aufstieg: 1480 HM; Abstieg: 480 HM

Begegnung mit einer Mumie
Steil geht es von der Similaunhütte in das Schnalstal abwärts, wo angeblich auch Ötzi herkam. Warum er jedoch ausgerechnet diese schwierige Route durch eine steile Schlucht wählte, bleibt rätselhaft.

In Vernagt angekommen, fährt man bequem mit öffentlichen Verkehrsmitteln nach Bozen. Ich entschied mich, die Gletschermumie gleich nach meiner Ankunft im Südtiroler Archäologiemuseum zu besuchen. Bei dem Gefühl, innerhalb 24 Stunden beide „Gräber“ des Mannes vom Similaun begangen zu haben, schloss sich für mich ein Kreis entlang der Wanderung am Ötzi-Trek.

Und dann lag er vor mir: im ersten Stock, unscheinbar in einem abgedunkelten Eck auf einer silberfarbenen Bahre. Nach Jahrtausenden hat Ötzi hier seine letzte Ruhestätte gefunden. Eine feine Eisschicht lässt den braunen Körper glänzen. Das Guckloch hat in etwa die Maße einer Gehwegplatte, wurde aus acht Zentimeter dickem Panzerglas gefertigt. Die Öffnung erlaubt es, einen Blick in die Kühlzelle zu werfen, in der die Mumie bei minus sechs Grad Celsius und fast 100 Prozent relativer Luftfeuchtigkeit, konserviert wird – so nahe wie möglich am Klima eines Gletschers.

Es fühlte sich einzigartig an, dem Mann so nah sein zu dürfen. Er war einer von uns. Ein Mensch mit Emotionen, empfänglich für Schmerz, Wut und Freude. Auf jeden Fall war er ein besonders guter Bergsteiger!
Tagestour: etwa 6 Kilometer: Abstieg: 1300 HM

Zahlreiche Zufälle und Wehwehchen
Dass Ötzis Leichnam über Jahrtausende vollständig an einer der seltenen Stellen eines Alpengletschers konserviert und dann genau zu dem Zeitpunkt, als das Eis ihn freigab, entdeckt wurde, ist einer unglaublichen Kette von Zufällen zu verdanken. Angefangen beim Datum: 19. 9. 1991, ein Zahlenpalindrom, das sich von vorne und hinten gleich rätselhaft liest. Seither hat sich eine Schar von Archäologen, Medizinern und Kriminologen am Forschungsobjekt Ötzi abgearbeitet, und dem Mann aus der Kupferzeit etliche Geheimnisse entrissen.

Beispielsweise, dass er braune Augen hatte, etwa 160 Zentimeter groß gewesen sein soll, ihn Peitschenwürmer quälten, er unter Fußpilz, Borreliose, Parodontitis, Laktoseintoleranz und erhöhtem Cholesterin litt. Dass er Fleisch des Alpensteinbocks und Körner aß, bevor er starb, weil eine Pfeilspitze tief in seine linke Schulter eindrang.

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Der Mann ging sogar Brad Pitt unter die Haut
Die „Unsterblichkeit“ Ötzis fasziniert Menschen bis heute auf der ganzen Welt. Schauspieler Brad Pitt hat sich den „Frozen Fritz“, wie der Gletschermann in Amerika genannt wird, sogar auf seinen Unterarm tätowieren lassen.

Er lag schon tiefgefroren im Eis als die Ägypter ihre Pyramiden bauten, oder ein gewisser Jesus von Nazareth von den Römern ans Kreuz genagelt wurde. War Ötzi ein Jäger, Krieger oder Handelsreisender? Kannte er seinen Mörder? Trotz intensiver Forschung hat der Mann aus dem Eis noch viele Geheimnisse.

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