Als größte Popband der Gegenwart kann man sich schon einmal einen Ausflug in den galaktischen Orbit leisten. Coldplay entfesseln sich auf ihrem zehnten Studiowerk „Moon Music“ endgültig jeder gewöhnlichen Zugänglichkeit und wollen die Welt mit Naivität und Vogelgeräuschen retten. Das kann man zynisch-übel oder hoffnungsvoll-schön finden. In jedem Fall ist es anders.
In der globalen Musikwelt gibt es wenig Einfacheres, als Coldplay zu hassen. Wie keine zweite Band gehen Chris Martin und Co. elitären Snobisten mit ihren weichgespülten Pop-Klängen und einer schier unendlichen Vielfalt an kunterbunten Live-Sujets auf die Nerven. Auf der anderen Seite brechen sie einen Rekord nach dem anderen. Ihre ausladende „Music Of The Spheres“-Tour, die diesen Sommer auch viermal im Wiener Ernst-Happel-Stadion Halt gemacht hat, brachte den Briten mehr als eine Milliarde Euro ein, für 2025 hat man nicht weniger als zehn (!) Konzerte im Londoner Wembley-Stadion angekündigt, die natürlich in null Komma Josef ausverkauft waren. Damit haben sie nicht nur die befreundete Pop-Königin Taylor Swift vom Thron gestoßen, es sind umgerechnet auch rund 800.000 Tickets, die scheinbar mühelos an den Mann und die Frau gebracht werden.
Emoji als Ausdrucksmittel
Die Ankündigung des diesen Freitag erscheinenden Albums „Moon Music“ spaltete den Pop-Kosmos schon wochenlang im Vorfeld in vorfreudig jubelnde Fans und verzweifelt gen Veröffentlichung zitternde Untergangspropheten. Ob die Wahrheit irgendwo in der Mitte liegt, ist streng subjektiv. Der offen zur Schau gestellte Regenbogen-Kosmos auf Albumcover und Promobilder zieht sich dieses Mal sogar in der Tracklist weiter. In Zeiten von Emojis ist es durchaus legitim, eine Nummer schlicht mit „🌈„ zu betiteln, denn die Botschaft ist wichtiger als der Inhalt. Was in Zeiten der sinkenden Aufmerksamkeitsspannen für mediale Berichterstattung gilt, gilt noch viel mehr für Coldplay. Wer sich nicht an butterweichen und vor Klischees nur so triefenden Texten stört, zieht bei „Moon Music“ in sein liebevolles Walhalla. Wobei der „Rainbow-Song“, der sich an ein Gedicht der Aktivistin Maya Angelou anlehnt, noch die stärksten Textmomente aufweist.
Coldplay sind über die letzten Jahre zu einem fleischgewordenen Synonym für Farbenfreude, Frieden, Gleichheit, Liebe und Gemeinschaft geworden. Nicht die schlechtesten Attribute in einer Welt, in der uns aus allen Richtungen die Raketen um die Ohren fliegen, allwöchentlich neue Hitzerekorde für die Ewigkeit aufgestellt werden und für selbstverständlich erachtete Progressionen in Menschenrechtsfragen stetig zurückgeworfen oder ausgehöhlt werden. Genau darin liegen Besonderheit und Ambivalenz von Coldplay und ihrer Musik. Als größte Band der Welt, und dazu noch mit einem austrabend sozialen Gewissen gesegnet, setzen sie sich seit jeher für das Universelle und Umarmende ein, kommen aber – abseits der Klimabemühungen im Tour-Transport- und Liveshow-Wesen - nicht über ein naives Floskelwerfen hinaus. So sehr U2-Frontmann Bono den gemeinen Musikfan mit nicht enden wollener Polit-Polemik auch nerven mag – seine quälende Präsenz und Beharrlichkeit haben im gesamtgesellschaftlichen Kontext doch noch ein anderes Gewicht als Chris Martins blitzeblankes Blendamed-Grinsen.
Ansammlung von Kalendersprüchen
Rein musikalisch findet „Moon Music“ eine kongruente Fortsetzung zu „Music In The Spheres“, nur dass die Songs um Ecken schwächer aus dem Äther dröhnen. Die an kompositorischer Beliebigkeit kaum zu übertreffende Single „feelslikeimfallinginlove“ rutscht auch beim x-ten Durchlauf bedeutungslos durch die Gehörgänge, das mit starken Gästen wie Little Simz veredelte Hoffnungs-Stück „We Pray“ stolpert an der generischen Produktion des leidsam omnipräsenten Max Martin und „iAMM“ ist so sehr für die großen Stadien konzipiert, dass es am Plattenteller oder in der Spotify-Playlist eigentlich gar keine Chance haben kann. Dazu die Texte, hier als Beispiele wild zusammengewürfelt: „Whether it rains or pours, I’m all yours“. „I’ll be back on my feet again, ‘cos I am a mountain“. „All the good good feelings, don’t ever let them go“. „Never give up, love who you love“. Damit lässt sich ein ganzer Jahresvorrat an Kalendersprüchen für die Generation Facebook füllen.
Man kann die offen zur Schau gestellte Naivität im Klang- und Textbereich aber auch weniger zynisch sehen und sich eine Freude machen. Dass Chris Martin in seinem unerschütterlichen Glauben an das Gute vielleicht wirklich ein gesandter Heilsbringer für die minimale Finaloption „globaler Frieden“ ist. Dass seine Plattitüden bewusst gewählt sind, um sich nicht einen Spaß daraus zu machen, die (pseudo-)intellektuelle Kritikerkaste zu ärgert, sondern jeden Menschen mit einer sinnstiftenden und gemeinschaftlichen Botschaft zu erreichen. Durch die simple Adressierung auch jene, die viel zu gerne und viel zu oft in der künstlerischen Schlaumeierei vergessen oder insgeheim belächelt werden. Coldplay stehen in allen Bereichen offen zur großen Geste und sind damit ehrlicher, authentischer und kollektiver als viele jener, die sich gedankenlos das Maul darüber zerreißen und sich insgeheim doch nur darüber ärgern, dass ihr gesamtes Songwriting-Gespür niemals in diese Erfolgssphären vordringen wird.
Zweifel durch Misstrauen
Coldplays gegangener Manager Dave Holmes hat mit der Plattenfirma Parlophone angeblich ein 35 Millionen Pfund schweres Budget für die Umsetzung dieses Werkes ausgehandelt. Ob die astronomische Summe nun wirklich gebraucht wurde oder nicht – auch damit erreichen die längst der irdischen Schwerkraft entschwebten Briten neue Galaxien. „Moon Music“ ist genau die großspurige, allumfassende und über jede Pop-Logik hinausreichende Bombast-Platte, auf die man gehofft oder die man befürchtet hatte. Mit dem Dauergesang „In the end, it’s just love“ und gemütlichen Vogelgesang endet das – laut Martin – drittletzte Album der Coldplay-Historie. Rein musikalisch haben die fidelen Jugendfreunde nicht mehr viel zu erzählen, doch die gesamte Marke geht längst über bloßes Musik-Handwerk hinaus. In einer komplexen, brutalen und undurchsichtigen Welt wollen Coldplay uns bloß Gutes. Es ist wohl unser angezüchtetes Misstrauen, das uns ständig daran zweifeln lässt.
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