Electric Callboy hießen noch Eskimo Callboy, als Sebastian „Sushi“ Biesler als Sänger an Bord war. Kurz vor der Corona-Pandemie kam die Trennung und Biesler konzentriert sich seither auf sein Projekt Ghøstkid. Während die Ex-Kollegen größte Hallen bespielen, muss es Biesler kleiner geben – dafür hat er wieder die Freude an der Musik zurückgewonnen. Im „Krone“-Talk reflektiert er noch einmal die Umstände. Am 15. Oktober spielen Ghøstkid im Wiener Viper Room.
„Krone“: Sushi, beim diesjährigen Nova Rock seid ihr kurzfristig eingesprungen. Macht es einen großen Unterschied, wenn man so spontan in die Bresche springt?
Sebastian „Sushi“ Biesler: Wir mussten schnell einen Busfahrer finden, der auch leistbar ist. Das war am Anfang die allergrößte Herausforderung. (lacht) Natürlich mussten wir alle Möglichkeiten und Verfügbarkeiten ausloten, aber am Ende hat es Gott sei Dank funktioniert.
Dein Projekt Ghøstkid ist mittlerweile bereits etabliert. Wäre euch nicht die Pandemie in die Quere gekommen, wärt ihr dann deiner Ansicht nach noch weiter vorangeschritten?
Nach meinem Ausstieg bei Electric Callboy habe ich mich neu orientiert, aber dann hat sich schnell Corona breitgemacht. Als ich zur Untätigkeit gezwungen war, habe ich mir einmal überlegt, warum ich den ganzen Käse überhaupt mache. Wenn du ein Album herausbringst, willst und musst du damit auch auf Tour gehen und bei uns war da mal zwei Jahre gar nichts – bis auf diese „tollen“ Social-Distancing-Shows, die wir auch mitgenommen haben. Vom Gefühl her sind wir gerade einmal zwei Jahre am Start.
Kamen zur Untätigkeit auch noch Ängste dazu? Wo das Projekt steht? Wie man vom Start mit diesen Nachteilen weiterkommt und wie weit man überhaupt damit kommen kann?
Die Band ist mein Hauptjob und dadurch hat sich automatisch die Sicherheitsfrage gestellt. Der Grund für meinen Ausstieg bei der alten Band war, dass ich wieder zum Ursprung zurückwollte. Die Musik hatte sich nicht mehr so angefühlt, wie früher und das habe ich vermisst. Dass die Pandemie kommt und dann auch so lange dauert, dass wussten wir alle nicht. Wir haben uns so gut wie möglich den Arsch aufgerissen, aber irgendwo stößt du natürlich an deine Grenzen.
Deine Entscheidung, zurück zum Ursprung zu gehen, war gleichbedeutend mit der Entscheidung, kommerziellen Erfolg hinter dir zu lassen. War die Entscheidung rückblickend richtig?
Ich spreche jetzt mal ganz offen und gebe zu, dass es natürlich auch Stress innerhalb der Band gab. Irgendwann leidet dann das Künstlerische darunter und die Dinge funktionieren nicht mehr so wie früher. Ich habe immer gesagt, dass ich ein musikalisches Zuhause brauche, wo ich selbst entscheiden kann, in welche Richtung ich gehe. Dann kam mit Electric Callboy plötzlich der Erfolg und es entstand ein Zwiespalt. Es ist ein Job, der gut bezahlt war, aber ich habe irgendwann nichts mehr empfunden. Es war ein stupides auf-die-Bühne-gehen, während Ghøstkid zuerst ein Nebenprojekt war, das mich aber total erfüllte. Das Projekt war anfangs nur dazu da, um die Birne frei zu kriegen und dann merkte ich, dass im anderen Projekt doch viel fehlte, was Musik für mich ausgemacht hat. Dann musste ich mich entscheiden, denn beides wäre schwierig gewesen. Oder ich hätte eine Sache vernachlässigt. Jetzt habe ich alles auf eine Karte gesetzt und versuche es noch einmal von vorne.
Michael Poulsen von Volbeat hat mit Asinhell eine spaßige Death-Metal-Band gegründet, mit der er seiner Leidenschaft frönen kann, aber mit Volbeat macht er das große Geld. Hättest du diese Scheine weitergefahren, dann könntest du mit Ghøstkid auch nur alle Sommer touren und auf Festivals spielen.
Die Situation in der alten Band war für mich auch psychisch ungesund, da spielten dann schon mehrere Faktoren mit. Es ging nicht mehr und die Band hatte gar nichts mehr damit mit dem zu tun, was sie vorher für mich war. Es war eine schwere Entscheidung, weil ich sehr viele Sicherheiten, vor allem in finanzieller Hinsicht, aufgegeben habe. Aber ich stellte mir wichtige Fragen. Was bedeutet mir Erfolg? Was passiert, wenn er mir wegbricht? Wie kann ich mich glücklich machen? Ich habe schnell gespürt, dass meine Leidenschaft darin steckt, die Songs zu schreiben und zu spielen, die ich schreiben und spielen will. Ich war immer sehr ehrlich damit, warum ich das Handtuch bei der alten Band warf.
