Sieben Jahre nach ihrem letzten Album kehrt der 2000er-Popstar Nelly Furtado mit „7“ wieder ins Rampenlicht zurück. Die 45-jährige Jungmütter versucht dabei alle Pop-Erfolgsformeln der letzten fünf Jahre auf ein Album zu pressen und erleidet beim Versuch des Allumfassenden unweigerlich kompositorischen Schiffbruch.
Bei der Welle an großartigen (weiblichen) Popstars kann es schon einmal untergehen, wenn sich eine davon für längere Zeit zurückzieht. So geschehen bei der Kanadierin Nelly Furtado, einer der prägendsten Stimmen der 2000er-Jahre, die aus unterschiedlichen Gründen schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie ins musikalische Off ging. 2023 wurde bei der mittlerweile 45-jährigen Sängerin mit portugiesischen Wurzeln ADHS diagnostiziert, seitdem habe sie etwa 400-500 Song-Sketches und -Ideen zusammengesammelt, aus denen schlussendlich 14 vollständige Songs für das wenig kreativ „7“ betitelte neue Album erwählt wurden. „7“, so die schlichte Erklärung der Künstlerin, einerseits, weil es eben das siebente Studioalbum sei und weil sieben lange Jahre seit dem letzten Werk „The Ride“ ins Land zogen, das nicht mehr für so große Aufmerksamkeit sorgte.
Die fetten Jahre sind vorbei
Dabei begann Furtados Karriere einst so vielversprechend. Mit „I’m Like A Bird“ gelang ihr im Jahr 2000 als gerade mal 21-jähriges Jungtalent eine Hymne, die noch heute als erfolgreicher Ohrwurm durch die Gehörgänge der Hörer kriecht. Das vom Trip-Hop inspirierte Debütalbum „Whoa, Nelly!“ wurde zum Kickstart, drei Jahre später verließ sie sich nicht auf die etablierte Erfolgsformel, sondern zeigte sich mutig. „Folklore“ beinhaltete südeuropäische Folk-Zitate, bevor das Top-Werk „Loose“ 2006 mit Songs wie „Maneater“, „Promiscuous“, „Say It Right“ oder „All Good Things (Come To An End)“ sie in den Pop-Himmel katapultierte. Das von Timbaland produzierte, mit vielen R&B- und Hip-Hop-Zitaten verstärkte Werk wurde zum Top-Seller und sicherte Furtado über Jahre hinweg üppige Headliner-Touren.
Kreativ war die Geschichte Furtados noch nicht auserzählt, wohl aber kommerziell. Ihrem bisherigen Weg treu bleibend wandelte sie sich von Album zu Album. Das 2009 veröffentlichte „Mi Plan“ war spanischsprachig, die halbgare Pop-Produktion „The Spirit Indestructible“ versuchte sich recht erfolglos am „Loose“-Erfolgskonzept und das bislang letzte Album „The Ride“ flirtete ungeniert mit Indie- und Alternative-Stimmungen - viele Jahre bevor das Taylor Swift mit „Folklore“ und „Evermore“ tat. Die Rückkehr ins Rampenlicht hat sich bei Furtado schon länger angekündigt. So trat sie diesen Frühling bereits beim kalifornischen Coachella Festival auf und war neben Ed Sheeran das Highlight der EM-2024-Konzerte auf der Münchner Theresienwiese.
Mama geht wieder in die Disco
„7“ ist nach der langen Abwesenheit eine Mischung aus „The Spirit Indestructible“ und der großen Hoffnung, als Mittvierzigern im heutigen Mainstream-Pop-Segment noch eine Rolle zu spielen. Schon die beiden vorab veröffentlichten Singles „Corazón“ (mit Bomba Estéreo) und „Love Bites“ (mit der schwedischen Sängerin Tove Lo und DJ SG Lewis) gaben richtungsweisend vor, dass Nelly im Pop-Methusalem-Alter eher krampfhaft versucht, alle Stimmungen einzufangen. Einerseits die herzerwärmend zarte Latin-Hinternwackler-Nummer mit Balladen-Touch, andererseits ein Tanzflächen-Partybanger ohne wirklich griffige Hookline und mit überbordend vielen Zitaten bereits bekannter und etablierter Künstlerinnen. Eine wichtige Inspirationsquelle sei ihre mittlerweile erwachsene älteste Tochter gewesen, tat Furtado in einigen Interviews kund, sie hätte ihr die vielen DJ-Remix-Versionen ihrer eigenen Hits nähergebracht, was in Nelly selbst den Partygeist erweckte.
Die wiedergewonnene Sucht nach Party ist ambivalent aufzufassen, immerhin haben haltlos durchfeierte Nächte in Furtados Glanzzeiten schon mal zum körperlichen Kollaps geführt. Heute scheint das Nachtleben zumindest in gesünderen Bahnen abzulaufen, außerdem hat sie noch zwei kleine, medial bislang nicht aufgefallene Kinder zu Hause sitzen und musste laut eigenem Bekunden durch ein tiefes Liebeskummer-Loch waten. Zwischen Songs wie „Better For Worse“, „Crown“ oder „Save Your Breath“ liegen eine Vielzahl an gescheiterten Versuchen, einerseits die eigene Glanzpop-Vergangenheit neu heraufzubeschwören und den Zeitgeist einer jüngeren Generation zu treffen. Rein handwerklich sind die Songs über alle Zweifel erhaben, auch die Produktion ertönt astrein, doch neben einem Spannungsbogen fehlt es auch an kompositorischer Authentizität.
Zwischen Boomer und Alpha
Das kurios „Untitled“ benannte, letzte Stück des Albums ist mit einer sanft-akustischen Herangehensweise einer der sehr seltenen Momente, in denen man sich sorglos in Furtados Klangwelt fallen lassen kann, ohne im Hinterkopf zu haben, dass hier ein musikalischer Pop-Boomer dringend mit der Generation Alpha mitfeiern möchte. „7“ ist beileibe kein Reinfall, sondern weiß in den besten Momenten mit soliden Liedern aufzuwarten, doch zuweilen hat man das Gefühl, dass die musikalische als auch thematische Vielseitigkeit viel zu erzwungen versucht, alle Trends und Erfolgsrezepte des modernen Mainstream-Markts zwanghaft zusammenzukratzen und in einem 14-Nummern-starken Gewölle auszuspeien. Dann lieber doch wieder zu Charlie XCX‘ „Brat“ greifen.
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