Vor exakt 25 Jahren schrieben die Magnetic Fields mit „69 Love Songs“ eines der besten und nachhaltigsten Konzept-Dreifachalben der Musikgeschichte. Frontmann Stephin Merritt und Band kommen dieser Tage zweimal ins Wiener Volkstheater, um das Kultwerk live zu präsentieren. Beim Blue Bird Festival im Porgy & Bess stand uns Merrit dazu Rede und Antwort.
Stephin Merritt als spleenig zu bezeichnen, würde zu kurz geraten. Der introvertiert wirkende New Yorker mit dem Hang zur speziellen Exzentrik hat mit seiner Bands The Magnetic Fields den Indie-Pop US-amerikanischer Couleur des Öfteren neu gedacht und sich damit unbewusst sogar bis in den Mainstream vorgewagt. Wer etwa 2022 im Wiener Theater Akzent oder 2023 beim Blue Bird Festival im Porgy & Bess oder im Grazer Dom im Berg anwesend war, weiß, dass die Mischung aus seiner Bariton-Stimme, verwinkelten, zwischen Humor und Entlarvung mäandernden Texten und fein akzentuierter Begleitmusik seiner Band eine Sonderstellung in der Szene haben. Dass es bei Konzerten der Magnetic Fields vergleichsweise zart zugeht, ist seinem Tinnitus geschuldet, den sich der 59-Jährige einst bei einem Auftritt der Einstürzenden Neubauten zuzog.
Lebenswerk mit Cognac
Mit seiner Band hat Merritt bislang zwölf Tonträger veröffentlicht, das Meisterstück seines Lebens gelang ihm aber genau in der Mitte. Vor exakt 25 Jahren erschein mit „69 Love Songs“ ein Dreifach-Album und Monumentalwerk, das der schräge Frontmann zu einem großen Teil Cognac-trinkend in einer Schwulenbar in Manhattan schrieb, wo er allabendlich saß und seiner Kreativität freien Lauf ließ. In 172 Minuten erklärt uns der Zahlenfetischist dabei aber nicht die mannigfaltigen Facetten der Liebe, sondern zäumt das Pferd von der wilden Seite auf. So geht es u.a. auch um den Mord an einer Ehefrau oder diverse Verfehlungen und Brüche im großen Kontext der Liebe. Niemand Geringerer als Peter Gabriel coverte den auf dem Dreifachwerk befindlichen Song „The Book Of Love“, der in der finalen Episode von „Scrubs“ vorkam und Merritt, laut eigenem Bekunden, in New York ein Haus finanzierte.
„Eigentlich wollte ich die Jubiläumstour nach 23 Jahren machen, weil die 69 Songs auch so auf den drei Alben angeordnet sind und die 25 keine bedeutungsvolle Zahl ist“, erklärt uns Merritt gewohnt schräg im „Krone“-Talk, „am Ende waren wir aber anderweitig beschäftigt und die Pandemie hat uns den Plan über den Haufen geworfen.“ Ursprünglich wollte Merritt sogar 100 Songs schreiben, brach die Idee dann aber doch herunter. „Stell dir das mal vor! Dann müssten wir pro Stadt drei Nächte auftreten, um das Werk zum Jubiläum durchzuspielen. Was das auch noch für einen zusätzlichen logistischen Aufwand bedeutet hätte. Ich habe von einem Typen gelesen, der zu einem Konzept 199 Lieder geschrieben hat. Gott bewahre, das klingt anstrengend.“ Die üblichen Normen des Songwritings durchbricht Merritt gerne. Es gibt 15 Sekunden und 26 Minuten lange Songs der Magnetic Fields. Die Band sang schon auf Englisch, Deutsch oder Japanisch.
Bahnbrechend für die damalige Zeit
„Wobei das so nicht stimmt. Frei wie ein Vogel bist du nur beim ersten Album in deinem Leben, ab dann hältst du dich – bewusst oder unbewusst – immer an Strukturen fest. Regeln geben dir einen Endpunkt, sie schränken dich zumindest so weit ein, dass du irgendwann einmal mit etwas fertig wirst.“ Die „69 Love Songs“ waren nicht nur musikalisch, sondern auch inhaltlich bahnbrechend. Merritt betrachtete die Liebe und ihre vielschichtigen Auswüchse auch von einer homo- und bisexuellen Seite aus, was vor 25 Jahren bei weitem noch nicht so Usus war wie heute. „In meiner Welt, der Schwulenwelt, war das schon normal. David Bowie und Elton John sangen schon Jahrzehnte lang davor davon. Dann gab es das Disco-Movement und Cabaret, aber ich weiß schon, was du meinst. Ich hatte nie den Gedanken, irgendwie mit etwas vorwärtszukommen, sondern habe einfach geschrieben.“
Merritts Songwriting funktioniert vorwiegend archivarisch. „Songwriting und das Zusammenstellen von Alben sind für mich zwei Paar Schuhe. Wenn ich an einem neuen Album arbeite, schaue ich mir erstmal meine alten Dateien und Notizen durch und nehme dort etwas heraus. Auch die ,69 Love Songs‘ musste ich nicht von Grund auf schreiben, ein großer Stamm war bereits vorhanden.“ Merritt, der seiner persönlichen Meinung nach autistische Züge besitzt, hat wenig übrig für Nostalgie oder übertriebene Empathie seiner eigenen Musik gegenüber. „Was war, das war. So sind die Songs dieses Dreifachalbums auch im Livekontext für mich spannend. Ungefähr zehn davon spielen wir immer wieder in normalen Sets, die 59 anderen muss ich für die Jubiläumsshows quasi neu lernen.“ Mit neuen Songs hat es Merritt seit Ausbruch der Pandemie nicht so. Nicht nur, dass sein übliches Fortgehleben auf den Kopf gestellt wurde, hapert es bislang auch an der gewohnten Kreativität.
Puzzlen in der Pandemie
„Ich habe schon viele Songs geschrieben, aber keinen fertig. Das muss sich irgendwann fügen, ich kann es nicht forcieren. Wenn der Knoten aufgeht, dann wird auch wieder etwas Neues kommen, aber ich würde keinen bestimmten Zeitpunkt dafür nennen, weil ich den unmöglich vorhersehen kann.“ In seinem von Peter Gabriel finanzierten Haus in New York erlebte er dafür andere Sachen. „Einmal kam ein Freund von mir mit seiner Mutter und alten Großmutter zu Besuch. Im Endeffekt wollten sie nur die Oma abschieben, weil sie sie nicht aushielten. Also habe ich mit ihr tagelang an einem riesigen Puzzle mit einer Chiquita-Banane gesessen. Aber was hätte ich auch sonst tun sollen – es war ausreichend Zeit dafür vorhanden.“
Zweimal live im Wiener Volkstheater
Am 8. und am 9. September präsentieren The Magnetic Fields ihr bahnbrechendes Konzeptwerk „69 Love Songs“ an zwei Abenden im Wiener Volkstheater. Fast auf den Tag genau nach der Veröffentlichung des Werkes am 7. September 1999. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für das Indie-Pop-Highlight, das man auf keinen Fall verpassen sollte.
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