Der scheidende Nationalratspräsident Wolfgang Sobotka (ÖVP) bekräftigt im großen Abschiedsinterview mit der „Krone“ die Ablehnung gegenüber FPÖ-Chef Herbert Kickl. Und er erklärt, warum er den Prellbock spielte und sich so viel Abneigung aus der Opposition zugezogen hat.
„Krone“: Herr Sobotka, warum sind Sie eigentlich gegangen. Sie wirken, als würden Sie noch gerne in der Politik bleiben?
Wolfgang Sobotka: Vor einem Jahr habe ich mir diese Überlegung gestellt. Es ist besser, selbst die Entscheidung über den Zeitpunkt zu treffen, als erst dann, wenn sich alle die Frage stellen: Wann ist endlich so weit, dass Wolfgang Sobotka abtritt?
Sie waren stets ein sehr wortgewaltiger Politiker, der oft Prellbock spielte. Warum haben Sie gerne die Dinge gemacht, für die sich viele, in der ÖVP zu schade waren?
Ich denke, jeder Regierungschef oder Landeshauptmann braucht in der Regierung oder in der Partei eine Person, die Dinge formuliert, die der Chef so nicht formulieren kann. Diese Rolle habe ich für Erwin Pröll in der NÖ-Landesregierung übernommen. Als seine rechte Hand habe ich auch unangenehme Dinge machen müssen. Das habe ich aber aus Überzeugung gemacht. Der Spitzenrepräsentant muss sich darauf verlassen können, dass das Team funktioniert und dass einer auch unangenehme Dinge angreift. Das funktioniert nur dann, wenn man überzeugt ist, dass es sich lohnt, sich für diese Person einzusetzen. Dieses Gefühl hatte ich bei Erwin Pröll, bei Sebastian Kurz und jetzt auch bei Karl Nehammer. Umgekehrt hatte ich bei Reinhold Mitterlehner nicht das Gefühl, dass er es mit der ÖVP gut gemeint hat.
Sie waren der Mann fürs Grobe?
Diese Bezeichnung würde ich nicht verwenden. Ich war für klare Worte, um Haltungen zu formulieren. Oder einmal deutlich Nein zu sagen. Auch die verbale Attacke zu führen, wenn es notwendig, ist gegen Unmöglichkeiten aufzutreten. Politik lebt von der Konfrontation und der unterschiedlichen Meinung. Dadurch entsteht ein Profil. Ohne Profil kann sich keine Partei dauerhaft halten.
Ist der Stil, wie Sie Politik gemacht haben, im Aussterben? Sind Sie ein Polit-Dinosaurier?
Mein Politik-Stil bringt eine gewisse Anspannung mit sich. Mit der Umzugehen ist nicht immer leicht. Ich tat mir deswegen leicht, weil ich mich nicht über Politik definiere. Zu Hause ziehe ich meinen Arbeitsrock aus und bin ein ganz anderer Mensch. Dadurch kann man mit den beruflichen Anforderungen umgehen. Ich fühle mich nicht persönlich gekränkt, wenn intensive Situationen auf mich zukommen.
Wenn Ihre Lust an der Konfrontation so groß ist, waren Sie dann überhaupt der Richtige für das Amt des Nationalratspräsidenten?
Mir ging es nie ums Streiten, sondern immer nur leidenschaftlich um die Sache. Einmal in einer Amtsperiode habe ich mich für eine emotionale Entgleisung entschuldigt. Die Rolle, die mir im U-Ausschuss zugeschrieben wurde, war ein Politikum. Ich habe immer nach der Empfehlung des Verfahrensrichters entschieden und nie gegen ihn. Ich habe mich immer sehr am Buchstaben des Gesetzes orientiert, deswegen habe ich vielleicht weniger durchgehen lassen. Der U-Ausschuss sollte eine Aufklärung in den Sachfragen bringen. Das war der U-Ausschuss aber nie. Der U-Ausschuss ist das schärfste Schwert der Opposition. Es wurde zum politischen Instrument. Das ist schade.
Der 68-jährige Niederösterreicher hat oft polarisiert, aber auch einiges bewegt. Er hat den großen Parlamentsumbau zu Ende geführt und damit mit einem goldenen Flügel für Schlagzeilen gesorgt. Seine Vorsitzführung in den U-Ausschüssen hat der Opposition nicht gefallen.
Dass Sie beim Vertrauens-Index immer an letzter Stelle waren, hat Sie nie gestört. Kann man da gut schlafen?
Sehr gut geht das. Wenn ich sehe, dass 35 bis 45 Prozent eine gute Meinung von mir haben, kann ich gut damit leben. Wenn man sich die aktuellen Wahlergebnisse anschaut, dann ist das ein schönes Ergebnis. Vielleicht ist das Glas bei mir nicht halbvoll, sondern nur ein gutes Drittel …. (lacht).
Die ÖVP war schon zwei Mal mit der freiheitlichen Partei in einer Koalition. In der letzten türkis-blauen Regierung spielten Sie auch keine unwesentliche Rolle. Was hat sich geändert, dass die FPÖ zum Feindbild der ÖVP wurde?
