Bosna-Quilts

Aus Trauer genäht, um weiterzuleben

Vorarlberg
01.09.2024 14:25

Eine Dokumentation erzählt die Geschichte der sogenannten Bosna-Quilts, die von bosnischen Flüchtlingsfrauen ab 1993 genäht wurden – Initiatorin des Erfolg-Projekts ist Lucia Lienhard-Giesinger. Robert Schneider traf sie.  

Lucia Lienhard-Giesinger – sie ist das Gesicht und die eigentliche Idee der „Bosna-Quilts“, jener mehrlagigen, in geometrischen Farbflächen erdachten und von bosnischen Frauen aus der Enklave Goražde an der Drina in endlosen Stunden übersteppten Wandbehänge, die in vielen Vorarlberger Haushalten und über die Grenzen hinaus hängen. Was Anfang der Neunziger Jahre als spontanes Hilfsprojekt für bosnische Flüchtlinge in der „Galina“ begann, ist für Lucia Lienhard-Giesinger zur Lebensaufgabe geworden.

Dreißig Jahre ist das nun her, und die Frauen von damals „übernähen“ noch immer die Quilts von Lucia. „Ich danke Gott, dass er uns einen Menschen wie Lucia geschickt hat“, erzählt Safira, eine der damals geflüchteten Frauen, „denn nach dem Krieg, als wir wieder zurückgekehrt sind, war alles kaputt. Wir konnten kaum Geld verdienen, aber durch das Nähen der Quilts ging es, dass wir uns irgendwie über Wasser halten. Das ist bis heute so, denn Goražde ist eine sterbende Stadt. Alle Jungen ziehen weg. Auch meine Kinder sind weggezogen. Gott gebe Lucia ein langes Leben!“

Die Designs der Quilts stammen von der Vorarlbergerin Lucia Lienhard-Giesinger – genäht werden sie aber von den bosnischen Frauen, daher der Name „Bosna-Quilts“. (Bild: Mathis Fotografie)
Die Designs der Quilts stammen von der Vorarlbergerin Lucia Lienhard-Giesinger – genäht werden sie aber von den bosnischen Frauen, daher der Name „Bosna-Quilts“.

Anlässlich einer ORF-Vorarlberg-Doku von Annette Raschner, die heute um 18.25 Uhr erstausgestrahlt wird, luden Lucia und ihr Mann, der Grafiker Daniel Lienhard, die bosnischen Frauen nach Vorarlberg ein. „Es war ein großer finanzieller Lupf, denn wir beide haben die Flüge und die Hotelkosten zum größten Teil selbst bezahlt“, erzählt Lucia im Gespräch. „Aber ich wollte einfach, dass wir nach so vielen Jahren noch einmal zusammenkommen und das Leben feiern.“

Wenn Lucia, die ich in ihrem Atelier in Bregenz zum Gespräch treffe, erzählt, macht sie lange Pausen, nimmt sich Zeit zum Nachdenken. Sie ist nicht jemand, der auf eine Frage sofort die Antwort hat. Als ich von ihr wissen will, was der Auslöser ihrer damaligen und bis heute aufrecht geblieben Hilfsaktion war, überlegt sie wieder lange. „Der Auslöser waren meine drei Buben, die damals sechs, acht und zehn Jahre alt waren. Im Radio hörten sie, dass die Großquartiere in Vorarlberg überfüllt seien und man dringend private Unterkünfte für die bosnischen Flüchtlinge suche. Sie wollten unbedingt jemanden bei uns zuhause aufnehmen. Aber da wir ein winzig kleines Holzhaus hatten, habe ich mich nicht drüber getraut. Ich sagte, dass es einfach nicht geht. Trotzdem hat es an mir genagt, und ich habe überlegt: Was könnte ich, mit dem, was ich kann, persönlich beitragen? Über eine Initiative der Berufsvereinigung der bildenden Künstlerinnen und Künstler bin ich dann in die ’Galina’ gekommen. Eigentlich mit nichts in der Hand. Ich hatte nur eine vage Vorstellung, habe einen Quilt mitgebracht.

Nähen, um ein wenig Abstand zu gewinnen – und um ein bisschen Geld zu verdienen. (Bild: Mathis Fotografie)
Nähen, um ein wenig Abstand zu gewinnen – und um ein bisschen Geld zu verdienen.

