Psychologin klärt auf

Hype: Die nicht endende Magie von Reality-Shows

Unterhaltung
16.09.2024 06:00

Ab jetzt geht es wieder so richtig los – der Herbst ist voll mit Reality-Shows und Trash-TV. Der Hype um die mehr oder weniger aus dem echten Leben gegriffenen Sendungen nicht enden wollen. Die Wiener Neustädter Psychologin Daniela Krammer analysiert in der „Krone“, warum wir diese Art des Fernsehens so lieben.

Es ist ein wiederkehrendes Ritual, das sich von Jahr zu Jahr größerer Beliebtheit erfreut. Wenn die Temperaturen zu sinken beginnen und der Teekessel kocht, kuschelt man sich daheim auf der Couch in die Lieblingsdecke und labt sich an Freud und Leid anderer Menschen. Die Grenzen zwischen Reality-Shows und Trash-TV sind längst verschwommen, man ist gleichermaßen mit Prominenten und Otto-Normalverbrauchern konfrontiert, wenn man durch das lineare Programm surft. „Wenn Prominente bei Reality-Shows auftreten, haben wir oft das Gefühl, an deren Leben und auch ein bisschen an der Glamour- und Glitzerwelt teilnehmen zu können“, erklärt uns die Wiener Neustädter Psychologin Daniela Krammer, „sind die Protagonisten in den Sendungen ,gewöhnliche Leute‘, fällt es leichter, das eigene Leben mit deren Situation zu vergleichen, wobei der Vergleich hoffentlich zu Gunsten des eigenen Lebens ausgeht.“

Buntes Sendungs-Potpourri
Dieser Tage und Wochen startet eine ganze Phalanx an unterschiedlichen Sendungen. ATV setzt bei der bereits angelaufenen 21. Staffel von „Bauer sucht Frau“ auf den ruralen Wohlfühlfaktor, während das „Forsthaus Rampensau“ (ab 3. Oktober) Prominente und „Prominentchen“ bei einer Art Schullandwoche für Erwachsene begleitet. Auf Sat.1 startet am 7. Oktober die neue Ausgabe von „Promi Big Brother“, RTL erweckt dieser Tage das „Sommerhaus der Stars“ und geht mit Dieter Bohlen und Co. in eine weitere Runde von „DSDS“. „Voyeurismus ist so alt wie die Menschheit“, erläutert Krammer, „was früher der Blick aus dem Fenster war, ist heute das Schauen von Reality-Shows. Wir können verschiedene Situationen miterleben, ohne uns selbst aus unserer Komfortzone bewegen zu müssen.“

Mag. Daniela Krammer, klinische und Gesundsheitspsychologin aus Wiener Neustadt, analysiert für die „Krone“. (Bild: Elfenreich)
Mag. Daniela Krammer, klinische und Gesundsheitspsychologin aus Wiener Neustadt, analysiert für die „Krone“.

Diese Art von Voyeurismus bedingt auch, dass es für die meisten Zuseher nicht extrem und ekelhaft genug sein kann. „Über die Jahre ist die Grenze des guten Geschmacks und dessen, was möglich ist, immer weiter verschoben worden. Jeder kennt wahrscheinlich das mulmige Gefühl im Bauch, wenn man jemand anderen beobachtet, der etwas extrem Ekelhaftes oder Gefährliches tut. Wenn aber selbst in Sicherheit ist, kann man diesen Adrenalinstoß so richtig genießen und genau das bedienen etwa Dschungelprüfungen.“ Paradoxerweise fördern andere Sendungen aber auch die Sehnsucht nach einer heilen Welt. „Diese wünschen wir uns insgeheim, weil solche Sendungsformate uns dabei helfen, für kurze Zeit die Krisen der Gegenwart zu vergessen.“

