Vier Jahre nach dem mediokren „Smile“ kehrt die 2010er-Pop-Königin Katy Perry mit ihrem sechsten Album „143“ ins Rampenlicht zurück. Die 39-Jährige klammert sich dabei so krampfhaft am längst abgerückten Thron, dass sie völlig die Zeit vergisst, in der wir uns heute befinden.
Den sprichwörtlichen „Scherm“ hatte Katy Perry schon vor zwei Monaten auf. Anfang Juli setzte sie ihr via Social-Media-Plattformen schon länger lanciertes Comeback mit der ersten Single-Veröffentlichung in die Tat um. Was mit dem Titel „Woman’s World“ in der Theorie wie eine aktuelle Ode an den Feminismus klingt und der 39-Jährigen die Möglichkeit gab, ein Hit-lastiges Zeichen zur gegenwärtigen Zeit zu setzen, wurde in der Praxis zum veritablen Bauchfleck. Im dazugehörigen Video stakst Perry leicht bekleidet durch eine dystopische Welt, gibt sich wehrlos puppenhaft und steckt sich (ja wirklich!) sogar einen Tankschlauch in den Hintern. Das alles sei überspitzt und satirisch, gab die Künstlerin auf erste schockierte Rückmeldungen in Interviews bekannt, so richtig kam die Botschaft aber nicht an. Natürlich muss man das alles auch gar nicht so bierernst nehmen, aber selbst Satire kann 2024 mehr, als einfach nur Klischees zu bedienen.
Die Kratzer sind geblieben
Dann war es aber auch nicht nur die optische Aufmachung, die für großes Raunen sorgte. Nach dem mediokren und am Höhepunkt der Pandemie auch in der Öffentlichkeitswirkung untergegangen „Smile“ (2020) hat sich Perry wieder mit Dr. Luke eingelassen, der ihr mehr als das halbe neue Album auf den Leib schrieb. Der war einst für die größten Hits ihrer üppigen 2010er-Jahre zuständig, landete dann aber in einem jahrelangen Übergriffs-Rechtsstreit mit Kesha, der zwar mittlerweile beigelegt ist, aber schwer in beide Leben eingriff. Kesha musiziert und veröffentlicht zwar mittlerweile wieder, hat aber den eingeschlagenen Karriere-Drive von vor gut zehn Jahren völlig verloren. Dr. Luke selbst kam in der aufgeklärten und nach #MeToo völlig veränderten Gegenwart nicht mehr ohne Kratzer aus Causa raus. Dass Perry für die Zusammenarbeit mit ihm keine Jubelstürme aus der Öffentlichkeit erwarten konnte, damit musste sie rechnen.
Nun liegt das von der Plattenfirma lange streng geheim gehaltene Werk „143“ in seiner vollen Pracht vor und sorgt definitiv nicht für den erhofften Turnaround in Richtung Positivität. Ihre elf neuen Songs gehen in etwas mehr als einer halben Stunde über die Ziellinie – gefühlt lauscht man den oft sehr unausgegorenen Songs aber noch viel länger. Die Beats sind aus der langweiligen Nostalgie-Konserve, die Klangstrukturen wirken veraltet und überholt und Perry neigt mit ihrer offen zur Schau gestellten Top-Motivation zum „Overacting“, was im Endeffekt gut zum Gesamtbild passt, aber auch nicht sonderlich positiv ins Gewicht fällt. Mühsam hangelt man sich von einem Eurotrash-Sound zum nächsten und weiß gar nicht, wo man anfangen soll, sich zu wundern.
Tagada-Hymnen für den Prater
Perry war offenkundig von guter Stimmung, Dance-Tracks und ihrem unbändigen Glauben an die Liebe inspiriert. Sie lässt keine Chance aus, ihre Liebe zu Orlando Bloom in der Öffentlichkeit breitzutreten und versucht diese unschuldige Form eines Disney-Daseins in ihre Musik zu projizieren. Das führt mitunter zu mehr als seltsamen Austrieben. „Crush“ etwa taugt maximal zur sommerlichen Tagada-Hymne im Wiener Prater, in den Refrains traut sich Perry tatsächlich über eine Art Jodeln drüber. „All The Love“ wird von einem 2000er-David-Guetta-Beat angetrieben und suhlt sich förmlich in seiner Vergänglichkeit, während ein Song wie „Truth“ bei einer Künstlerin wie Ava Max noch nicht einmal auf den B-Seiten landen würde. Aufgrund ihrer Neigung zu Dance-Tracks könnte sich Perry am ehesten mit Dua Lipa vergleichen, doch die hat mit „Future Nostalgia“ (2020) und „Radical Optimism“ (2024) Alben herausgestampft, die kompromisslos Perrys kompositorische Ziellosigkeit entlarven.
In einem weiblichen Pop-Zeitalter, in dem Taylor Swift indirekt Wahlen mitentscheidet, Charli XCX mit „Brat“ ein globales Movement begründet, Chappell Roan die Mainstream-Popwelt revolutioniert und Sabrina Carpenter als eine Art neue Unschulds-Miley-Cyrus die Charts erobert, braucht es weitaus mehr als ein paar aufgewärmte Disco-Beats der 2000er-Jahre und viel nackte Haut, die nicht als feministisches Statement, sondern zur Effektverstärkung dient, weil es mit der bloßen Musik bei weitem nicht mehr ausreicht. Die besten Momente hat Perry wenig überraschend dann, wenn sie sich den Auftritt mit der jungen Generation teilt. „Gimme Gimme“ mit 21 Savage, „Gorgeous“ mit Kim Petras und „Artificial“ mit JID gehören mitunter zum Besten, was aus der stockenden Kreativitätsquelle heraus stolpert. Schmalhans ist hier Küchenmeister.
Über die Naivität gestolpert
Hinter der ominösen Zahlenkombination des Albumtitels steckt unschuldig gemeinte Esoterik. „143“ ist schlichtweg Perrys Engelsnummer, die in diversen privaten Situationen der jüngeren Vergangenheit aufgetaucht ist und sich bei der Künstlerin eingeprägt hat. Die ältere Generation unter den Lesern erinnert sich vielleicht auch noch daran, dass 143 einst auf Pagern für „Ich liebe dich“ stand – dass man diese veralteten Instrumente der Technik dieser Tage eher mit der Hisbollah konnotiert, dafür kann die Amerikanerin natürlich nichts. Im Endeffekt scheitert Katy Perry wohl an ihrer eigenen Naivität oder auch an der Selbstüberschätzung, einen obsoleten Sound mit obsoleten Botschaften durch die bloße Größe ihrer Persönlichkeit ins Korsett der modernen Zeit pressen zu wollen. Eigentlich ist „143“ ein allumfassender Bauchfleck mit Anlauf – wie so oft übersehen das die Urheber aber in ihrem optimistischen Tunnelblick.
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