Acht Jahre nach ihrem letzten Österreich-Stelldichein und erstmals überhaupt in Wien zeigte sich Freitagabend die norwegische Pop-Elfe Aurora in einem restlos ausverkauften Gasometer. Mit einer schräg-naturbelassenen und stimmlich intensiven Show bewies sie eindrucksvoll, weshalb sie eine Sonderstellung in der Pop-Welt einnimmt.
Nur treue Fans und Indie-Schnüffler erinnern sich an Aurora in Österreich zurück. Das erste Mal war sie 2015 noch als Teenager beim stets liebevoll kuratierten Acoustic Lakeside in Kärnten zu Gast, ein Jahr später beehrte sie im mittlerweile fast schon tot gespielten Wiesen im Burgenland das viel zu kurzlebige Out Of The Woods Festival. Da stand die schrullige Norwegerin freilich noch ganz am Anfang ihrer Karriere, aber das immense Talent und die Andersartigkeit waren schon in den frühen Tagen erkennbar. Acht Jahre später kehrt sie für ihr allererstes Wien-Konzert nach Österreich zurück und ist längst ein internationales Schwergewicht. Dass die Gasometer-Halle schon seit Monaten restlos ausverkauft ist, führt uns wieder einmal in Erinnerung, dass Wien zwischen Stadthallen- und Gasometer-Größe dringend eine adäquate Event-Behausung im 8.000- bis 10.000-Zuseher-Segment benötigt.
Es geht um die großen Dinge
Bei der Norwegerin gibt es aber kein Gedränge und keine Aggressionen – das Publikum ist äußerst respektvoll und aufmerksam, was angesichts der vielen ruhigen Töne auch nötig ist. Aurora spielt sehr schrägen, manche würden sagen „klassisch nordischen“ Pop, der gerne auf heidnische Folklore und Naturbelassenheit zurückgreift, womit sich die Künstlerin eindeutig vom Gros des Mitbewerbs unterscheidet. Das tut sie aber auch durch ihre Persönlichkeit. Aurora liebt die Natur und Freiheiten, sie hasst dafür Ungerechtigkeiten und den aktuellen, menschengemachten Zustand der Welt. Mit ihren gerade einmal 28 Jahren hat sie sich so gut und genau mit der gegenwärtigen Lage beschäftigt, dass es ihr schwerfällt, so etwas Banales wie einen Love-Song zu schreiben, wie sie inmitten des Sets bekundet.
Aurora betritt sommerlich-sportlich in Weiß die Bühne. Ihr aschblonder Cleopatra-Pagenkopf ist genauso auffällig, wie ihr quirliges Wesen, das man der selbsternannt introvertierten Person so niemals zutrauen würde. Ihre Kernband besteht aus vier Mitmusikern, unter denen strenge Geschlechterparität herrscht und die immer auch ihre geübten Chor-Stimmen in das Gesamtprogramm einstreuen. Der große Star ist die zierliche Blonde mit der ausdrucksvollen Stimme. Die Falsett-Höhen erreicht sie nach nicht vollständig überstandener Verkühlung nicht ganz so mühelos wie gewohnt, doch das ständige Changieren zwischen hohen und tiefen Tönen beherrscht sie auch außerhalb der Topform wunderbar. Ihr elfenhaftes Wesen schlägt sich auch bei Teilen des Publikums nieder. Ausufernde Kleider oder aufgesteckte Feen-Ohren sind hier keine Seltenheit. Wien-Simmering ist für einen Abend das nordische Auenland.
In die Melancholie fallen lassen
Neben der gut eingespielten und stark aufspielenden Band überzeugen die mal bitterkalten, dann wieder wohlig-warmen Lichteffekte und eine Videowall, die mit allerlei Kuriositäten aufzuwarten weiß. Ein zuckendes Auge hinter einem Schlüsselloch, herumfliegende Vögel, auf- und untergehende Sonnen oder gar Aurora selbst. Einmal mit überdimensionaler Halbmond-Maske als eine Art Augenklappe und am Ende sogar als femininer Jesus mit einem Sonnenkranz um den Kopf gewickelt. Mit herkömmlicher Religiosität hat die Sängerin nur wenig am Hut. Songs wie „Heathens“ oder „The Forbidden Fruits Of Eden“ lassen mehr als nur andeuten, dass sie ihr Heil im Greifbaren und Naturellen sucht. Sie wechselt zwischen tief ins Herz gehenden Balladen, wunderschönen Songstrukturwechseln und lässt manchmal auch die Electropop-Sau raus, um nicht komplett in die wirr gestrickten Welten der Melancholie zu verfallen.
In bester Björk- oder auch Kate Bush-Tradition ist Aurora stets auf der Suche nach spirituellen Höherem und lässt das direkt in die Musik einfließen. Ein wichtiger Eckpfeiler ihres breitenwirksamen Erfolgs sind ihr immanenter Drang nach Freiheit und die Liebe zum Experiment. So introvertiert die Künstlerin laut eigenem Bekunden sein mag, auf der Bühne entfaltet sich die Raupe zu einem alles verschlingenden Schmetterling, dessen Strahlkraft apart, aber auch einnehmend wirkt. Während Aurora gerne über die Bühne hüpft und eine Dankesbekundung nach der anderen ins Oval pfeffert, verwandeln sich ihre Mitmusiker mal in Akustikinstrumentenbediener, mal in eine Art Chor-Gruppe. Zuweilen schräge Songstrukturen, bewusst aufgebrochene Refrains und die stets mit eineinhalb Füßen im Indie-Segment verlagerte Grundausrichtung sprechen eigentlich gegen eine jubelnde Masse, aber die Norwegerin verknüpft Dissonantes mit Gewohntem so kongruent, dass sich alle Anwesenden in den mal persönlichen, mal globalen Songinhalten wiederfinden.
Mehr als nur ein Konzert
Momente des Staunens gibt es zuhauf. Wenn sie etwa das fragile „The River“ a capella vorträgt, bei „Exist For Love“ in ihre innere Traumwelt lädt oder sich „Starvation“ von einem nachdenklichen Pop-Track zu einem ausufernden Electro-Partysong verwandelt. Die ausufernden Dankesreden und Verhaltenstipps für eine bessere Gesellschaft indes sind gut gemeint, nehmen dem Konzert aber viel von seinem Flow. Eine Aurora-Show ist eben nicht nur ein herkömmliches Konzert, sondern immer auch eine Mahnung, sich aktiver mit einem selbst und seiner Umgebung auseinanderzusetzen. Nicht zuletzt das lässt sie so deutlich vom Wulst der Pop-Königinnen herausstechen. Aurora vermittelt stets das Gefühl, hier ginge es um mehr, als nur einen gemütlichen Abend mit schöner Musik. Das muss man nicht, kann man aber durchaus wertschätzen.
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