Dieser weiße Riese tritt so stylish-modern auf, dass er hier, vor einem schönen alten Haus im bayerischen Bad Tölz, wie ein Besuch aus der Zukunft wirkt. Tatsächlich ist der Polestar 3 aber bereits zu haben – mit sportlichen Fahreigenschaften, viel Platz und cleanem Design. Wir haben ihn in der Performance-Variante durch Südbayern gescheucht.
Polestar, Volvos dynamische Tochter (oder Schwester, da legt man sich in Schweden nicht so fest, jedenfalls ist China-Konzern Geely die Mutter), launcht zwei neue, sportliche Elektro-SUVs. Neben dem hier beschriebenen Polestar 3 auch den Polestar 4. Obwohl beide fast gleich groß sind, gehört der eine zum D-, der andere eine Klasse höher zum E-Segment, also in die Oberklasse.
Und jetzt wird’s unübersichtlich: Der Polestar 3 ist von den beiden das höher positionierte Fahrzeug. Da soll sich einer auskennen. Immerhin ist der Polestar 2 (von dem in drei Jahren in Österreich bereits 1800 Stück abgesetzt wurden), tatsächlich das Einstiegsmodell.
Wenn man weiß, dass der Polestar 3 der dynamische Plattform-Bruder des Volvo EX90 ist, wird klar, wo er zu verorten ist.
Ein echtes Designstück
Unübersichtlich ist auch der Polestar 3 an sich, jedenfalls wenn man zum Rangieren hinten rausschauen will, denn die C-Säule ist sehr breit. Aber das mag man angesichts der Rundum-Kamera-Bespielung gerne in Kauf nehmen, ermöglicht es doch das extrem dynamische Design mit dem flach auslaufenden, scheinbar schwebenden Dach.
Das Design ist generell ein sehr auffälliges, angefangen bei der Front, wo ein Flügel in die Haube integriert ist. Polestar spricht übrigens von „Motorhaube“. Nun ja. Darunter findet man nicht den Motor, sondern praktischerweise einen Frunk, der mit 32 Liter mehr als nur das Ladekabel schluckt. Das Kofferraumvolumen hinten liegt bei 484 Liter (inklusive 90 Liter unter dem Boden), klappt man die Rücksitzlehne (geteilt, aber nicht fernentriegelt) um, sind es 1411 Liter.
Aufgeräumt bis nüchtern im Innenraum
Im Innenraum des 4,90 Meter langen und 1,61 Meter hohen Oberklasse-SUVs ist reichlich Platz. Trotz der Coupé-artigen Dachlinie streifen auch groß Gewachsene nicht mit dem Scheitel am Glasdach. Allerdings ist die Sitzfläche recht tief, sodass man mit übermäßig angewinkelten Beinen sitzen muss. Die Kniefreiheit ist opulent. Vorn geht es ebenfalls großzügig zu.
Das Ambiente ist skandinavisch-elegant, reduziert und geprägt von angenehmen Materialien. Dazu gehören „bio-attributed“ MicroTech, tierschutzgerechtes Leder und vollständig rückverfolgbare Bezüge aus Wolle, sagt Polestar. Alles fasst sich gut an, alles sieht wertig aus. Abgesehen vom Klavierlackplastik, das auch in dieser Fahrzeugklasse schnell zerkratzt und mit Fingertappern übersät ist.
Dominiert wird das Cockpit vom 14,5-Zoll-Touchscreen im Hochformat. Die Bedienung des Google- bzw. Android Automotive-basierenden Systems ist leicht erlernbar, jedoch hat man es etwas mit der Digitalkonzentration übertrieben. Lenkrad- und Spiegelverstellung via Display und unübersichtlichen Lenkradelementen ist mühsam und auch eine besser erreichbare Bedieneinheit für die Klimatisierung wäre wünschenswert.
Der Gnubbel seitlich am Sitz, der für dessen Verstellung zuständig ist, neigt zu Fehlbedienungen. Über das Display kann man weitere Funktionen anwählen (und per Gnubbel verstellen), etwa die Sitzhöhe und die Seitenwangenverstellung.
Zwei Antriebe, drei Eskalationsstufen
Der Basis-Dreier („Long Range Single Motor“) hat einen 220 kW/299 PS starken Heckmotor, der einen Standardsprintwert von 7,8 Sekunden ermöglicht. Das Höchsttempo ist auf 180 km/h begrenzt. Beim Fahrwerk baut Polestar auf Doppelquerlenker vorn und Integrallenker hinten. Das Basismodell dämpft passiv, aber frequenzselektiv, und federt mit Schraubenfedern vom chinesischen Zulieferer BWI.
Beim „Long Range Dual Motor“ kommt serienmäßig ein adaptives Zweikammer-Luftfahrwerk mit aktiven ZF-Dämpfern zum Einsatz. Die Bodenfreiheit beträgt normalerweise 20 Zentimeter. Bei schneller Fahrt senkt sich das Chassis auf 19 Zentimeter. Bei Bedarf lässt sich das Fahrwerk per Bildschirm-Touch auf 25 Zentimeter anheben.
