Seit einem folgenschweren Sturz von der Leiter im Juni 2021 ist der Niederösterreicher Michael Meier (43) auf einen Rollstuhl angewiesen. Im Bogensport fand er seine neue Liebe – und ist nur zwei Jahre nachdem er erstmals mit diesem Sport in Berührung gekommen war bei den Paralympischen Spielen in Paris am Start.
Die „Krone“ berichtet aus Paris
Intensivkrankenpfleger, zweifacher Familienvater, auf beiden Beinen unterwegs – so sah das Leben von Michael Meier im Sommer 2021 aus. Ehe ein plötzlicher Schicksalsschlag das Leben des Waldviertlers von einem auf den anderen Tag auf den Kopf stellte. Meier stürzte am 2. Juni bei Arbeiten am Haus, beim Montieren eines Vogelschutzgitters, aus knapp fünf Metern von einer Leiter, konnte seine Füße fortan nicht mehr bewegen. „Ich bin aus allen Wolken gefallen, es war eine Katastrophe“, schildert Meier.
Der Niederösterreicher ist seit damals unterhalb des Bauchnabels querschnittsgelähmt und auf einen Rollstuhl angewiesen. Er ließ sich davon aber – speziell dank Unterstützung seiner Frau Daniela – nicht unterkriegen. „Es war mir sehr wichtig, dass ich mich körperlich betätige, einen sportlichen Ausgleich finde.“ Meier probierte es erst mit dem Paratennis, meint: „Das hätte mir gefallen, da wäre auch die körperliche Aktivität dabei gewesen – aber da gab es in meiner Heimat zu viele Barrieren.“
Eines Tages nahm ihn ein Freund zum Bogenschießen mit. „Das habe ich davor noch nie gemacht – höchstens mal im Urlaub, wenn man sie das in einem Ressort angeboten haben. Es hat mir aber sofort gefallen und ich habe gemerkt, dass ich Talent dafür habe.“
Der Aufstieg an die Weltspitze gelang zügig: Im Mai 2022 hielt er seinen ersten Bogen in der Hand, ein Jahr später wurde er österreichischer Meister und EM-Vierter in der Mannschaft – und nun ist er als erster österreichischer Bogenschütze seit Erich Proßlinerbei 2000 in Sydney bei den Paralympischen Spielen am Start. „Es ist keine kleine, sondern eine große Sensation, dass ich hier dabei bin. Mein Trainer sagt immer, normalerweise dauert es fünf bis sieben Jahre, dass ein Sportler so weit ist, dass er zu den Paralympics fährt.“
Es zählt nur der Pfeil
Sein Ticket löste er Anfang März beim Quotenturnier in Dubai, das er trotz einer zuvor überstandenen Corona-Infektion inklusive vierwöchiger Trainingspause gewann. Seine Faszination am Bogensport? „Egal, was vorher war oder was nachher kommt – in diesem Moment ist nur der Pfeil wichtig, man blendet alles aus und konzentriert sich nur auf den nächsten Schuss. So kann ich extrem entspannen und das taugt mir jedes Mal aufs Neue.“
Seit März bereitet sich der diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger nun auf seine ersten Paralympics vor. Neben einem 40-Stunden-Job im Landesklinikum Horn, wo er nach seinem folgenschweren Unfall speziell bei Schulungen und Mitarbeiterinformationen im Bereich der Anästhesie und Intensivpflege eingesetzt wird, und seiner Familie (Tochter Sarah ist fünf Jahre alt, Sohn David drei) verbringt er rund 20 Stunden die Woche mit Trainingseinheiten. „Das ist schon sehr an der Grenze, ich muss mir alles gut einteilen. Denn die Kinder nehmen viel Zeit in Anspruch – und Familienzeit ist mir ohnehin das Wichtigste. Also trainiere ich oft erst am Abend, wenn die Kids schon schlafen. Ein großes Dankeschön an meine Frau, die da so hinter mir steht“, meint Meier, der nebenbei auch im Gasterner Gemeinderat tätig ist.
Eigentlich unglaublich – in Österreich ist es nicht möglich, sich als Mensch mit einer körperlichen Beeinträchtigung ein Auto auszuborgen. Du kannst nur mit dem Taxi fahren und dann mit der Versicherung streiten, ob du die Fahrten bezahlt bekommst.“
Meier war auf die Fahrtdienste seiner Familie angewiesen
Zuletzt musste Meier einen erneuten Schicksalsschlag verkraften. „Mein Auto ist wegen eines technischen Defekts liegen geblieben, ich konnte nicht aussteigen, weil so ein hohes Verkehrsaufkommen war“, beginnt Meier im Gespräch mit der „Krone“ zu erzählen. Ein beim Autohaus arbeitender Freund ist mit dem Abschleppwagen gekommen, wollte helfen – ehe das Unglück passierte: „Während er meinen Wagen angehängt hat, ist von der Gegenfahrbahn ein anderes Auto gekommen, hat frontal eingeschlagen. Mein Freund war zwischen zwei Autos eingeklemmt, hat um sein Leben geschrien – und ich saß im Auto, konnte ihm nicht helfen.“ Der Freund kämpfte lange um sein Bein, mittlerweile sei er aber am Weg der Besserung.
Kein Auto zum Ausborgen erhältlich
Für Meier doppelt schmerzhaft: Er ist im Alltag auf sein Auto angewiesen, um von zu Hause zur Arbeit und zum Training zu kommen – das fiel plötzlich weg. „Eigentlich unglaublich – in Österreich ist es nicht möglich, sich als Mensch mit einer körperlichen Beeinträchtigung ein Auto auszuborgen. Du kannst nur mit dem Taxi fahren und dann mit der Versicherung streiten, ob du die Fahrten bezahlt bekommst.“ Bei ihm daheim kostet eine Fahrt zur Arbeit satte 185 Euro – pro Richtung. „Da kann man sich ausrechnen, was das im Monat gekostet hätte.“ Meier konnte sich – wie so oft in den letzten Jahren – auf seine Familie verlassen, die ihn chauffierte. „Es ist aber schwierig, immer von anderen abhängig zu sein – erst recht, wenn das alles bis vor drei Jahren kein Problem gewesen wäre.“
Traum von einer Medaille
Bei den Paralympischen Spielen will Meier seinem rasanten Aufstieg an die Weltspitze des Bogensports nun die Krone aufsetzen, meint: „Natürlich bin ich Außenseiter – aber ich weiß, dass ich in einer sehr guten Form bin. Ich bin nicht hier, um mir den Eifelturm anzuschauen.“ Die Platzierungsrunde steigt am Donnerstag, um Medaillen auf der Esplanade des Invalides geht es dann am Sonntag.
Sportliche Höchstleistungen seinerseits würden nicht nur einen persönlichen Traum erfüllen, sondern auch vermehrt Aufmerksamkeit für Menschen mit körperlicher Beeinträchtigung generieren. „Ich habe das jahrelang auf der Intensivstation hautnah miterlebt – aber wenn du dann selbst in diesem Sessel sitzt, wird einem erst bewusst, welche Hindernisse und Barrieren Menschen im Rollstuhl immer noch überwinden müssen.“ Paris soll dabei helfen, die Inklusion weiter voranzutreiben. Schließlich könne es jeden treffen, von einem auf den anderen Tag. Wie es Meier hautnah miterleben musste.
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