Kanzler Karl Nehammer hoffte bis zuletzt. Umsonst. Die FPÖ ist erstmals in der Zweiten Republik die Nummer eins. Herbert Kickl konnte den Vorsprung in allen Umfragen der vergangenen Monate und Jahre ins Ziel retten und wird nun den Kanzleranspruch stellen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen wird nicht umhinkommen, ihm einen Regierungsauftrag zu geben.
Von einem prognostizierten Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen ÖVP und FPÖ konnte an diesem Sonntag keine Rede mehr sein. Die Freiheitlichen haben sich mit ihrer scharfen Kritik an der türkis-grünen Regierung und ihrer massiven Ablehnung der alten Coronapolitik, jedweder Zuwanderung, Ökologisierung und den Russland-Sanktionen voll durchgesetzt. Die Wendestimmung im Land war und ist zu stark für eine klare Wähler-Bestätigung von Nehammer und seiner ÖVP, es ist der größte ÖVP-Absturz der Geschichte.
Wird wer mit Kickl wollen?
Die alles entscheidende Frage lautet nun: Wird Herbert Kickl einen Regierungspartner finden oder nicht? Nehammer hatte ausgeschlossen, mit ihm in eine Regierung zu gehen, geschweige denn ihn zum Kanzler zu machen. Sollte der ÖVP-Chef dieses Versprechen halten und sich an der Parteispitze im Sattel halten, da er wenigstens den zweiten Platz retten konnte, müsste er nun eine Koalition gegen den Wahlsieger schmieden.
Die benötigt aber die aktive Mithilfe des zweiten Wahlverlierers: Andreas Babler ist mit seinem Linksschwenk gescheitert, er verantwortet wie Nehammer für die ÖVP das schlechteste Ergebnis der SPÖ in der Zweiten Republik. Weder konnte er die heillos zerstrittene Sozialdemokratie einen noch wie Kickl als Oppositionschef von der Wendestimmung profitieren. Auch seinen Plan, weit links und Mitte-links Stimmen von Grünen, NEOS, KPÖ und anderen aufzusaugen, misslang offensichtlich.
Ob er sich in der Partei an der Spitze halten kann und/oder trotz Minus in eine Koalitionsregierung mit der ÖVP gehen wird, entscheiden schon die nächsten Stunden und Tage. Die Spitze der Wiener Genossen kommt um 22 Uhr zu einem außerordentlichen Parteipräsidium zusammen, um die schwierige Lage zu diskutieren. Die mächtige Gewerkschaft hat bereits signalisiert, mit der ÖVP und den NEOS eine Regierungsbildung versuchen zu wollen.
Die wahrscheinlichste Variante
Bleibt ein Mini-Wahlsieger: Die NEOS könnte mit ihrem Plus als Nummer drei in einer Regierung zumindest für ein frisches Lüfterl sorgen. Diese Zuckerlkoalition aus Türkis, Rot und Pink wäre eine Premiere und die einzige Alternative zu einer FPÖ-geführten Regierung mit einer personell völlig ausgewechselten, geschlagenen ÖVP. Stand Sonntagabend gilt die Zuckerlkoalition noch die wahrscheinlichste Variante.
(Es sei denn es passiert noch ein kleines Wunder und eine ÖVP-SPÖ-Koalition mit teils neuen Köpfen geht sich mit einer sehr gemeinsamen Mandatsmehrheit auch noch aus.)
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