Mit 360 kW/489 PS Spitzenleistung beschleunigt der nach DIN 2584 kg schwere Standard-Allradler in 5,0 Sekunden auf 100 km/h, erst bei 210 km/h wird abgeregelt. Dank einer Kupplung wird der hintere der beiden Permanentmagnetmotoren im Normalbetrieb abgekoppelt, um Verbrauch und Reichweite zu erhöhen. Erst bei entsprechendem Leistungsabruf darf er – leicht verzögert – loslegen.
Wechselt man am Display den Fahrmodus von Reichweite auf Performance, bleibt der Heckmotor immer aktiv, was beim abrupten Beschleunigen ansatzlos zu einem mächtigen Tritt ins Kreuz führt. Das kann auf Dauer anstrengend sein. Beim nächsten Neustart landet man wieder im Reichweitenmodus, wird also nicht vom Mega-Antritt überrascht.
Anders verhält es sich, wenn man das Performance-Paket mitbestellt hat, denn dann bleibt der Performance-Modus, wenn man ihn einmal ausgewählt hat, aktiviert. Außerdem bekommt man u.a. 22 Zoll statt 20 Zoll große Alus sowie mehr Motorleistung: 380 kW/517 PS stehen dann im Datenblatt, außerdem 910 statt 840 Nm. Beim Drag Race bringt das drei Zehntel auf 100.
Beeindruckendes Fahrverhalten
Wir haben das Topmodell mit Performance-Paket gefahren und waren vom Fahrverhalten begeistert. Dass diese Version nach DIN 2670 kg wiegt, mag man fast nicht glauben – dabei waren wir sogar zu zweit im Auto. Untersteuern ist ein Fremdwort, selbst wenn man übertrieben schnell in eine enge Kurve fährt. Die Lenkung agiert sehr direkt, aber nicht nervös, das Fahrzeug lenkt extrem spontan ein, ohne Verzögerung, jedenfalls wenn das Fahrwerk auf „Agil“ oder gar „Fest“ eingestellt ist. „Standard“ ist recht komfortabel, aber nicht sänftig - deshalb hat Polestar diesen Modus auch ganz bewusst nicht „Comfort“ genannt. Die Lenkkräfte kann man dreistufig einstellen, wobei die Unterschiede eher synthetisch wirken.
Eine Torque-Vectoring-Doppelkupplung an der Hinterachse sorgt dafür, dass man in der Kurve schon sehr früh voll beschleunigen kann und regelrecht hineingezogen wird. Auch hier kein Untersteuern, das eigentlich durch den extremen Krafteinsatz auftreten könnte. Die Brembo-Bremsen arbeiten zuverlässig und gut dosierbar.
Die Rekuperation ist per Touchscreen dreistufig variierbar, außerdem kann man wählen, ob der Wagen stehen bleiben oder anrollen (kriechen) soll, wenn man im Stand von der Bremse geht. Geschmeidig anhalten ist streng genommen nur im One-Pedal-Modus ohne Kriechmodus zu bewerkstelligen.
Groß dimensionierter Akku
In allen Varianten speichert der 400-Volt-Lithium-Ionen Akku netto 107 kWh. Das soll nach WLTP eine Reichweite von bis zu 650 Kilometer ermöglichen. Beim zweimotorigen Standardmodell sind es 631 PS, mit Performance-Paket nur 561 Kilometer. Mit einer maximalen Ladeleistung von 250 kW dauert der Ladevorgang von 10 auf 80 Prozent 30 Minuten. Wechselstrom saugt der Polestar 3 mit 11 kW.
Die Preise
Ab 79.800 Euro steht der Polestar 3 in der Liste. Der Aufpreis für die Allradvariante beträgt 7000 Euro, mit Performance-Paket werden 93.400 Euro fällig. Wärmepumpe, Dreizonen-Klima, fast alle Assistenzsysteme sind Serie. Head-up-Display, 1610-Watt-Audiosystem mit 25 Lautsprechern oder 360-Grad-Kameras finden sich im Plus-Paket um 6000 Euro, der Pilot Assist (bis 150 km/h) im Pilot-Paket um 2800 Euro.
Interessant: Überführungskosten werden in Österreich nicht aufgeschlagen, in Deutschland und der Schweiz hingegen schon.
Der Polestar 3 wird in den Werken von Volvo Cars in Chengdu/China und seit August 2024 auch im US-Bundesstaat South Carolina gefertigt. Beide Produktionsstätten werden zu 100% mit Strom aus erneuerbaren Quellen betrieben.
Fahrzit
Der Polestar 3 ist definitiv ein Gesicht in der Menge, begnügt sich aber nicht mit einem fancy Auftritt, sondern glänzt mit angenehmem Ambiente, feinen Fahreigenschaften und (mit Performance-Paket) sogar erstaunlichen Sportqualitäten. Die Preisansage ist selbstbewusst, das Basismodell des Mercedes EQE SUV kostet nur 90 Euro mehr. Aber man bekommt auch eine Menge für sein Geld. Und auch wenn die Polestars aus China nach Österreich kommen – man merkt ihm die chinesischen Wurzeln nicht an.
Warum?
Auffälliges Design
Geräumiger, hochwertiger Innenraum
Hervorragendes Fahrverhalten
Warum nicht?
Die Bedienung ist schon sehr digital.
Oder vielleicht …
… Mercedes EQE, Audi Q8 e-tron, BMW iX
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