Explodierende Pager

Eine Chef-Entscheidung führte Islamisten ins Elend

Ausland
19.09.2024 22:00

Beep, Beep, Boom! Wie ist es möglich, Tausende Pager gleichzeitig explodieren zu lassen? Und eine Terrororganisation innerhalb weniger Sekunden ins absolute Chaos zu stürzen? Israel ist es offenbar gelungen, über Jahre ein Trojanisches Pferd aus Scheinfirmen zu errichten.

Hinter der koordinierten Angriffswelle soll – wie vermutet – Israel stecken. Das berichtet die „New York Times“ unter Berufung auf zwölf ehemalige und aktuelle Geheimdienstmitarbeiter des Landes. 

Der Plan werde seit Jahren geschmiedet, in israelischen Sicherheitskreisen seien die Funkempfänger nur „Knöpfe“ genannt worden. Nun habe man sich dazu entschieden, sie zu drücken. Offenbar auch aus Zeitgründen. Medienberichten zufolge seien einige Hisbollah-Mitglieder dem elaborierten Plan auf Spur gewesen. Die Schiitenmiliz dürfte allem Anschein nach auf ein Trojanisches Pferd hereingefallen sein.

Technologischer Rückschritt als Einfallstor
Israels Hacker sind bei der Terrorgruppe absolut gefürchtet. So sehr, dass die Terroristen in analogen Technologien Zuflucht suchten. Ausgerechnet Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah begann vor einigen Jahren, altertümliche Funkempfänger in den Fokus zu stellen – aus Sicherheitsgründen. Die Flucht in die Vergangenheit sollte sich jedoch als fatal erweisen.

„Ihr fragt mich, wo der Agent ist“, sagte Nasrallah im Februar in einer öffentlich im Fernsehen übertragenen Ansprache zu seinen Anhängern. „Ich sage euch, dass das Telefon in euren Händen, in den Händen eurer Frauen und in den Händen eurer Kinder der Agent ist.“ Er appellierte: „Vergrabt es!“

Der Mossad – Israels Auslandsgeheimdienst – sah darin eine einmalige Chance. Noch bevor Nasrallah beschloss, die Nutzung von Pagern auszuweiten, hatte Israel einen Plan zur Gründung einer Scheinfirma in die Wege geleitet, die sich als internationaler Pager-Hersteller ausgeben sollte. Dabei handelte es sich unter anderem um die viel zitierte BAC Consulting, gegründet im Jahr 2022.

Geräte wurden nicht in Ungarn hergestellt
Jetzt scheint klar: Die Firma hatte weder Verbindungen nach Ungarn noch Österreich, in Wahrheit verbarg sich dahinter der Staat Israel. Um glaubwürdig zu erscheinen, nahm die Scheinfirma auch normale Kunden an, stellte funktionierende Pager her und gründete mindestens zwei weitere Briefkastenfirmen, um Identitäten zu verschleiern.

Denn eigentlich zählte für BAC (Mossad) nur ein Kunde: Gold Apollo aus Taiwan. Jenes Unternehmen, das von der Terrorgruppe Hisbollah einen Großauftrag für Pager erhielt. Diese Funkempfänger wurden separat hergestellt und enthielten Batterien, die mit dem Sprengstoff PETN versetzt waren, erklärten drei Geheimdienstler.

Die Pager wurden im Sommer 2022 in kleinen Stückzahlen in den Libanon geliefert, aber die Produktion wurde schnell hochgefahren, nachdem Nasrallah Mobiltelefone nach und nach verbannt hatte. Der Großteil, der nun explodierten Geräte, traf diesen Sommer ein. 

Ungarn bestreitet Verbindungen
Der völlig verdutzte Chef von der taiwanesischen Firma Gold Apollo, Hsu Ching-Kuang, sah sich ebenfalls als Opfer. Bereits vor drei Jahren habe sich eine Geschäftsfrau für die erste Anbahnung des folgenschweren Deals bei ihm gemeldet, erklärte er dem „Spiegel“. Die Finanztransfers seiner Geschäftspartner hätten „seltsam“ auf ihn gewirkt, unter anderem weil die Überweisungen über eine Bank im Nahen Osten abgewickelt worden seien. Jetzt will er BAC Consulting klagen.

Die ungarische Regierung bestritt jede Verbindung zu BAC. Der ungarische Regierungssprecher Zoltán Kovács erklärte, bei der Firma handle es sich lediglich um eine Zwischenhändlerin. Sie verfüge über keine Fertigungs- oder Logistikstätten in Ungarn. „Die Geräte waren nie in Ungarn“, betonte er. Der „New York Times“ zufolge wurden die Pager, die am Dienstag explodierten, in Gänze von israelischen Geheimdienstoffizieren gefertigt. 

Und die Walkie-Talkies?
Doch Israels Plan ging offenbar viel tiefer. Denn am Mittwoch ging auch die Notfallkommunikation der Islamisten in die Luft. Dabei handelte es sich offenbar um Walkie-Talkies der japanischen Firma Icom. Aber: Das Modell IC-V82, das offenbar hundertfach explodierte, wird nach Angaben des japanischen Herstellers seit zehn Jahren nicht mehr produziert. Ein illegaler Nachbau könne laut Icom nicht ausgeschlossen werden.

Ein Mann in Beirut nahm sicherheitshalber die Batterie aus seinem Funkgerät. (Bild: AFP/ANWAR AMRO)
Ein Mann in Beirut nahm sicherheitshalber die Batterie aus seinem Funkgerät.

Durch die Explosionen im Libanon wurden innerhalb weniger Stunden 37 Menschen in Tod gerissen und knapp 3000 verletzt. Neben Terroristen sind auch Kinder und andere Zivilisten unter den Opfern, die sich in der Nähe eines Gerätes befunden haben. Hisbollah-Chef Nasrallah sprach am Donnerstagnachmittag in einer mit Spannung erwarteten Rede von einer Kriegserklärung: Israel haben „alle roten Linien überschritten“.

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