Warum hat bei Emrah I., dem Schützen von München, kein Frühwarnsystem gegriffen? Dem 18-Jährigen war es sogar möglich, trotz eines Waffenverbots ein Gewehr zu kaufen. Die bisherigen Ermittlungen werfen zudem Fragen zur internationalen Zusammenarbeit auf ...
Der Attentäter von München war in der Vergangenheit gewalttätig, von der Terror-Miliz IS fasziniert und dennoch Teil der gesellschaftlichen Mitte. Er wohnte mit seinen Eltern in einer ansprechenden Wohngegend in Salzburg. Nachbarn zeigten sich beim „Krone“-Lokalaugenschein völlig überrascht von seiner Tat. Unauffällig soll er gewesen sein.
Ein Behördenversagen steht dennoch im Raum. Denn aufgrund seines bisherigen Verhaltens außerhalb seiner Wohnsiedlung wurde Emrah I. mit einem Waffenverbot bis Ende 2028 belegt. Jetzt kommt heraus: Das hinderte ihn offenbar nicht daran, kurz vor seiner Fahrt nach München ein Gewehr in Salzburg zu erwerben.
Der 18-Jährige soll das Repetiergewehr aus der Weltkriegszeit am Tag vor seiner Tat bei einem lokalen Waffensammler gekauft haben. Es handelte sich dabei um eine sogenannte Kategorie C-Waffe. Das sind laut Waffengesetz Gewehre, die nach jedem Schuss händisch nachgeladen werden müssen.
Angehörige meldeten ihn als vermisst
Dem Vernehmen nach handelte es sich bei Emrah I. um keinen „klassischen Islamisten“. Während er sich am Donnerstag mit der Langwaffe auf den Weg nach München machte, hatten Angehörige Abgängigkeitsanzeige erstattet.
Wie aus Sicherheitskreisen bestätigt wurde, war jemand aus der Familie auf einer Salzburger Polizeiinspektion erschienen und hatte das plötzliche Verschwinden des Burschen gemeldet. Anzeichen dafür, dass dieser mit einem Karabiner älterer Bauart mit angebautem Bajonett in München das Feuer auf Polizeibeamte eröffnen würde, soll es in jüngster Zeit nicht gegeben haben.
Emrah I. war Behörden bekannt
Im vergangenen Jahr wurde der damals 17-Jährige jedoch auffällig. Die Staatsanwaltschaft Salzburg hatte wegen terroristischer Vereinigung (§278b StGB) gegen ihn ermittelt. Ihm war nach einer gefährlichen Drohung gegen Mitschüler und einer damit einhergehenden Körperverletzung das Handy abgenommen worden. Bei der Durchsicht des Geräts wurden drei Videos gefunden – der damals noch Jugendliche hatte Sequenzen eines Computerspiels aufgezeichnet, bei dem er spielerisch terroristische Akte nachstellte.
Aus Sicht der Polizei „bestand der Verdacht, dass er sich religiös radikalisiert hatte, online einschlägig aktiv war und sich für Sprengstoff sowie Waffen interessierte“, wie die Salzburger Landespolizeidirektion dazu in einer Pressemitteilung feststellte. Dem Vernehmen nach hatte sich Emrah I. in der Pandemie verändert. Zuvor soll er ein guter HTL-Schüler gewesen sein. Durch seine Wesensveränderung sei er zunehmend isoliert gewesen und hat die Schule Anfang des Jahres abgebrochen.
Das Salzburger Landesamt Staatsschutz und Extremismusbekämpfung (LSE) übermittelte der Staatsanwaltschaft insgesamt fünf Berichte zum 18-Jährigen. Die Salzburger Anklagebehörde stellte im April 2023 die Ermittlungen zu den Terrorvorwürfen ein. Gegen den Burschen wurde jedoch ein Waffenverbot verhängt. Der 18-Jährige trat danach bis zum Donnerstagmorgen nicht mehr polizeilich in Erscheinung.
Deutschland wurde nicht informiert
Den Behörden in Deutschland wurde offenbar nicht mitgeteilt, dass wenige Fahrminuten entfernt ein potenzieller „Gefährder“ wohnt. Die bayerische Polizei bestätigte am Freitag, keine Informationen zu dem getöteten Schützen gehabt zu haben. Eine Abfrage der Datenbanken zu dem 18 Jahre alten Österreicher mit bosnischen Wurzeln sei negativ verlaufen, sagte ein Sprecher des bayerischen Landeskriminalamts (LKA).
Dass es keine europäische Gefährderdatei gebe, sei laut Extremismus-Experten wie Peter R. Neumann ein drängendes Problem. „Wer Grenzen öffnet und einen gemeinsamen Bewegungsraum schafft (d.h. Schengen), der muss auch dafür sorgen, dass Sicherheitsbehörden reibungslos miteinander zusammenarbeiten“, teilte er auf der Plattform X mit.
Deutsche Sicherheitskreise gehen nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur (dpa) davon aus, dass der Verdächtige einen Bezug zur islamistischen Gruppe HTS hatte. HTS steht für „Haiat Tahrir al-Sham“, eine militant-islamistische Miliz. Der bayerische Verfassungsschutz schreibt, dass HTS 2017 aus dem Zusammenschluss eines früheren Al-Kaida-Ablegers und einiger kleinerer militanter syrischer Gruppen hervorgegangen sei. Anders als Al Kaida, die weiter Anschläge im Westen plane, konzentriere sich HTS auf Syrien und wolle den dortigen Machthaber Bashar al-Assad stürzen.
Suche nach Hintergründen dauert an
Heimische Ermittler konnten islamistische Verbindungen bisher nicht nachweisen: Am Wohnsitz des 18-Jährigen in Neumarkt am Wallersee war nach dem vereitelten mutmaßlichen Terroranschlag bis weit in die Nachtstunden hinein eine Hausdurchsuchung durchgeführt worden.
Nach vorliegenden Informationen wurden dabei keine weiteren Waffen und auch sonst keine verdächtigen Gegenstände – etwa Insignien von Terrororganisationen oder Propagandamaterial – entdeckt. Die Einrichtung des Zimmers des bei seinen Eltern lebenden Burschen soll keinerlei Hinweise auf einen allfälligen Bezug zu islamistischem Gedankengut aufgewiesen haben.
Auch äußerlich wirkte der von der Polizei erschossene 18-Jährige nicht wie ein Islamist. Er trug lediglich eine rote Hose und ein Shirt, als er sich mit der Familienkutsche und seiner Waffe im Gepäck nach München aufmachte, um das Feuer zu eröffnen.
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