Die Partei wurde es, aber nicht die Wähler. Es gibt einen Unterschied zu dem, was die Wähler mit ihrer Stimme zum Ausdruck bringen wollen und was die Funktionäre als ihr Selbstverständnis sehen. Was hat sich verändert? Die Nicht-Abgrenzung zum extremsten rechten Rand. Wer die Identitären als NGO bezeichnet, ist nicht akzeptabel. Wer Europa als Gefahr sieht, ist nicht akzeptabel. In diesem Punkt hat sich die FPÖ seit Strache sehr verändert. Wer Pandemien verharmlost und mit Entwurmungsmittel versucht zu bekämpfen, der hat eine Basis verlassen. Das Ibiza-Video war eine Zäsur. Da gab es einen Wandel in der Funktionärsschicht.
Wenn Sie die Funktionärsschicht der FPÖ kritisieren, kann man dieser Partei dann den Posten als 1. Nationalratspräsidenten überlassen?
Es wird notwendig sein, dass wir die Usancen des Parlaments befolgen. Es obliegt der stimmenstärksten Partei, einen Vorschlag für den 1. Nationalratspräsidenten zu unterbreiten. Dann folgt eine geheime Abstimmung und man wird sehen, ob die Abgeordneten den FPÖ-Vorschlag akzeptieren können.
Sie hatten immer wieder Konflikte mit Doris Bures?
Wir hatten unsere Meinungsverschiedenheiten. Sie hat immer drauf gedrängt, Spielregeln einzuhalten, die für sie wichtig waren und das eine oder andere, was ich für richtig gehalten habe, nicht goutiert. Aber man muss mit Kritik umgehen können. Ich habe heute ein sehr gutes Verhältnis zu ihr.
Das klingt schon sehr großkoalitionär ….
Nein, wir intendieren nichts, wir sind dem Parlament verpflichtet. Sie macht in ihrem Bereich eine großartige Arbeit, aber auch Kollege Norbert Hofer von der FPÖ tut das. Das ist sehr vernünftig.
Wenn Sie zurückblicken, würden Sie zugeben, dass Sie Fehler gemacht haben?
Was ist ein Fehler? Dort, wo ich das Recht habe zu entscheiden, zu wenig versucht habe, alle immer an Bord zu halten und vielleicht noch eine Schleife zu drehen, dann kann man sagen ja. Das hätte ich tun sollen.
Der Umbau des Parlaments zu einer Art Demokratietempel. Hat etwas Museales. Ist das ist ihre große Fußnote im Geschichtsbuch?
Die Ausgestaltung des Hauses im Besucherzentrum. Das Haus war schon vorher ein Juwel. Die Restaurierung hat wunderbar funktioniert und dass wir die Preise eingehalten haben, ist auch ein Erfolg. Und dass einstimmige Beschlüsse gefasst wurden auch. Aber für mich war besonders die Demokratiewerkstatt wichtig. Alles barrierefrei. Und das alle Volksgruppen eine Heimstätte gefunden haben, das ist eine Fußnote. Und dass wir mit dem Kampf gegen Antisemitismus mit dem Simon-Wiesenthal-Preis so stark auftreten, das ist besonders wichtig. Ich habe mich bemüht, diese Stärkungen hervorzubringen. Und das Haus für alle zu öffnen.
Wie soll es in Österreich weitergehen? Dreierkoalition?
Jetzt ist der Bundespräsident am Wort. Usance ist es, dem Ersten den Auftrag zur Sondierung zu überantworten. Welche Formen sich ergeben, wird man sehen. Die Haltung des Bundesparteiobmannes zu Herrn Kickl ist klar. Es ist eine Ablehnung der Person und die teile ich zu 100 Prozent. Es geht um seine Haltung. Und als Innenminister hat er das BVT zerstört. Ein Mensch, der inhaltliche Dinge so beschreibt, wie es ihm passt, dem ist nicht zu vertrauen. Wie soll man mit so jemandem eine Regierung bilden?
Die ÖVP bringt sich durch ihre Haltung aber in eine Lage, in der sie nicht taktieren kann …. man ist der SPÖ ausgeliefert …
Der Kanzler hat es immer klar gesagt, dass er nur Kickl ausgeschlossen hat. Nicht die Partei per se. Gleiches gilt für Frau Gewessler bei den Grünen. Die ÖVP hat als Partei der Mitte schon mit vielen koaliert. Wir haben in Führungsrollen als auch in der zweiten Reihe mitgestaltet. Wir bedienen nicht von vornherein nur eine Schlagseite.
Hat die ÖVP ein Abo auf eine Regierungsbeteiligung?
Keine Partei geht in eine Wahl, um Opposition zu sein. Alle wollen regieren und etwas bewegen. Es ist grotesk, uns vorzuhalten, dass wir regieren wollen. Wir wollten und wollen immer gestalten.
Sie waren ein begeisterter „Kurzianer“ gegen Christian Kern …
Kern hat es nicht gekonnt. Er war in seinen Eitelkeiten gefangen und konnte Zahlen nicht akzeptieren.Wir bedienen nicht von vornherein nur eine Schlagseite.
Was unterscheidet Sebastian Kurz von Karl Nehammer?
Sie sind ganz unterschiedliche Typen. Was sie eint, ist der Wille, etwas zu gestalten. Nicht etwas sein wollen. Sich nur zu gerieren und Mitarbeiter nicht ordentlich behandeln, das kann ich nicht unterstützen.
Was machen Sie jetzt?
Ich lese viel. Ich habe aktuell ein Buch über Wokeness gelesen. Woher kommen gewisse Entwicklungen, das interessiert mich? Dann bin ich bei einem Thinktank der ÖVP. Ich schreibe meine Reden, aber ein aktuelles Projekt verfolge ich nicht.
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