Man hört deinen Songs an, dass die Emotionen, Gefühle, Erlebnisse und Unsicherheiten Urheber sind. Ghøstkid ist ein viel persönlicheres und intimeres Projekt. Wie fühlt es sich an, damit nun nach außen zu gehen?
Für mich war Ghøstkid das Ventil, wo ich all den Kram ausdrücken wollte, den ich sonst nirgends verpacken und verarbeiten konnte. Dann wurde das Projekt immer wichtiger und wertvoller und ich habe gemerkt, dass es auch nach außen geht. Das Wertvolle an Ghøstkid ist, dass es eigentlich ein Soloprojekt ist. Im Prinzip schreibe ich alles alleine und baue das ein, was mich beschäftigt. Das ist schon sehr wichtig.
Der Nachteil daran ist, dass du mit diesen Themen auch in die Öffentlichkeit gehen musst und sich aus den persönlichen Songs in der Live-Umsetzung vielleicht wieder ambivalente Gefühle entwickeln.
Das ist kein Problem. Wenn ich einen Song geschrieben habe, ist das Thema dazu abgehakt und im Regal. Wenn ich mir diesen Song dann wieder anhöre, katapultiert er mich nicht in die Vergangenheit zurück. Das ist erledigt und passt so.
Wie packst du diese persönlichen Songs dann in einen Albumkontext wie vor einigen Monaten in das Ghøstkid-Zweitwerk „Hollywood Suicide“?
Das passiert alles unterbewusst. Im Laufe des Schreibens hat sich herauskristallisiert, dass sich die Grundthematik auch um eine Abwärtsspirale eine Hollywood Diva drehen kann. Natürlich gehen da unheimlich viele Dinge aus meinem Leben in den Texten mit einher. Egal wie groß und bekannt du als Künstler bist, man findet immer Parallelen zu sich selbst. Es hat sich im Laufe der Arbeit angeboten, ein Konzeptalbum daraus zu formen, weil die Themen wie von selbst ineinandergriffen.
Kann Musik auch toxisch sein? Fühlt sie sich manchmal toxisch an, wenn du Dinge damit verarbeitest?
Im Musikbusiness musst du schon ein Stück weit gefestigt sein, damit du nicht manchen Verlockungen unterliegst. Je weiter du in diesem Geschäft vordringst, umso mehr Möglichkeiten bieten sich dir an. Wenn du auf einer Bühne stehst, Leute um dich herum hast und dir Menschen zujubeln, macht das natürlich was mit deinem Ego. Ich finde es etwa unangenehm, wenn Leute mit mir ein Foto haben wollen. Mir ist es unangenehm, auf ein Podest gestellt zu werden. Ich weiß das zu schätzen, nicht falsch verstehen, aber ich selbst sehe mich ganz anders als das andere Menschen tun. Erkannt zu werden oder im Rampenlicht zu stehen, verändert dich als Menschen. Die Verbindung zum normalen Leben wird belastet, vor allem auch dann, wenn man wochenlang auf Tour ist und einem alle Wünsche erfüllt werden. Ich brauche dringend einen Ausgleich und bin dann zu Hause ganz zu Hause. Es ist unglaublich geil, als Musiker unterwegs zu sein, aber man muss auch irrsinnig aufpassen, was das mit einem macht.
Suchst du dir im Privatleben einen bewussten Gegenpol, der nichts mit deiner Band und der Kunstfigur zu tun hat?
Das habe ich ganz lange nicht gemacht, bzw. keine Möglichkeit dazu gesehen. Heute ist mir bewusst, dass das wichtig ist. Mein Leben ist heute ziemlich verstreut. Ich komme aus dem Ruhrpott und habe dann, wie die Band, in Berlin gewohnt, obwohl meine Freundin noch im Pott war. Das hat sich natürlich zerschlagen. Meine neue Freundin wohnt in Leipzig und Ghøstkid ist jetzt im Pott, aber trotzdem klappt es. Die meisten Freunde habe ich in Berlin. Man kann im Auto sitzen und alles verbinden, das ist tendenziell nicht so schlimm, aber ich habe mir bewusst eine Trennlinie zwischen Arbeit und Privatleben gezogen. Ich kann nicht mehr 80 Prozent meines Lebens nur ballern und Vollgas geben und 20 Prozent für Quality Time zurücklassen. So ruinierst du dich und deine Akkus. Immens wichtig ist dabei auch ein gutes Umfeld, dass dich auffängt. Ich weiß heute, dass ich auch ein geiles Privatleben brauche, um einen guten Job machen zu können. Ich ließ mich lange zu viel zu vielen Konzerten und Shows überreden. Eine noch hier, eine da. Aber irgendwann geht es einfach nicht mehr.
Es ist immer schwierig zu wissen, dass es eigentlich zu viel ist, aber man trotzdem so viel Spaß daran hat.
