Live im Volkstheater

Howe Gelb: Der Neil Young des Americana in Wien

Musik
23.09.2024 09:00

Mit seiner Band Giant Sand als auch solo hat sich Howe Gelb zu einem Helden des amerikanischen Indie-Underground gespielt. Nach mehreren gefeierten Auftritten am Wiener Blue Bird Festival kommt der 67-Jährige dieser Tage ins Wiener Volkstheater. Die „Krone“ sprach mit ihm über seine österreichischen Wurzeln, die Band Calexico und warum er in der Musik immer den Thrill sucht.

(Bild: kmm)

Manche Dinge passen einfach zusammen. Ein Fußball und ein saftiger Rasen. ATV und Trash-TV. Politik und leere Versprechen. Sehr gut zusammen passen auch Howe Gelb und Österreich. Egal, ob mit seiner Band Giant Sand oder solo – wenn der Hohepriester des Americana-Sounds durch Europa tingelt, dann steht ein Auftritt im Herzen Mitteleuropas fix am Plan. Besonders angetan hat es ihm das stets liebevoll kuratierte Blue Bird Festival im Porgy & Bess, wo er in verschiedenen Ausformungen schon dreimal auf die Bühne ging. In wenigen Tagen kehrt Gelb, mittlerweile stolze 67 Jahre jung, erstmals seit der Pandemie wieder bei uns ein, um ein Solokonzert in der – leider schon restlos ausverkauften – Roten Bar im Wiener Volkstheater zu spielen. Gelb wird gemeinhin als so etwas wie ein „Underground-Neil Young“ bezeichnet und hat mit seiner Band Giant Sand (früher Giant Sandworms) ab den 1980er-Jahren den Begriff Desert Rock geprägt, als Kyuss- und Queens Of The Stone Age-Mitglieder noch in den Windeln lagen.

Burgenländische Wurzeln
Die Österreich-Liebe rührt nicht zuletzt auch daher, dass Gelb Wurzeln in der Alpenrepublik hat. „Mein Großvater kommt aus der Burgenland-Gegend und hat das Land als Teenager verlassen. Das war zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg, als die Menschen hier kurz eine Verschnaufpause hatten. Über New York kam er nach Pennsylvania, fand seine große Liebe und hatte sechs Kinder – das jüngste davon ist mein Vater. Ich habe meinen Großvater leider nie persönlich kennengelernt, aber so etwas prägt natürlich und Wien war in den 1980er-Jahren unter den ersten Städten, in denen wir in Europa auf die Bühne gingen. Wir wurden hier immer warmherzig empfangen und ich spiele seit gut 40 Jahren großartige Konzerte in diesem Land. Österreich war immer sehr gut zu mir.“

Als später Teenager zog Gelb in den 1970er-Jahren von Pennsylvania nach Tucson, Arizona, lernte dort den gebürtigen Berliner Rainer Ptacek kennen und prägt mit ihm von dort weg eine ganze Szene, die er aus dem Hintergrund heraus zu einem globalen Exportartikel gedeihen ließ. Touren sei im gesetzteren Alter aber mühsamer, wie er der „Krone“ im Interview verrät. „Ich liebe es, in Europa aufzutreten und zu spielen, aber der Reiseaspekt ist unheimlich mühsam. Ich muss mir meine Kräfte heute gut einteilen und toure nicht mehr lange. Es erschöpft mich einfach viel zu sehr.“ Da mit Spotify als Indie-Künstler nicht groß Land zu gewinnen ist, wird dem leidenschaftlichen Künstler aber auch ein großes Stück der Entscheidungsfreiheit abgenommen. „Das Alter ist heute aber ohnehin kein Gradmesser mehr“, lacht er, „schau dir die ganzen alten Rockbands da draußen an. Die Musik ist ein Mittel, um jung zu bleiben.“

Der Sinn von Musik
Mit Veränderungen in der Musikbranche hat Gelb keine Probleme. „Wer keine Veränderungen mag, der ist faul oder hängt zu sehr an der Vergangenheit fest. Viele Dinge wenden sich doch zum Besseren. Heute kann jeder mit wenigen Mausklicks meine Musik hören. Das ist auch eine schöne Möglichkeit. Viele Leute regen sich darüber auf, dass Bob Dylan bei Konzerten seine Songs bis zur Unkenntlichkeit verändert, aber das ist doch der Sinn von Musik. So hat Musik schon immer funktioniert, bis Pop überhandnahm und nur mehr dazu da war, seichte Geschmäcker zu befriedigen.“ Musik von Giant Sand oder Howe Gelb selbst ist kein großer Quell von Inspirationen, aber die Mischung aus Desert Rock, Americana, Folklore, Indie-Sounds und Roots Rock gibt ihm die Möglichkeit, an jedem Abend neue Richtungen einzuschlagen, ohne den Grundpfad zu verlassen.

