Mit seinen seelenvollen und musikalisch sehr bunt ausfransenden Pop-Songs erobert der Deutsche Ivo Martin gerade die Herzen seiner streamenden Fans. Bevor er in wenigen Tagen das restlos ausverkaufte Wiener Flex bespielt, haben wir den 21-jährigen Durchstarter zu Berlin, seiner zweiten Liebe Fußball und die Schwere einer inneren Leere befragt.
„Krone“: Ivo, du hast erst vor wenigen Wochen einen gefeierten Auftritt beim Frequency Festival in St. Pölten auf die Bühne gelegt …
Ivo Martin: Wenn man sich das Line-up so ansieht, ist es eines der buntesten Festivals im deutschsprachigen Raum. Meist kriegt man aber vom Drumherum nicht viel mit, weil man sehr fokussiert ist, auf seinen Auftritt wartet und dann wieder weiter muss. Bei den Namen auf dem Plakat schluckt man aber schon manchmal, weil so viele Top-Acts dabei sind. Ich habe am selben Tag die Bühne betreten wie RAF Camora, das ist schon ein Wahnsinn. Und für mich war es auch ein Novum.
In wenigen Tagen spielst du im rappelvollen Wiener Flex, das fasst auch an die 700 Leute. Da ist doch noch viel mehr Luft nach oben?
Das ist eigentlich unfassbar und schön zu sehen. Ich bin wahnsinnig glücklich darüber, wie viele Leute anscheinend Lust darauf haben, mich live zu sehen. Das mit den Tickets ist jetzt natürlich nicht so toll, aber es wird auch nicht meine letzte Tour sein. Ich hoffe stark, dass ich nächstes Jahr wieder bei euch vorbeischauen werde. Mein neues Album „Puls“ gibt auf jeden Fall viele Gründe dazu, noch öfters unterwegs zu sein und die Lieder vorzustellen.
Steht „Puls“ für ein bestimmtes Konzept? Möglicherweise für den musikalischen Puls, in dem du dich befindest und der dir gerade so viele Erfolge beschert?
Lustig, aber eigentlich hast du das Album damit schon ziemlich gut beschrieben. Es gibt auch einen Song namens „Puls“, der aber gar nicht viel mit dem Gesamtkontext des Albums zu tun hat. Das Album pulsiert auf eine besondere Art und Weise, weil es emotional rauf und runter geht und alle Facetten des Lebens abdeckt. Manchmal ist es sehr emotional und ruhig, dann wieder lauter und rockiger, dann auch wieder poppig. Nebenbei ist es auch wichtig, dass man ein bisschen am Puls der Zeit ist. Mit der Musik, der dahinterliegenden Botschaft und all dem, was man als Künstler so ausstrahlt. Durch Social Media gibt es derzeit so viele Strömungen, dass es ziemlich schwierig ist, diesen Puls der Zeit zu erwischen. Im Endeffekt fasst der Titel zusammen, dass wir sehr viel experimentiert und uns einiges getraut haben. Es klingt ein bisschen anders und das freut mich sehr.
Welche Form des Ivo Martin machst du denn deinen Hörern mit dem Album zugänglich? Zeigst du neue Facetten von dir und deiner Musik?
Zu manchen Teilen klingt meine Musik sicher ein bisschen urbaner als es die alten Singles angedeutet haben. Mir war es vor allem wichtig, neue Dinge auszuprobieren und dabei zuweilen auch etwas rockiger, monumentaler und pompöser zu werden.
Befindest du dich noch immer in deiner musikalischen Findungsphase? Kannst du dir vorstellen, in Zukunft noch viel weiter vom bisher Bekannten auszuscheren?
Ich glaube schon. In den letzten zwei Jahren hat eine Art Findungsprozess stattgefunden, der mich zu meinem Stil geführt hat. Als ich meine ersten drei Singles veröffentlicht habe und gerade in Berlin angekommen bin, hatte ich noch große Probleme mich darauf festzulegen. Mit den Singles „Weit weg“ und „Hallo“ habe ich 2023 dann aber eine Richtung gefunden, die mir sehr gut gefallen hat. So habe ich für mich entdeckt, dass eine Akustikgitarre sehr gut in meine Lieder passen würde. Das war eine bewusst getroffene Entscheidung, die für meinen Sound wichtig war. Der Prozess ist aber lange nicht vorbei und Berlin als Heimat kann gleichermaßen Fluch wie Segen sein. Es gibt einerseits wahnsinnig viele Möglichkeiten, sich zu präsentieren, dazuzulernen und sich zu vernetzen. Andererseits herrscht dort auch großer Wettbewerb, weil es so viele Musiker gibt, die viel Talent haben.
Es scheint zumindest so zu wirken, als würdest du diesen Wettbewerb als positiv ansehen.
Ich denke gar nicht zu viel darüber nach. Man kann die Streamingzahlen messen, aber über die Qualität von Musik sagt das am Ende wenig aus. Ich habe sicher ein paar gute Entscheidungen getroffen, hatte aber auch viel Glück. Mir persönlich tut Berlin sehr gut und ich habe hier viele Freunde gefunden. Das ist alles andere als selbstverständlich, denn ich sehe und weiß, wie viele andere Künstler struggeln und hier ihre Probleme haben. Durch das digitale Zeitalter haben wir aber auch den Vorteil, dass wir nicht alle in Berlin leben müssen. Allerdings herrscht eine andere Art von Inspiration, wenn du wo bist, wo das Leben und die Szene pulsieren und sich befruchten. Vorher war ich in Bonn. Auch eine schöne Stadt, aber man kann sie nicht mit Berlin vergleichen – dort ist das Epizentrum von Kultur. Selbst wenn Leute nicht hier wohnen, kommen sie regelmäßig hierher. Alles, was sich musikalisch, medial und politisch so abspielt, passiert hier. Hier passiert tatsächlich Geschichte.