Manche Sachen muss man auch machen, das ist ganz klar. Vor den beiden letzten Touren mit den Callboys hatten wir wirklich eine geile Zeit. Dann flog mir aber privat alles um die Ohren und auch beruflich ging alles schief. Dann warst du auch noch zweieinhalb Monate lang auf Tour und konntest nicht einmal durchschnaufen. Wir waren zwei Tage daheim und sind dann nach Amerika geflogen - völlig irre. Da habe ich gelernt, dass eine Auszeit nicht gleich Auszeit ist. Auszeiten muss man sich bewusst machen, die können nicht einfach so nebenherlaufen.
Hat jeder Mensch, der die Bühne sucht, eine gewisse Form von Narzissmus in sich? Braucht man ein großes Ego und ein bisschen Selbstverliebtheit, wenn man ausstellt und präsentiert? Und wie funktioniert so ein Zwiespalt, wenn man eigentlich gar nicht so extrovertiert ist, wie es zum Beispiel bei dir der Fall ist?Ich würde das nicht unbedingt als Narzissmus bezeichnen. Es ist eher eine Art Ausdruck, der in einem größeren Rahmen stattfindet. Selbst wenn du dir etwas Schickes anziehst, ist das am Ende eine Darstellung deiner Persönlichkeit. Bei Bands und Sängern ist das nichts anderes. Wenn man das länger macht, gewinnt man sogar an Selbstsicherheit und muss sich nicht immer beweisen wollen. Eine gewisse Form der Unsicherheit bleibt immer. Funktioniert heute meine Stimme? Ist unsere Show gut? Mache ich das, was ich machte, gut? Haben die Leute Lust auf diese Songs? Selbst wenn du dich auf der Bühne verkleidest, bist du verletzlich, weil du immer bewertet wirst. Mittlerweile bin ich an einem Punkt angelangt, wo ich nur mehr das mache, was mir Spaß macht, denn egal was du machst, du kannst es eh nie jedem recht machen.
Man muss darauf achten, dass der Spaß nicht von der Angst überholt wird?
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Leute auf Fehler warten. Oft steht jemand in der ersten Reihe eines Konzerts, der dich richtig Scheiße findet und sich respektlos verhält. Er sucht so lange nach etwas, das ihm nicht passt, bis er es findet. Auch wenn ich den Job jetzt schon ein paar Jahre mache, so etwas ist immer schwierig. Ich war einmal bei einem Tanzturnier meiner Freundin und da sind ein paar Mädels aus dem Bewerb geflogen und haben geheult wie die Schlosshunde. Wie grausam! In dieser Situation ist man völlig machtlos. Sie waren so gut und es hat trotzdem nicht gereicht. Wenn man in die Öffentlichkeit geht, muss man da immer durchtauchen.
Passiert auf der Bühne eine Art Transformation des privaten Sushi zum Frontmann von Ghøstkid? Sind Studio und Livekonzert eine Eskapismus-Strategie vor dir selbst?
In gewisser Weise schon, aber auf der Bühne agierst du sowieso anders. Wenn ich öffentlich unterwegs bin, dann trete ich aus mir heraus und quatsche die Leute auch mal zu. Allein und privat bin ich eher unsicher und wenn ich überlastet bin, bin ich eigentlich auch gerne für mich. Auf der Bühne ist das ganz anders. Ich weiß, welchen Job ich zu machen habe und wie. Als Bühnenperson musst du gefestigt sein. Der Charakter auf der Bühne ist ein Teil von dir, aber er ist nicht direkt du.
Musik ist für viele Menschen in vielerlei Hinsicht therapeutisch. Verarbeitest du mit Musik Rückschläge und Themen ausreichend? Kannst du damit Dinge abschließen?
Am Ende des Tages verarbeite ich in den Songs fast ausschließlich private Situationen. Natürlich ist das alles an die Kunst gekoppelt, aber strenggenommen gibt es da kaum eine Trennung. Für mich ist die Musik ein Ventil, durch das ich mich ausdrücken und formulieren kann. Im Endeffekt hilft dir das auch, im privaten Rahmen mit Dingen klarzukommen.
Als Künstler musst du bei persönlichen Songs auch mit dem Feedback von außen leben. Wie du schon angemerkt hast – du wirst immer bewertet. Und Fans deuten Lieder auch so um, dass sie von deiner Grundidee entkoppelt sind. Kommst du damit gut klar?
Es geht am Ende gar nicht so großartig um die Texte bei der Musik. Wenn ein Song passt, er musikalisch und textlich funktioniert, dann kann er gar nicht mehr von dir entkoppelt werden. Die Leute verstehen die Grundintention immer, auch wenn sie ihn für sich beziehen. Es ist in erster Linie schon großartig, dass man durch Songs seine Emotionen vermitteln und teilen kann, um sich nicht so allein zu fühlen. Selbst wenn ein Song düster ist, ist er tröstlich. Das Schöne an Musik ist mitunter auch, dass sie so allumfassend ist.
Live in Wien
Im Zuge ihrer „Hollywood Suicide“-Tour kommen Ghøstkid am 15. Oktober für eine Show in den Wiener Viper Room. Mit im Gepäck haben Sushi und Co. noch die Bands Within Destruction und Setyoursails. Unter www.oeticket.com gibt es noch Karten für das Konzerthighlight.
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