Laut, auffällig, unüberlegte Statements – so stellen sich wohl die meisten Österreicher einen republikanischen Politiker vor. Ganz nach dem Vorbild Donald Trump. Im Bundesstaat Washington sitzt auf dem Bürgermeisterstuhl von Mukilteo ein Gegenbeispiel.
Joe Marine ist stolz auf seine Stadt, die 41 Kilometer im Norden von Seattle liegt. Gleich zu Beginn fragt der Bürgermeister, ob man schon die Gegend erkundet hat. Die Sehenswürdigkeit: der kleine, weiße Leuchtturm am Hafen. Die Gebäude wirken wie aus einem Film – auf den Hügeln reiht sich ein holzvertäfeltes Haus nach dem anderen. Würde man es nicht besser wissen, glaubt man, durch die Wisteria Lane aus der Serie „Desperate Housewives“ zu fahren.
Obdachlose und Arbeitslosigkeit sind in der 21.000-Einwohner-Stadt Fremdwörter. Boeing produziert wenige Kilometer von Mukilteo entfernt mit 66.797 Angestellten unter anderem den 787 Dreamliner. Ein Modell in Marines Büro erinnert daran. Zuliefererfirmen haben sich in der Gegend angesiedelt. In der Umgebung wohnen zahlreiche Ingenieure und ihre Familien. Die Immobilienpreise sind in den vergangenen Jahren in die Höhe geschnellt. Ein Einfamilienhaus kostet gerne knapp eine Million Euro. Wer einen Blick auf das Meer hat, zahlt oft doppelt so viel.
Herausforderung Wohnungsdichte
Und da sind wir schon beim ersten Problem von Joe Marine. Die Wohnungsdichte soll erhöht werden. Aber das funktioniert nicht ohne ausreichender Infrastrukturmaßnahmen wie Straßenbau, Verkehrsmanagement, medizinische Versorgung und andere öffentliche Dienstleistungen. „Der Staat hat in den letzten Jahren viele Gesetze vorangetrieben, die uns unsere lokale Kontrolle nehmen, besonders wenn es um Wohnen geht“, bemängelt Marine. „Ich denke, der Stadtrat und der Bürgermeister sollten gemeinsam mit den Einwohnern entscheiden, wie diese Stadt aussehen soll.“
Auch die Parkplatznot beschäftigt den Republikaner. Mit der zusätzlichen Wohnbebauung fehlt es an Plätzen. „Die Leute werden darüber verärgert sein“, prognostiziert Marine.
Keine Kontrolle über Airbnb-Wohnungen
Und wo die Wohneinheiten knapp sind, ist auch die Airbnb-Herausforderung nicht weit. „Wir wissen nicht, wie viele Immobilien online vermietet werden. Es nimmt überhand. Da die Eigentümer oft nicht vor Ort sind, fehlt es an Verantwortlichkeit und Kontrolle, was zu einem zusätzlichen Aufwand für die Stadtverwaltung und die Polizei führt.“
Bereits zum dritten Mal wurde Joe Marine zum Bürgermeister gewählt. Als Republikaner in einem tief demokratischen Staat ist das kein leichtes Unterfangen. Auch wenn auf den Stimmzetteln keine Parteizugehörigkeit steht, trägt der Familienvater den Stempel Republikaner. „Der Staat Washington als Ganzes ist wesentlich liberaler als zum Beispiel Texas, und um gewählt zu werden, müssen die Republikaner dazu tendieren, sich mehr zur Mitte zu bewegen“, analysiert Travis Nelson Ridout, Politik-Professor an der University of Washington in Seattle.
Spricht man Joe Marine auf Donald Trump an, ist seine lockere Art wie weggeblasen. Er richtet sich auf und denkt lange nach, bevor er antwortet. Während er einige der politischen Maßnahmen des Ex-Präsidenten unterstützt, äußert er sich kritisch über Trumps politische Vorgehensweise und seinen persönlichen Stil. „Er überlegt sich nicht, was er sagt und er ist kein typischer Politiker.“
Der Bürgermeister würde sich farblich eher als rot-violett bezeichnen. Doch auf Stadtebene spielt das für ihn keine Rolle. „Ich bevorzuge die überparteiliche Politik, besonders auf lokaler Ebene. Es erlaubt wirklich, die Themen der Stadt anzugehen, die nicht parteiisch sind.“
Bei einem Thema kommt aber der Republikaner deutlich durch: Waffen. Marine ist für den Besitz, betont jedoch, dass die Verantwortung auf die Personen abzielt, die damit Böses tun. „Die Waffe an sich ist nicht schlecht. Es ist die Person, die sie benutzt.“
In Bezug auf Abtreibung vertritt der Bürgermeister eine Position, die sich von vielen seiner Parteikollegen unterscheidet: „Ich denke, die Regierung sollte sich da raushalten. Sie hat dort nichts zu suchen.“
Keine Wahlwerbung für Trump
Trotz seiner republikanischen Zugehörigkeit vermeidet Marine, seine politische Identität zu stark in den Vordergrund zu stellen. Im Büro und auf seiner Homepage gibt es keinen Hinweis darauf, dass der Familienvater ein Trump-Unterstützer ist. Er wird für ihn auch keine Wahlwerbung machen. „Warum sollte ich einen großen Teil der Stadt entfremden wollen, von dem ich weiß, dass er demokratisch ist?“, fragt er rhetorisch. „Die Dinge, die wir in dieser Stadt tun, sind nicht demokratisch oder republikanisch. Es macht also keinen Sinn, das zu tun.“
In den letzten Jahren sind die beiden Parteien zu stark verfeindeten Lagern geworden.
Martin Weiß, Präsident und CEO des Salzburg Global Seminar und ehemaliger Botschafter in den USA
Auch nach den Stadtratssitzungen trifft sich der Politiker mit demokratischen Kollegen auf ein Bier. Und es ist zur Tradition geworden, dass sie sich beim Bezahlen abwechseln.
Schaut man sich den aktuellen US-Wahlkampf an, scheint es unmöglich, dass man Donald Trump und Kamala Harris gemeinsam in einem Lokal trifft. „In den letzten Jahren sind die beiden Parteien zu stark verfeindeten Lagern geworden“, analysiert Martin Weiß, Präsident und CEO des Salzburg Global Seminar und ehemaliger Botschafter in den USA. Mukilteo wirkt da wie ein gallisches Dorf. „Auf lokaler Ebene löst sich dieser Zwist dann auf. Da stehen dann die Stadtverwaltung, Müllabfuhr sowie gute Schulen im Zentrum.“
Dieser Artikel entstand im Rahmen der Transatlantic Summer School des „FJUM – Forum Journalismus und Medien Wien“ in Seattle.
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