Ist die jeweilige Umgebung, in der du dich befindest, denn wichtig für das Songwriting?
Es ist natürlich etwas anderes, ob man in einer geschichtsträchtigen Stadt herumspaziert, in der tatsächlich immer Geschichte passiert, oder irgendwo nur in seinem Wohnzimmer hockt. Ich nehme die Umgebung in der Kreativität nicht bewusst wahr, denn manchmal schließe ich die Augen und klimpere auf der Gitarre einfach so vor mich hin. Ein elementarer Unterschied ist, ob ich zum Beispiel in einem Songwriting-Camp bin oder in der Wohnung für mich allein dahin arbeite. In einem Camp bist du nur für das Liederschreiben, du hast keine anderen Verpflichtungen und kannst dich voll darauf fokussieren. Ich schätze das sehr und mache bei solchen Events gerne mit.
Gab es in deinem Leben einmal einen einschneidenden Moment, in dem du wusstest, ab jetzt geht es um Musik und sonst um nichts anderes mehr?
Das ist eine gute Frage. Mit 16 stand ich am Scheideweg, denn ich war ein sehr guter und ambitionierter Sportler, habe mich aber dezidiert für die Musik entschieden. Mir war nicht klar, dass ich damit meinen Lebensunterhalt verdienen möchte, aber es war für mich selbst schon eine sehr klare Richtungsentscheidung. Via TikTok gingen dann die Zahlen nach oben und ich habe meine ersten Deals gemacht und gemerkt, dass man davon wirklich was aufbauen kann. Als ich das erste Mal von der Musik die Miete zahlen konnte, war sicher so ein Moment, der in mir viel verändert hat.
Welchen Sport hast du gemacht und wie weit bist du da gekommen?
Mit sechs habe ich das erste Mal Fußball gespielt und auch Gitarrenunterricht bekommen – von diesem Alter an haben diese beiden Leidenschaften gleichberechtigt in meinem Leben existiert. Fünfmal die Woche war Fußballtraining, einmal Gitarrenunterricht und daheim habe ich geübt. Ich war in der Verbandsliga und habe mich drei, vier Jahre lang total auf den Fußball konzentriert. Ich habe nicht nur selbst gespielt, sondern war ein echter Fan – ein richtiger Freak. Ich kannte alle Tabellen und Statistiken in- und auswendig. Mit 16 gab es dann einen Rückschlag, als ich in eine Mannschaft, die in der Bundesliga spielte, nicht genommen wurde. Ich habe dann über Nacht den Spaß daran verloren, was sehr hart war, weil Fußball bis dahin meine größte Leidenschaft war. Ich musste eine Entscheidung fällen und habe das durchgezogen – zum Glück hatte ich auch die Musik, die hat mich sofort aus dem Tief geholt.
Ein so wichtiges und zeitintensives Hobby zu verlieren, ist dennoch eine ziemlich heftige Sache. War die temporäre Leere notwendig für eine neue Orientierung?
Genau, aber so etwas Ähnliches passiert sicher vielen Menschen. Etwa wenn du sechsmal die Woche intensiv Fußball spielst und dir dann das Kreuzband reißt und ein halbes Jahr ausfällst. Dann kann man auch nicht mehr das machen, was man immer gemacht hat. Ich hatte Glück. Ich konnte Gitarre spielen und habe schon immer Songs geschrieben. In Bonn hatte ich dann schnell jemanden gefunden, der Lust darauf hatte, meine Ideen zu produzieren. Mit 17 kam dann mein erstes Lied raus. Die Musik war ein immens wichtiges Auffangbecken.
Bist du wirklich kurz davor gewesen, in die deutsche Fußballbundesliga zu kommen?
Ich weiß nicht, ob „kurz davor“ die richtige Zuschreibung dafür ist, aber es gab auf jeden Fall zwei Probetage, wo ein paar Talente sich bei dem Verein präsentieren durften – ich wurde dann eben abgelehnt – aber das passierte auch zu Recht so. Andere waren einfach besser. Mit 14 hatte ich mal ein Probetraining bei Bayer Leverkusen. Ich habe viermal vorgespielt und sie waren ganz zufrieden, aber es hat eben auch dort nicht ganz gereicht. Im Endeffekt bin ich froh darüber, denn ich glaube, viel weiter als für die Regionalliga würde es bei mir auch nicht reichen. Das wäre schön gewesen, aber eben nicht alles. Die Musik bleibt aber für immer, sie war auch schon immer da. Ich habe zwar kein Sky-Abo, aber der Fußball interessiert mich noch immer. Ich schaue mir gerne Spiele an und habe eine Meinung dazu, aber die Musik hatte den längeren Atem.
In der Musik bist du auch wesentlich selbstgesteuerter als im Fußball. Da ist mehr Raum für eigene Ideen und Umsetzungen.
Ein bisschen mehr, sagen wir so. (lacht) Mir kann natürlich niemand vorschreiben, wie und welche Songs ich schreibe, aber die Teamarbeit ist auch hier sehr wichtig. Schauen wir einmal, wohin die Reise hier geht.
Live im Wiener Flex
Im Zuge seiner „Sonnenuntergang“-Tour kommt Ivo Martin am 22. September ins Wiener Flex. Das Konzert wurde bereits vom Flucc hochverlegt und ist bereits restlos ausverkauft. Wer den Durchstarter und die Songs seines Albums „Puls“ abseits davon live hören möchte, muss sich dann wohl bis 2025 gedulden.
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