steirischer herbst

„Horror Patriae“: Die dunkle Seite des Vaterlands

Steiermark
19.09.2024 17:30

Als Herzstück des steirischen herbst bezeichnet Intendantin Ekaterina Degot die von ihr und ihrem Team kuratierte Ausstellung  „Horror Patriae“ in der Grazer Neuen Galerie. Sie ist ein Gegenpol zu den längst überholten Nationalmuseen und zeigt Patriotismus aus den unterschiedlichsten Perspektiven.

Die Sammlung des Kooperationspartners Neuen Galerie, aber auch einige andere Abteilungen des Universalmuseums Joanneum waren für Ekaterina Degot und ihr Kuratorenteam eine wahre Fundgrube. Denn wie viele andere „Nationalmuseen“ auch, bergen die Depots Stücke aus längst vergangenen Tagen, die von Rassismus, Ressentiments und einer gehörigen Portion Größenwahn zeugen.

Josef Feids „Anastasius Grün auf dem Loser“ (1835) (Bild: UMJ/N. Lackner)
Josef Feids „Anastasius Grün auf dem Loser“ (1835)

Die überhebliche „Rekonstruktion“ einer slawischen Tracht, die pathetische Darstellung des deutschnationalen Anastasius Grün, der als Hobby aber doch slowenische Poesie übersetzte, eine Heimatschutz-Gedenktafel, politisch durchdrungene Landkarten oder eine „Völkertafel“ aus dem Ausseerland, die typische (und ziemlich fiktive) Merkmale der jeweiligen Völker auflistet, sind in die Ausstellung verwobene Beispiele dafür. Sie alle sollten das nationale Bewusstsein fördern und die Abgrenzung zum Fremden vorantreiben.

Zeitgenössische Kunst als Gegenpol
Dem gegenüber stehen Arbeiten von fast 30 zeitgenössischen Künstlern, viele davon sind Auftragswerke, die sich mit Patriotismus und Nationalismus auseinandersetzen und tradierte Erzählweisen hinterfragen.

Ein Standbild aus „Noreia“ von Jan Peter Hammer.  (Bild: Jan Peter Hammer)
Ein Standbild aus „Noreia“ von Jan Peter Hammer. 

Spannend ist da das Video von Jan Peter Hammer, der die Geschichte des steirischen Dorfes „Noreia“ (ursprünglich St. Margarethen) und des Germanendenkmals von Neumarkt erzählt. Eine falsche historische Zuordnung als wichtigster germanischer Schlachtenort aus den 1930er-Jahren wirkt bis heute nach.

Der „Heimattempel“  als Ausstellungs-Kapitel in den Neuen Galerie. (Bild: UMJ/J. J. Kucek)
Der „Heimattempel“  als Ausstellungs-Kapitel in den Neuen Galerie.

Eine Tourismusparodie, die einen das Gruseln lehrt, ist Alina Kleytmans Video „The Place to See Before You Die“, das Reisen nach Charkiw anpreist. Gruselig ist auch Thomas Hörls perchtenartige „Ahnengalerie“, die einen schon im Stiegenaufgang empfängt. Auch der Zuckerguss, aus dem Pablo Bronsteins unendliches Grazer Historismus-Gebäude besteht, schmeckt hier eher bitter.

Weibliche Widerborstigkeit
Positionen wie VALIE EXPORT oder Renate Bertelmann zeigen den weiblichen Widerstand gegen eine Diktatur des Patriotismus. Und gegen aktuelle nationalistische Strömungen stellen sich Helene Thümmels aus Zeitungen ausgeschnittene Wahlkampfparolen oder Hannes Prieschs Fahnen.

Ekaterina Degot und ihrem Team ist eine Ausstellung gelungen, die Irrtümer und Missverständnisse rund um die Begriffe Heimat und Vaterland aufklärt, über die man ganz einfach nachdenken muss. Zu sehen ist sie noch bis 16. Februar 2025.

Ekaterina Degot mit Kuratoren und Künstlern in der Neuen Galerie. (Bild: UMJ/J. J. Kucek)
Ekaterina Degot mit Kuratoren und Künstlern in der Neuen Galerie.
Eröffnung im Lesliehof
Wurzeln gegen den Sturm der Zeiten

Mit der traditionellen Rede von Intendantin Ekaterina Degot wurde der steirische herbst 2024, unter dem Motto „Horror Patriae“, eröffnet. Darin ging sie auf die heute alles bestimmenden Begriffe Wurzeln und Herkunft ein. „Wir wollen Wurzeln, wir wollen fest im Boden verankert sein, damit der Sturm der Zeiten uns nicht hinwegfegt.“

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Der zentrale Begriff hier sind die Wurzeln, die Herkunft. Nicht der Ort, nicht die Heimat ist ausschlaggebend, sondern die starke, unzerstörbare Verbindung zu ihr, die man selbst dann nicht lösen wird, wenn man im Ausland lebt.

herbst-Intendantin Ekaterina Degot

Das bedeute auch, dass wir uns gegen das Neue stellen. Degot ortet einen gesellschaftlich akzeptierten Konservatismus. „Natürlich ist das Neue nicht völlig aus unserem Horizont verschwunden. Aber es ist vollständig in die Technologie abgewandert, und wird von ein paar superreichen Managern verwaltet.“

Der Konservativismus stehe für das Bewahren, in Sachen Natur sei das zu befürworten. In der Kunst allerdings nicht. „Kunst ist eine Konstruktion, eine Erfindung, eine Fälschung, eine Fata Morgana.“ Auch nationale Identitäten sieht sie als solche, als kollektive Träume. „Nationale Träume halfen vielen, schlossen aber auch viele aus und ließen einige tot zurück. Es gibt darin viele Tragödien, aber auch viele Komödien.“

Die Quelle des Komischen sieht sie im Künstlichen, im Konstrukt. Und der steirische herbst sei heuer „eine einzige gigantische Performance nationaler Identitäten, die einfach deshalb lustig sind, weil sie eine Performance sind und nicht das echte Leben“.

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