Der Schweizer Theatermann Stefan Bachmann löste mit dieser Spielzeit den wenig geliebten Martin Kušej an der Spitze des Wiener Burgtheaters ab. Mit einem Eröffnungsfeuerwerk von fünf Premieren innerhalb weniger Tage ging der Neue an den Start. Hier die Bilanz dazu.
Zum Antritt einer neuen Direktion fünf Premieren, unter ihnen drei gelungene, in neun Tagen über die Rampe zu heben: Das beeindruckt schon als Kraftanstrengung. Auch besticht die gute Stimmung im Haus. Anders als der Vorgänger Martin Kušej, der das Ensemble beleidigt, dezimiert und vertrieben hat, lässt der freundliche Schweizer Stefan Bachmann dem ererbten Personal genauso viel Raum zum Glänzen wie den paar Neuzugängen. Die Durchmischung ist eine Frage der Zeit.
Nicht zufällig berufen sich alle drei gelungenen Premieren auf Romanvorlagen. „Johann Holtrop“, Rainald Goetz’ furiose Hinrichtung eines Scharlatans aus dem Spitzenmanagement, wird in Bachmanns mitgebrachter Kölner Erfolgsproduktion sogar als expliziter Prosatext durchkomponiert und -rhythmisiert. Den wie von Brecht konzipierten Kapitalistenfratzen bleiben dennoch genügend menschliche Züge für einen fesselnden Theaterabend. Die Besetzung – ausschließlich weiblich und neu engagiert – weckt die Vorfreude auf mehr, wobei Titelheldin Melanie Kretschmann und Ines Marie Westernströer nochmals Sonderformat verkörpern.
Virginia Woolfs „Orlando“, der im Jahr 1928 die heutigen Diversitätsdebatten zum Glühen gebracht hat, ist dafür Wiener Ensemblegrößen vorbehalten. Unter der Zauberhand der Schwedin Therese Willstedt wechseln sieben Titelhelden aus drei Generationen, von Martin Schwab bis Nina Siewert, schwerelos Alter, Identität und Geschlecht. Den Clou verantworten Nicholas Ofczarek und die kongeniale Musikformation Franui: Thomas Bernhards infernalisch trauriger Schlüsselroman „Holzfällen“ als Höllenfahrt einer vor 40 Jahren versunkenen Wiener Kulturblase, die in ihrer Banalität dennoch zum Fürchten heutig ist.
Dagegen sollte das Scheitern an der Bühnenklassik Anlass zur Selbstreflexion sein. Die Romandramatisierungen sind großes, gelungenes Theater, weil sie die Texte und die Verwandlungskunst der Schauspieler feiern. Aber ausgerechnet der eröffnende „Hamlet“ gerät der Zeitgeist-Diva Karin Henkel zum unbekömmlichen Salat aus gehäckselten Shakespeare-Zitaten, Dramaturgengeplapper und Belehrungsklamauk.
An Stelle des Iffland-Ring-Trägers Jens Harzer, der sich nach der ersten Leseprobe verabschiedet hat, versenken jetzt fünf Gesichtslose den Dänenprinzen im Dunkel muffiger Unauffälligkeit. Den stärksten Eindruck hinterlässt Michael Maertens als Schurkenkönig Claudius, obwohl er auf den Brillanzkasper zurückverwiesen wird, der er längst nicht mehr ist.
Und Bachmanns „Eingebildeter Kranker“, eine von allen Rückständen des Originals gesäuberte Molière-„Überschreibung“ aus Köln? Hier vereinen sich deutscher Frohsinn und postdramatisches Diskursgeschwafel zum Inbegriff des Theatergrauens.
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