Verbesserung der Eigensituation
Ob man jetzt bekannten oder weniger bekannten Menschen dabei zusieht, wie sie Würmer verspeisen oder sich öffentlich prostituieren, mache keinen allzu großen Unterschied. „In beiden Fällen wirkt sich das positiv auf die Bewertung der eigenen Situation aus. Sowohl die Bewunderung für den Luxus als auch der Vergleich nach unten lösen starke Emotionen aus, weil diese Shows es ermöglichen, die Teilnehmer über einen längeren Zeitraum zu begleiten und das Gefühl von Beziehung vermitteln können. Man hofft und bangt mit den eigenen Favoriten mit und identifiziert sich auch mit ihnen. Emotionen spüren heißt, sich lebendig fühlen.“

Bei der aktuellen Staffel von „DSDS“ gibt es rund um Dieter Bohlen (2.v.l.) wieder ein absolutes Staraufgebot zu verzeichnen. (Bild: RTL / Stephan Pick)
Bei der aktuellen Staffel von „DSDS“ gibt es rund um Dieter Bohlen (2.v.l.) wieder ein absolutes Staraufgebot zu verzeichnen.

Reality-Shows sind älter als Social-Media-Plattformen und wurden in ihrer Popularität auch nicht von solchen abgelöst. „Die Hemmschwelle, eine große Community am eigenen Leben teilhaben zu lassen, ist in den letzten Jahren sicher gesunken“, analysiert die Psychologin, „die Menschen haben ein ureigenes Bedürfnis, wahrgenommen und gesehen zu werden. Oft wird ein öffentliches Leben mit einem Leben, in dem man als Person wahrgenommen wird, vertauscht.“ Die Sehnsucht der Menschen, selbst in Reality- oder Trash-Shows aufzutreten, liegt mitunter auch im Pekuniären begründet. „Es gibt einerseits den Hang zur Selbstinszenierung und Selbstdarstellung – Reality-Shows bieten hier die Chance auf kurzfristige Prominenz. Andererseits dürfen die finanziellen Anreize nicht unterschätzt werden.“

Dosis macht das Gift
Die Lust an der Öffentlichkeit geht oft so weit, dass man dafür auch eine diffuse Ausstrahlung der eigenen Person in Kauf nimmt. „In dieser Frage spielt die Ethik eine große Rolle. Letztendlich sind Reality-Shows mittlerweile so alt, dass jeder, der darin auftritt, weiß, worauf er sich einlässt. Natürlich gibt es eine Verantwortung der Produzenten, wie Personen dargestellt werden, andererseits ist die Teilnahme freiwillig und die Letztentscheidung teilzunehmen oder nicht, liegt an den Protagonisten.“ Bleibt eigentlich eine Restgefahr, dass Menschen bei übermäßigem Konsum von Reality-TV nicht mehr zweifelsfrei zwischen Realität und Fiktion unterscheiden können? „Wie bei allen Dingen macht auch hier die Dosis das Gift“, so Krammer, „wenn Reality-Shows beginnen, das eigene Erleben zu ersetzen und man sich in fiktiven Beziehungen und Identifikationen verliert, kann diese Trennung schwierig werden.“

Loading...
00:00 / 00:00
play_arrow
close
expand_more
Loading...
replay_10
skip_previous
play_arrow
skip_next
forward_10
00:00
00:00
1.0x Geschwindigkeit
Loading
Kommentare

Liebe Leserin, lieber Leser,

die Kommentarfunktion steht Ihnen ab 6 Uhr wieder wie gewohnt zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen
das krone.at-Team

User-Beiträge geben nicht notwendigerweise die Meinung des Betreibers/der Redaktion bzw. von Krone Multimedia (KMM) wieder. In diesem Sinne distanziert sich die Redaktion/der Betreiber von den Inhalten in diesem Diskussionsforum. KMM behält sich insbesondere vor, gegen geltendes Recht verstoßende, den guten Sitten oder der Netiquette widersprechende bzw. dem Ansehen von KMM zuwiderlaufende Beiträge zu löschen, diesbezüglichen Schadenersatz gegenüber dem betreffenden User geltend zu machen, die Nutzer-Daten zu Zwecken der Rechtsverfolgung zu verwenden und strafrechtlich relevante Beiträge zur Anzeige zu bringen (siehe auch AGB). Hier können Sie das Community-Team via unserer Melde- und Abhilfestelle kontaktieren.



Kostenlose Spielechevron_right
Vorteilsweltchevron_right