In seinen gut 45 Jahren Musikkarriere hatte Gelb niemals einen Plan oder eine klare Richtung für sich ausgelegt. „Manche Menschen behaupten, wir hätten viel experimentiert, aber das Wort ist nicht das richtige. Ich würde sagen, wir waren einfach immer auf der Suche und ließen uns nicht beirren. Das ist ein bisschen wie ein Spaziergang, bei dem plötzlich ein Sturm auf dich zukommt. Du kämpfst dich durch, weil du wieder heim willst. So ist es metaphorisch auch mit der Musik.“ Am Bekanntesten ist Gelb bei vielen Menschen kurioserweise für eine andere Band. Die auch in Österreich gern gesehenen Calexico haben ihre Karriere als Musiker bei Giant Sand begonnen, bevor sie sich 1996 abspalteten und ihre eigene, wesentlich massentauglichere Band gründeten. Für Gelb kein Problem, aber dem musikalischen Weg seiner alten Schützlinge kann er nicht ganz folgen.

Die Lust auf Erkundungen
„Für mich war es auch interessant zu sehen, wie sie mit ihrer Band allabendlich auf die Bühne gingen und immer dasselbe spielten. Natürlich kann das auch schön sein und es bringt dir vor allem eine gewisse Beständigkeit bei den Fans, aber für mich würde diese Formel nicht funktionieren. Wenn ich abends nicht auf ein Bier, sondern auf ein Konzert gehe, dann brauche ich einen gewissen Thrill. Ich muss das Gefühl haben, dass ich auf einer Erkundung bin, bei der ich nicht genau weiß, was mich erwartet. Ansonsten macht es keinen Sinn.“ Gelb ist mit sich aber auch kritisch. „Die Calexico-Jungs sind musikalische Vollprofis. Es ist für sie überhaupt kein Problem, einem Stil zu folgen. Ich sehe Musik eher wie einen Film. Der besteht aus vielen Szenen und unterschiedlicher Dramaturgie. So funktioniert auch meine Musik. Und ich bin ein zu schlechter Instrumentalist, als dass ich mich problemlos über Jahre hinweg an einem bestimmten Stil festkrallen könnte.“

Rund um die Causa Calexico gab es noch weitere Querelen, die Gelb gerne einmal in einer Biografie festhalten möchte. „Als wir rund um das Millennium unser Giant Sand-Album ,Chore Of Enchantment‘ veröffentlichen wollten, sagte uns das Label City Slang, wir müssten uns hinter Calexico anstellen, weil sie auch eines fertig haben. Bei aller Liebe: Ohne Giant Sand hätte es Calexico gar nie gegeben und dann muss man sich mit solchen Befindlichkeiten abgeben. Besonders bitter sind solche unnötigen Diskussionen für die Fans von beiden Projekten, von denen es doch einige gibt. So tickt das Musikbusiness manchmal und mich nervt es ungemein. Es ist jetzt nicht so, dass die beiden Bands deshalb ein grobes Problem hätten“, versucht er doch noch zu beschwichtigen, „aber es ist eine schwierige Koexistenz für alle Beteiligten, die so nicht sein müsste.“

Lieblinge der Musiker
Aus dem Tritt kam Gelb nur einmal in seinem Leben. 1997 starb sein Kollege und guter Freund Ptacek an Krebs, noch davor arbeitete er mit Led Zeppelin-Legende Robert Plant an einem Benefiz-Album, um die Behandlungskosten zu finanzieren. Für knapp drei Jahre verschwindet Gelb komplett hinter dem Bühnenvorhang, um sich nach der Schocknachricht wieder zu sammeln. Die Wirkung von Giant Sand auf die alternative Musikszene tut Gelb gerne ab. „Aber es ist nett zu hören, wenn Leute wie Mark Lanegan, der Radiohead-Bassist oder der Gitarrist der Bad Seeds auf dich zukommen und dir sagen, dass sie deine Songs gehört haben. Ich glaube, meine Musik begeistert mehr Musiker als herkömmliche Hörer“, lacht Gelb, „aber das ist absolut okay. Ich sehe das als großes Kompliment.“

Mittlerweile hat Gelb schon für die Staffelübergabe gesorgt. Eine seiner Töchter spielt in der Band Patsy’s Rats, was den Vater stolz macht. „Sie klingen wie eine raue Punk-Band aus 1978, wirklich cooler Sound. Meine jüngste Tochter, Tallulah, ist nicht so wild unterwegs, hat dafür ein atemberaubendes Stimmvolumen, von dem die meisten nur träumen können.“ Im höheren Alter hat Gelb Wege gefunden, gesund zu existieren. „Ich bin Künstler“, lacht er, „es ist nicht so, dass ich asketisch lebe, aber ich habe keine Süchte und kann von der Band und meinen Projekten gut leben. Ich habe eine wundervolle Familie, konnte ein Haus kaufen und könnte, wenn ich möchte, auch aus dem Tourleben aussteigen, aber solange ich fit genug bin, will ich spielen. Das einzige, was ich nie wollte, war Frontmann zu sein. Als wir die Giant Sandworms gründeten, stand sonst aber niemand zur Verfügung und so wurde ich es – und blieb es.“

Live im Volkstheater
Am 27. September kommt Howe Gelb für eine Soloshow in die Rote Bar des Wiener Volkstheaters. Das Konzert ist leider schon restlos ausverkauft.

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