Er ist 19 und sie gerade einmal 16 Jahre alt – beide sollen sie Anhänger des Islamischen Staats (IS) sein, für die Terrororganisation Propaganda betrieben haben. Und das selbst, als beide bereits als Beschuldigte bei der Polizei ausgesagt hatten. Während das Mädchen ein Geständnis im Wiener Landesgericht ablegt, wird der 19-Jährige in einem anderen Saal von Heulkrämpfen gebeutelt.
Ein Stockwerk trennt das junge Paar im Wiener Landesgericht – wo zeitgleich gegen die beiden verhandelt wird. Sie sollen Mitglieder des IS sein, fleißig Propaganda für die Terrororganisation betrieben haben. Sie sei mit einer selbstgebastelten IS-Stofftasche über den Praterstern spaziert, er hätte laut Staatsanwaltschaft Pläne gehabt, nach Syrien auszureisen.
Mit 15 Jahren dem IS angeschlossen
Zuerst muss im Saal 16 die erst 16-Jährige Platz nehmen. „Die Tätigkeit der Angeklagten war vordergründig, Propaganda zu verbreiten“, leitet der Staatsanwalt ein. Und das nicht nur auf TikTok, Instagram und Co.: Am 11. Juli 2023 spazierte sie zusammen mit einer Freundin vollverschleiert über den Praterstern – mit einer Stofftasche über der Schulter, geziert mit einem IS-Symbol. Sie wurden von der Polizei angehalten, angezeigt und es wurden die Ermittlungen aufgenommen.
„Es hat sich aber herausgestellt, dass es da nicht aufgehört hat“, offenbarte der Staatsanwalt den Schöffen. Denn obwohl sie bereits Ende 2023 als Beschuldigte bei der Polizei ausgesagt hatte und an einem Deradikalisierungsprogramm teilnehmen musste, führte sie noch bis August 2024 zwei Telegram-Accounts und verschickte dort Propaganda ...
Minderintelligenz festgestellt
Keine Entschuldigung, aber eine Erklärung versucht ihre Verteidigerin zu liefern: „Sie hat mit 12 Jahren ein traumatisches Erlebnis gehabt. Sie hat sich dem Islam zugewannt, wo man sich verhüllen kann.“ Außerdem habe ihre Mandantin einen IQ von 65. „Das heißt, sie ist sehr leicht zu beeinflussen. Dass sie die ganze Tragweite ihres Tuns versteht, ich glaube, das überschreitet ihre geistige Kapazität.“
Ich dachte, das ist der wahre Islam. Ich wollte der Welt zeigen, dass das so richtig ist.
16-jährige Wienerin über ihre radikale Einstellung
Auf Nachfrage des vorsitzenden Richter, gibt die damals erst 15-Jährige Einblicke in ihre Radikalisierung: Sie stamme aus einer christlichen oberösterreichischen Familie, lebe aber in Wien. Irgendwann habe sie schließlich angefangen, sich mit Religion auseinanderzusetzen: „Ich hab‘ mir gedacht, dass es keinen Sinn macht, dass ich Christin bin. Ich glaube nicht ans Christentum und ich verstehe es auch nicht. Der Islam ist klar. Wenn ich den Koran lese, verstehe ich, was gemeint ist.“ In einer Moschee traf sie schließlich radikale Islamisten, wollte so sein, wie sie.
Terrorangeklagter (19) wird von Weinkrämpfen gebeutelt
In der Szene habe sie schließlich auch ihren „Mann“ kennengelernt, wie sie ihn bezeichnet. Er muss sich eine viertel Stunde später im Saal 21 seiner Terror-Anklage stellen. Der 19-Jährige wird jedoch aus der U-Haft vorgeführt – laut Staatsanwaltschaft hegte er im Oktober 2023 den Plan, nach Syrien auszureisen und sich dem IS anzuschließen. Zuvor habe er ebenfalls Propaganda verbreitet und Flaggen im Internet bestellt.
Im Gegensatz zu der 16-Jährigen bekennt sich der junge Wiener jedoch nicht schuldig. Während seiner Aussage bricht er immer wieder lautstark in Tränen aus. „Ich hab‘ das nur für sie gemacht. Ich wusste, dass sie die Postings sieht. Ich wollte sie beeindrucken. Ich kannte mich wirklich nicht aus. Ich hab‘ auch die Flaggen für sie bestellt“, schluchzt er im Wiener Landl.
Und auch der Verteidiger des 19-Jährigen betont, dass es das Mädchen war, das seinen Mandanten in die radikale Richtung lenkte. Es handle sich „eigentlich um eine Liebesgeschichte, die nicht gut ausgegangen ist“, behauptete der Anwalt.
Von der Anklagebank in den Zeugenstand
Die 16-Jährige fasst nach kurzer Beratung der Schöffen nicht rechtskräftig 15 Monate bedingte Haft aus. Für sie ist ihr Auftritt vor Gericht aber noch nicht zu Ende. Nach dem Urteil muss sie einen Stock höher im Saal 21 als Zeugin aussagen, entlastet ihren 19-jährigen „Mann“. Beiträge in den sozialen Medien, die ihm angelastet werden, habe eigentlich sie verfasst. Für einen weiteren Zeugen wird der Prozess aber vertagt. Aus der Untersuchungshaft wird der junge Wiener aber entlassen.
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