Live in der Wr. Arena

Heilung beschworen alte Geister und Götter herauf

Musik
12.09.2024 07:49

Den vorerst letzten Sommerabend der Saison verbrachten rund 3000 Fans Mittwochabend bei der restlos ausverkauften Show des nordischen Kollektivs Heilung am Open-Air-Gelände der Wiener Arena. Ein Abend voller Runen, Riten und radikalen Innovationen, der sich zuweilen wie ein tranceartiger Fiebertraum gebärdete.

(Bild: kmm)

Wenige Monate vor Ausbruch der Corona-Pandemie gaben die mysteriösen Heilung ihr erstes Wien-Stelldichein – kurioserweise im für derartige Konzerte eher selten genutzten Globe im Grenzgebiet zwischen Landstraße und Simmering. Der Verfasser dieser Zeilen war an einem herbstlichen November-Tag selbst anwesend und wurde von einem Tänzer des deutsch-dänisch-norwegischen Kollektives leibhaftig angeschwärzt. Am Ende der Show gingen Bandmitglieder durchs Publikum und bemalten leidenschaftlich. Fünf Jahre später ist das nordische Ritualgeschwader längst zu einem globalen Big Seller geworden. Man dirigiert die Massen bei Großevents wie dem Nova Rock, füllt, so wie heute, das stattliche Open-Air-Gelände der Wiener Arena schon viele Wochen vor dem Event bis auf den letzten Platz und begeistert gleich mehrere Generationen Hobby-Wikinger und Instrumentalfetischisten.

Heilung (Bild: Andreas Graf)
Heilung

Neuer Farbklecks im Genre
Die naturbelassene Kraft Heilungs könnten Hobby-Verschwörungstheoretiker gar in der gegenwärtigen Realität verorten – immerhin spielt das Gespann in Wien bei spätsommerlichem Wetter, bevor die tagelange Regen-Tristesse Einzug hält. Die Klänge der instrumentalen Original-Artefakte scheinen den tagelang prognostizierten Dauerregen förmlich heraufzubeschwören – ungläubig sind jene, die an bloßen Zufall glauben. Bevor Mastermind Kai Uwe Faust und seine historisch interessierten Kollegen die Bühne entern, darf sich der gebürtige Schweizer Manuel Gagneux austoben. Mit seinem Projekt Zeal & Ardor (zu Deutsch „Eifer und Inbrunst“) hat er mit dem Debüt „Devil Is Fine“ vor acht Jahren tatsächlich eine neue Farbe in den Extreme Metal gekleistert – sein alles andere als handelsüblicher Black Metal vermischt sich mit Rock- und Gospel-Zitaten - mittlerweile ist auch Platz für Nu-Metal und sanfte Töne. Für Genrepuristen klingt das in etwa so, als würde die Hölle zufrieren. Offenere Geister fanden an den Klangexperimenten aber ausreichend Gefallen, um ihn – auch in Österreich – zu respektablen Chart-Platzierungen zu verhelfen.

Mehr als nur ein Anheizer für das Hauptprogramm: Der Schweizer Manuel Gagneux mit seinem Projekt Zeal & Ardor. (Bild: Andreas Graf)
Mehr als nur ein Anheizer für das Hauptprogramm: Der Schweizer Manuel Gagneux mit seinem Projekt Zeal & Ardor.

So landete das erst wenige Wochen alte Neuwerk „Greif“ hierzulande auf Platz 30, was trotz der gesteigerten Zugänglichkeit eher unüblich ist. Mit seiner mittlerweile gut geölten und etablierten Liveband ist Gagneux der perfekte Einheizer für den gehypten Headliner. Seine Texte prangern die sklavische Unterdrückung der Afroamerikaner und Rassenhass an, das fast völlig fehlende Bühnenbild animiert die Zuhörer, ihre Aufmerksamkeit ganz auf die Kunst zu lenken. Sein Österreich-Debüt gab Zeal & Ardor weiland beim Showcase-Festival Europavox im Wiener WUK – mittlerweile ist das Projekt selbst nahe an einem Headliner-Status angelangt. Ältere und neue Songs haben sich musikalisch zwar schon weit voneinander entfernt, als konzertante Einheit ergibt der Spannungsbogen aber durchaus noch Sinn. Am stärksten wirken noch immer die Soul-behafteten Momente: „Blood In The River“ oder eben „Devil Is Fine“ – das Momentum des Ursprungs ist unschlagbar.

