Staatsoperndirektor Bogdan Roščić spricht im „Krone“-Interview zum Saisonstart über den neuen, von Kirill Serebrennikow inszenierten „Don Carlo“, Hühnersuppe, sein neues „Nest“ – und darüber, dass Meinungsjournalismus als Bühnenereignis eine heikle Sache ist.
„Krone“: Wie war Ihr Sommer?
Bogdan Roščić: Ganz wunderbar. Ich habe ihn ohne Reisen verbracht, so ruhig und abgeschieden wie möglich, in einer Holzhütte im Salzkammergut, beim Traunsee.
Ohne Opern zu hören?
Genau eine habe ich geschafft, und selbst die eine hat mir nachher leidgetan. Man muss sich, auch als einer der Clowns in diesem Zirkus, nicht immer noch eine und noch eine Vorstellung zuführen wie der Kranke die Hühnersuppe. Man kann auch einmal stillsitzen. Dieses ständige, beflissene, routinierte Zusichnehmen von Kultur-Kalorien habe ich immer schon für eine spießige Unsitte gehalten.
Die erste Premiere gilt Verdis „Don Carlo“, Kirill Serebrennikov inszeniert nach „Parsifal“ ein weiteres Mal an der Staatsoper. Hat das einen bestimmten Grund?
Vor allem hat es den Grund, dass ich mit ihm wieder zusammenarbeiten wollte. Man soll nicht so tun, als ob es zwischen einem Werk und einem Regisseur immer eine zwingende Verbindung gibt. Natürlich gibt es Stücke, bei denen man den begründeten Verdacht hat, dass jemand einen besonderen Zugang findet, etwas dazu zu sagen hat. Aber es gibt auch Leute, die sind so gut und bringen so viel mit, dass man mit ihnen letztlich fast alles machen kann. Die besten überfliegen immer Grenzen. Meinungs- und thesenstarke Regie gibt’s ja wie Sand am Meer, aber die macht gerne den Fehler, dass das Stück nur noch die Meinungen und Thesen bebildert. Da kann unmöglich Kunst dabei herauskommen, das ist, wenn Sie so wollen, eine Themenverfehlung. Und darüber geht jemand wie Serebrennikov eben hinaus. Was immer die Gedanken zum Stück sein mögen – das, was auf der Bühne passiert, folgt eigenen, anderen Gesetzen. Ein sinnliches Spektakel, bei unserem „Don Carlo“ mit der besonderen Komponente dieser unfassbaren Kostüme, die dafür hergestellt wurden.
Worauf freuen Sie sich in der kommenden Saison in Ihrem eigenen Haus am meisten?
Auf unser „NEST“, die neue zweite Spielstätte der Staatsoper!
Auf welche Produktion eines anderen Hauses freuen Sie sich besonders?
Ich bin sehr gespannt auf das neu eröffnete Theater an der Wien und bin auch gespannt, was und wie viel Stefan Bachmann an der Burg anders machen wird.
Was ist Ihr größter Traum?
Wenn man den Spielbetrieb etwas entlasten könnte zugunsten von mehr Proben, damit wir künstlerisch noch mehr leisten können… Das ist ein ziemlich großer, vielleicht unerfüllbarer Traum, aber wer braucht schon kleine Träume.
Am 7. Dezember eröffnet die Staatsoper mit dem „NEST“, einem Musiktheater für Kinder, Jugendliche, ihre zweite Spielstätte.
Das ist wahrscheinlich das Wichtigste, das wir heuer machen. Es wird ja keine Expositur, die eine Promoveranstaltung ist für das große Haus. Das hätte beschränkten Wert. Sondern das wird ein Theater, das sich künstlerisch selbst rechtfertigt und trägt. Marcel Prawy hat einst angeblich gesagt: Die Kinder sollen in die „Walküre“ gehen, das ist sowieso die beste Kinderoper. Natürlich ist das, was wir in der Staatsoper bieten, sehr wohl auch etwas für Kinder und Jugendliche. Aber ich glaube, dass man das Erlebnis intensivieren kann und dass mit dem Nest schon auch so etwas wie eine hinführende Kraft entsteht.
In einer Woche wird gewählt. Verschiedene Theater positionieren sich in dieser Zeit politisch. Sie haben nach dem Hamas-Überfall auf Israel „Bring them home“ in großen Lettern an der Oper angebracht – Wie sehr soll, kann, darf sich die Staatsoper politisch äußern?
Ich bewundere das Selbstbewusstsein von Kulturmenschen, die glauben, Ihre Empfehlungen oder Warnungen interessieren irgendwen, der nicht eh schon ihrer Meinung ist. So etwas kann für einen selbst nötig und befreiend sein, aber es hat null Überzeugungskraft, es ist eben keine politische Handlung. Und auf den Bühnen selbst gibt es oft das Missverständnis, das Politische an der Kunst wäre wie eine Bratensauce, die die Ausführenden über die ansonsten unpolitischen Kunstwerke schütten müssen. Richard Wagner, steckbrieflich gesuchter Revolutionär der 1840er und mit Todesstrafe bedroht, war zum Beispiel nie dieser Ansicht. Der fand seine Werke auch so hochpolitisch, hat aber den Unterschied von Kunst und Politik trotzdem noch gewusst. Meinungsjournalismus als Bühnenereignis ist politisch wie künstlerisch eine heikle Sache. Zu dem „Bring them home“ stehe ich, weil ich darauf bestehe: Man kann zwar unterschiedlicher Meinung sein, was seit dem 7. Oktober 2023 in Israel und im Gazastreifen passiert. Aber unmöglich kann man unter Menschen guten Willens unterschiedlicher Meinung darüber sein, was am 7. Oktober selbst passiert ist. Welche Wirkung die Aktion gehabt hat, weiß ich nicht. Aber wenn es auch nur eine Person getröstet hat, war’s das wert.
Ein Blick zurück auf die vergangene Saison: Zufrieden?
Kommt drauf an, womit. Die Auslastung war ja über 99,9%, ein neuer Rekord, und den gab es auch bei den Kartenerlösen. Die Zufriedenheit mit dem, was auf der Bühne stattfindet, das ist dagegen eine viel kompliziertere Angelegenheit.
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