Transformation stockt

Wie Europa China und USA wieder einholen könnte

Wirtschaft
30.08.2024 18:04

Europa ist vom Vorreiter zum Nachzügler geworden. Deutschland war früher Weltmarktführer bei PV-Anlagen, ist aber längst von China überholt worden. 85 Prozent aller Solarpaneele weltweit werden dort produziert. Ähnliches gilt für E-Autos. Klimaschützer und Industrie sehen Versäumnisse bei der Politik.

Der Präsident des Forums Alpbach, Andreas Treichl, machte das beim diesjährigen Event zum Thema und rechnete mit der Politik ab. „Wir sind großartig darin, Dinge anzukündigen, aber leider sind wir nicht exzellent genug in der Umsetzung. Es wurde versprochen, dass wir in der Digitalisierung Vorreiter werden, dass wir bei der grünen Transformation voranschreiten werden, aber nichts davon ist eingetreten und wird nicht mehr eintreten.“ Schuld daran seien die Parteien, die zu sehr auf Klientelinteressen schauen.

Die „Krone“ hat sich beim Forum umgehört. „Wir hätten viel früher von der Politik mit staatlichen Regulierungen vorbereitet werden können auf einen Ausstieg aus fossiler Energie oder zumindest auf eine Diversifizierung. Aber wir hatten lange das Bild von uns, die Weltmarktführer in der Autoindustrie zu sein. Das waren wir wirklich lange Zeit und haben den Zug verpasst, in die neuen Technologien einzusteigen“, analysiert Buchautorin Katharina Rogenhofer.

Präsident Treichl rechnet in Alpbach mit der Politik ab. (Bild: EFA/Marko_Risovic)
Präsident Treichl rechnet in Alpbach mit der Politik ab.

In manchen Bereichen sei Europa noch immer Weltmarktführer, etwa bei Wärmepumpen. „Bei vielen Dingen ist das Rennen aber noch nicht entschieden oder es kann sich wenden.“ Wenn man sich etwa die Mobiltelefonie ansehen, seien die elektronischen Geräte die Marktführung betreffend einmal über den Globus gewandert – von Nokia in Finnland über die USA und dann China. „Ich glaube nicht nur, dass wir nicht mehr investieren müssen, nur weil wir gerade irgendwo hinten sind wie bei den Elektroautos.“

„Industrie wird dableiben, wenn wir auf die guten Technologien setzen“
Europa müsse sie noch viel stärker auf grüne Technologien fokussieren. „Die Industrie wird hier bleiben, wenn wir auf die guten Technologien setzen und sie genug Erneuerbare bekommt. Und das schafft die Arbeitsplätze der Zukunft, den Wohlstand der Zukunft. Jeder investierte Euro zahlt sich aus.“ Die nächste Regierung müsste den Green Deal und den Industry Act der EU gut umsetzen und in die Transformation investieren. „Dieser Zug ist längst abgefahren. Er wird jetzt in diese Richtung gehen. Die Frage ist, wer ist am schnellsten das Ziel erreicht.“

Katharina Rogenhofer (Bild: Heribert Corn/Zsolnay)
Katharina Rogenhofer

Zuletzt zeichnete die Wirtschaft ein düsteres Bild. „Der Industrie geht es nach wie vor schlecht, es gibt keine Anzeichen für die Erholung, in allen Fachverbänden“, sagte der Geschäftsführer der Bundessparte Industrie in der Wirtschaftskammer (WKÖ), Andreas Mörk. Die nationale und europäische Klimapolitik wirke bremsend. „Eine hundertprozentige Dekarbonisierung der Industrie ist aus heutiger Sicht nicht möglich“, sagte der Umweltsprecher der Bundessparte Industrie und Geschäftsführer des niederösterreichischen Baustoffherstellers Baumit, Robert Schmid.

Studie

Eine Studie im Auftrag des Kontext-Instituts, dessen Vorstand Rogenhofer ist, sieht dagegen die Ökologisierung der Industrie als Hebel für langfristige und strukturelle Zugewinne der europäischen Wirtschaft. Die Studie von Cambridge Econometrics hat für den Zeitraum 2022 bis 2050 zwei Szenarien und deren Auswirkungen auf Wirtschaft und Arbeitsmarkt sowie auf Energieverbrauch/-produktion, Energiepreise und Treibhausgasemissionen in der EU und Österreich modelliert: ein Business-as-usual-Szenario und ein Szenario mit einer deutlich ambitionierteren Ökologisierung der Industrie. 

Demnach würde Österreich im Jahr 2030 durch zukunftsfähige EU-Industriepolitik ein um drei Milliarden Euro höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP) erwirtschaften, im Jahr 2040 wäre das BIP bereits um zwölf Milliarden höher, im Jahr 2050 sogar 23 Milliarden verglichen mit dem Szenario 1. Relativ betrachtet wird im Jahr 2050 ein um 3,3 Prozent höheres BIP erwirtschaftet. Pro investiertem Euro werden hierzulande langfristig (im Jahr 2050) drei Euro mehr an Wirtschaftsleistung generiert.

Wirtschaftsminister Kocher warnt vor protektionistischen Maßnahmen (Bild: Tomschi Peter)
Wirtschaftsminister Kocher warnt vor protektionistischen Maßnahmen

„Aufpassen, nicht in irgendwelche Handelskriege zu geraten“
Wirtschaftsminister Martin Kocher (ÖVP) sieht im Gespräch mit der „Krone“ in Bereichen wie E-Autos und PV-Anlagen durchaus Probleme. Es gebe aber auch Technologien, bei denen Europa federführend sei, dazu zählen Turbinen von Wasserkraftwerken und Wärmespeicherkraftwerken. „Und wir haben Stärken im Bereich der Abwasserwirtschaft und Recycling.“ Bei den E-Autos würden viele europäische Produzenten in den nächsten ein, zwei, drei Jahren einen großen Schritt planen. „Man darf das, glaube ich, nicht zu negativ sehen. Ich bin mir sicher, dass die Technologie, die in Österreich und in anderen Ländern der Europäischen Union, verfügbar ist, eine sehr gute ist. Aber der starke Wettbewerb ist das Problem.“ Hier müsse man bei Subventionen und Strafzöllen aufpassen, nicht in irgendwelche Handelskriege zu geraten.

Wir sollten, so Kocher, nicht naiv sein, aber gleichzeitig schauen, dass wir uns nicht mit stark protektionistischen Maßnahmen gegenseitig den Wohlstand verringern. „Und es wird auch nach 2035 in gewissen Bereichen Verbrennerautos geben müssen, weil das einfach technisch nicht anders möglich ist. Aber ich glaube, es ist auch nicht richtig, dass die Politik sämtliche Konsum-Entscheidungen vorwegnehmen kann. Die Unsicherheit, die es derzeit gibt, kaufe ich mir ein E-Auto, kaufe ich mir ein Verbrennerauto, und wie schaut das aus in den nächsten fünf bis zehn Jahren mit der Infrastruktur etc., das kann die Politik auch nicht völlig wegnehmen.“

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