Zeal & Ardor (Bild: Andreas Graf)
Zeal & Ardor

Wie in Schönbrunn
In der gut halbstündigen Umbaupause bleibt ausreichend Zeit, um eine schnelle Anwesenden-Analyse durchzuführen. Heilung-Fans bilden mittlerweile einen bunten demografischen Querschnitt der Bevölkerung ab. Nicht nur die Methorn-, Rollenspiel- und Headbang-Fraktion erscheint freudig am Gelände, auch ältere Semester mit Rock-Shirts, durch Mundpropaganda animierte Schaulustige und partielle Indie-Musik-Stilfreunde finden sich unter den rund 3000 Menschen. All jenen wird vom Headliner optisch aber auch einiges geboten. Das Bühnenbild ist üppig und naturbelassen. Palmensträucher und Grasbüschel werden drapiert, die zwei Percussionisten schlagen wie einst Sklaven-Galeerentrommler auf ihre Felle ein und drei Mikrofone werden von der Bühnendecke hängend auf Schaukel-artigen Schnüren drapiert – wohl um den Hall des Sounds einzufangen. „Fast wie im Schönbrunner Schmetterlingshaus“, merkt eine Besucherin staunend an.

Heilung (Bild: Andreas Graf)
Heilung

Eine Heilung-Show hat nur wenig mit herkömmlichen Konzerterlebnissen zu tun. Es gibt weder schmachtende Frontmenschen, noch sich ins Nirwana fiedelnde Leadgitarristen – der Star der Band ist das penibel ausgearbeitete Konzept, das Eisen- und Wikingerzeit ins Zentrum stellt und dabei weder Kosten noch Mühen scheut. Die Kostüme reichen von Hirschgeweihen über Federschmuck bis hin zu Girlanden-artigen Kleidern, das Instrumentarium besteht zu einem Großteil aus Vergessenem oder gar Unbekanntem und neben der musizierenden Kernbesetzung sorgen eine Vielzahl von Tänzerinnen und Tänzer immer wieder für memorable Show-Momente. Über allen thront dazu der Wechselgesang der Frontleute. Faust mit kellertiefen, rollenden Growls und Partnerin Maria Franz mit einer glockenhellen, zuweilen in höchste Björk-Sphären gehenden Stimm-Range, die dem rituellen Treiben eine besondere Form der Einzigartigkeit verleiht.

Heilung (Bild: Andreas Graf)
Heilung

Spektakulär und aneignend
Bei Heilung geht es um das Gesamtbild. Man braucht die Geduld für die ausladenden Weihrauchrituale und kundige Fans stimmen sofort in das Wolfsgeheul der Musiker ein und verwandeln die Arena für einige Momente in einen urbanen Wildpark. Es erzittern Zitadelle, Hörner und Trompeten blasen zum Angriff, Schamanentrommeln eröffnen eine hypnotisch-kathartische Wirkung, die sofort in eine Art Trance leitet. Geschickt verweben Heilung in das Klang- und Tanzspektakel moderne Zitate und ufern von der nordischen Thematik auch immer wieder mal gen Maori-Kult oder indigene Traditionen aus. Wer mit dem neumodischen Terminus „kulturelle Aneignung“ seine Probleme hat, ist zu diesem Zeitpunkt längst vom Areal geflüchtet. Zwischen Riten und Runen brauen Heilung ihre ganz eigene Soundsuppe und brillieren mit einer Show voller Alleinstellungsmerkmale. Auch schräge Innovation kann den breiten Geschmack treffen, wenn sie gut und authentisch gemacht ist.

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