Ich vergesse nie – es war im Speisesaal -, da lief ein Mann vorbei und sagte: ’Nix brauchen Picasso.’ Ich konnte ihn ja so gut verstehen. Diese Menschen waren gerade mit dem Leben davongekommen, wussten nicht, ob ihre Angehörigen noch wohlauf sind und ob sie selbst jemals wieder zurückkehren können, und dann taucht jemand mit dem Maßband auf und sagt: so und so viel Zentimeter Stoff hier und so und so viel dort.“

Manche kamen aus dem Wald nicht mehr zurück
Lucia wird nachdenklich. In ihrem Gesicht sieht man förmlich, wie sich die Episode mit dem Mann noch einmal zuträgt, als geschehe sie jetzt gerade. Wie sie sich mit den Frauen verständigt habe, will ich wissen. „Mit Händen, Füßen und Augen.“ Sie geht in ein Nebenzimmer und zeigt mir eine vergilbte Mappe, auf deren Deckel ein gutes Dutzend Ausdrücke und Formulierungen in der Landessprache vermerkt sind. „Mit diesen paar Worten habe ich mich über Wasser gehalten.“ Ob diese Frauen, die ja traumatisiert waren, ihr vom Krieg erzählt hätten, hake ich nach. „Ja und nein. Ich habe natürlich sehr viel mitbekommen. Jeder hat jemanden verloren. Wenn es hieß: ’Wir sind in den Wald gegangen’, bedeutete das, dass die Menschen nachts über die feindlichen Linien geschlichen sind, wo Hilfsgüter abgeworfen wurden. Manche kamen nie mehr zurück.“ Und tatsächlich. Noch heute existiert die improvisierte Fußgänger-Hängebrücke, die die Bewohner von Goražde zum Schutz vor Heckenschützen unter der eigentlichen Brücke über die Drina installiert hatten. Sie ist zum Mahnmal geworden.

„Ich merkte aber bald“, fährt Lucia fort, „dass das Übernähen der Quilts für diese Frauen so etwas wie eine stille Therapie war. Nähen war ja eine Fertigkeit, die sie von ihren Müttern und Großmüttern gelernt hatten. Das konnten sie. Dieses Gespür für das Ornamentale, was ja sehr im muslimischen Glauben verankert ist. Und vielleicht konnten sie durch diese doch sehr meditative Beschäftigung auch einfach vergessen, zumindest einige Stunden lang nicht nachdenken müssen. Einfach sein. Und sie verdienten auch noch etwas Geld damit.“

Stumm erzählte Lebensgeschichten 
Lucia zeigt mir einige Quilts, die von den bosnischen Frauen „übernäht“ wurden, ein Ausdruck, den sie selbst für diese Technik erfunden hat. Die Entwürfe, die Kombination der geometrisch gehaltenen Stoff-Patches, das Arrangement der Farbigkeit, das alles stammt von ihr, der Künstlerin. Was die Kunstwerke jedoch auf eine fast unheimliche Art veredelt, ist die Handschrift der einzelnen Frauen, sind die anschließend gesteppten Fäden, die den Quilt durchlaufen. Je nach Persönlichkeit und Naturell der Näherin, mäandrieren die Fäden wie die Drina, der Heimatfluss, ergießen sich im Zickzack oder in launig geschwungenen Linien. So werden aus diesen kleinen Kunstwerken stumm erzählte Lebensgeschichten. Aus Trauer genäht, um weiterzuleben.

Am Abend der Preview von Annette Raschners Dokumentation über die „Quilt-Frauen“ ist der Saal des „vorarlberg museum“ bis auf den letzten Platz gefüllt. Die Näherinnen sind auch da und sitzen ganz vorn. Schön haben sie sich für diesen Abend gemacht. Schrecklich aufgeregt sind sie. „Heute sind wir die Hauptdarsteller“, scherzt Safira, die ich bei einer Zigarette vor dem Museum kennenlerne. „Rauchen Sie in Ruhe fertig. Ohne mich geht es nicht los“, lacht sie. Safira spricht sehr gutes Deutsch. Ich sehe sofort, dass ich bei ihr nicht drum herumreden muss und frage direkt, ob sie mit ihrer Lebensgeschichte versöhnt sei. „Das heilt nie“, antwortet sie mir geradeheraus. „In unserer Stadt weiß jeder, wer auf wen geschossen hat und wer nicht. Es wird noch viele Jahre dauern, bis wir innerlich im Frieden sind. Ich erlebe das nicht mehr.“

Wir gehen gemeinsam die Treppe hoch. Das Licht wird gerade gedimmt. Safira huscht mit flinken Schritten nach vorn und setzt sich an ihren Platz.

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