Immer wieder Terror!

Experte sieht enorme Sicherheitslücke in Europa

Österreich
07.09.2024 22:17

Terrorakte in Europa haben seit dem Hamas-Anschlag auf israelische Zivilisten im vergangenen Jahr deutlich zugenommen. Diese Serie hat eine eklatante Sicherheitslücke offenbart: Europas Nachrichtendienste tauschen immer noch zu wenig Informationen aus – wie der Fall München zeigt.

Das Volumen dschihadistischer Aktivitäten hat sich zuletzt dramatisch entwickelt. Mit Stand heute kommt der deutsche Terrorismusforscher Peter Neumann auf 22 versuchte und sieben ausgeführte Anschläge in Westeuropa in den vergangenen zehn Monaten. Zwei Drittel der seit Oktober 2023 festgenommenen Terrorverdächtigen seien Jugendliche.

Experten assoziieren mit der prognostizierten neuen Welle islamistischen Terrors Teenager – und damit sehr junge Attentäter, die zum Beispiel nicht etwa in Moscheen, sondern in sozialen Netzwerken radikalisiert werden. Die chinesische Plattform TikTok nimmt hier eine zentrale Rolle ein.

Das Wie ist egal – Hauptsache Terror
Bei den Ereignissen von Ternitz/Wien, Solingen und München fällt auch auf, dass die Angreifer zumindest teilweise mit relativ einfacher Ausrüstung, offensichtlich leicht beschaffbaren Waffen und ohne großen Aufwand bei Planung und Logistik vorgegangen sind.

Der IS feiert – vor allem in den Köpfen junger Menschen – ein düsteres Comeback. (Bild: APA/AFP/AHMAD AL-RUBAYE)
Der IS feiert – vor allem in den Köpfen junger Menschen – ein düsteres Comeback.

Das vergebene Motto von islamistischen Terror-Predigern lautet: Wenn ihr die Möglichkeit habt, „Ungläubige“ zu töten, dann macht es. Die Ausrüstung spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht, Angst und Schrecken zu verbreiten, um westliche Gesellschaften zu destabilisieren. 

Große Sicherheitslücke in Europa
Neumann warnt immer wieder vor einer klaffenden Sicherheitslücke auf europäischer Ebene. Eine nahtlose Zusammenarbeit der Nachrichtendienste auf internationaler Bühne sei für den führenden Terrorismus-Experten ein Gebot der Stunde – und aktuell nicht gegeben. Besonders der Fall des München-Schützen würde die Problematik verdeutlichen.

Hier beschreibt Neumann das Problem im Video:

Zur Erinnerung: Am Donnerstag schoss ein 18-jähriger Österreicher auf das israelische Generalkonsulat in München, bevor er von der Polizei getötet wurde. Behörden gehen von einem Terrorakt aus. Die Ermittler prüfen Hinweise auf islamistische und antisemitische Motive. Der junge Mann mit bosnischen Wurzeln war in Österreich amtsbekannt, in Deutschland aber nicht. Hier wurden Informationen nicht ausgetauscht, obwohl der potenzielle Gefährder nur eine Autostunde von München entfernt wohnhaft war.

Terrorakte häufen sich merklich
Wenige Stunden nach dem Anschlagsversuch in München stürmte im Norden von Rheinland-Pfalz ein mutmaßlicher Islamist eine Polizeiwache. Der mit einer Machete und einem Messer bewaffnete Mann wurde in einer Sicherheitsschleuse eingeschlossen und von Spezialkräften überwältigt.

Bei einem mutmaßlich islamistischen Terroranschlag in Solingen hatte am 23. August ein Mann auf einem Stadtfest drei Menschen mit einem Messer getötet und acht weitere verletzt. Der mutmaßliche Täter sitzt in Untersuchungshaft. Ende Mai stach ein Afghane im deutschen Mannheim mehrere Menschen nieder, ein junger Polizist erlag seinen Verletzungen.

Frühwarnsystem müssen besser werden
„Selbst bei diesen Einzeltätern, die sich häufig selbst radikalisieren, ist es nicht so, dass die über Nacht zu Terroristen werden“, erklärte Neumann den ARD-„Tagesthemen“. Ihnen gingen häufig Wochen oder Monate der Radikalisierung voraus, in denen es möglich sei, „Signale“ abzufangen.

Der vereitelte Anschlag von München ließ auch eine neue Grenzkontrolldebatte entflammen. (Bild: APA/HANS KLAUS TECHT, Krone KREATIV)
Der vereitelte Anschlag von München ließ auch eine neue Grenzkontrolldebatte entflammen.

„Wir müssen besser werden, diese Signale abzufangen, das Umfeld zu sensibilisieren und uns auf die Risikogruppen zu konzentrieren, wo tatsächlich die Terroristen herkommen.“ Man könne Anschläge zwar nicht vollständig verhindern, aber die Quote der verhinderten Anschläge erhöhen.

Rationalität statt Hysterie
Hysterie bleibe jedoch das falsche Mittel der Wahl. Neumann rät, möglichst rational mit der Gefahr von Anschlägen umzugehen: „Man darf sich nicht terrorisieren lassen, dann gewinnen im Prinzip die Terroristen.“ Denn der Sinn und Zweck von Terrorismus bestehe darin, Gesellschaften und Menschen zu terrorisieren. Das Risiko, bei einem terroristischen Anschlag zu sterben, sei aber immer noch sehr gering.

„Das heißt, es gibt viele Bedrohungen im Alltag, die weit gefährlicher sind“, sagte Neumann, der am Londoner King‘s College lehrt. „Natürlich ist dieser Schrecken und der Terror etwas ganz Schlimmes, aber man muss versuchen, rational damit umzugehen.“

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