Wiens berühmt-berüchtigter Bürgermeister Karl Lueger war ein „Pop-Phänomen“: Lueger trug entscheidend zur Demokratisierung bei und machte mit Polemik gegen Juden in großem Stil Politik. „Salonfähig“, wie oft kolportiert, machte er den Antisemitismus allerdings nicht.
Bürgermeister Karl Lueger (Amtszeit: 1897 bis 1910) war ein Antisemit. Er war ein Antisemit auf der Basis des Antisemitismus seiner Zeit. Sämtliche Erklärungsversuche, die es früher und heute immer wieder gab und gibt, wie: „Aber er hatte ja Freunde, die Juden waren“ oder: Er „wollte damit nur Wahlen gewinnen“, ändern daran nichts. Lueger hat mit Polemik gegen Juden in großem Stil Politik betrieben. Ob er den Antisemitismus politisch „salonfähig“ gemacht hat – wie oft geschrieben -, ist allerdings fraglich. Denn Antisemiten gab es in allen möglichen politischen und gesellschaftlichen Salons schon lange vor ihm, ebenso wie Antisemitismus in der Politik.
Bürgermeister Lueger war ein Pop-Star
Es gab aber auch eine andere Seite, und diese erklärt das damalige „Pop-Phänomen“ Karl Lueger: Er trug entscheidend zur Demokratisierung bei. Dreimal ließ Kaiser Franz Joseph auf Wunsch seines Ministerpräsidenten die Gemeinderatswahl wiederholen, weil er den Politiker nicht angeloben wollte. Jedes Mal holte Lueger eine noch deutlichere Mehrheit. Schließlich musste der Ministerpräsident nachgeben. Die städtische Autonomie hatte einen Sieg errungen, es war ein Sieg der Bürger über „die da oben“. Der neue Bürgermeister war einer der ersten „Selfmade Men“ der Politik, und das begeisterte die Menschen. Die Wiener Bürgermeister vor ihm waren Adelige, Unternehmer, Bildungsbürger gewesen, Lueger war der Sohn einer Trafikantin.
Karl Lueger unterstützte das allgemeine Wahlrecht. In Wien galt zwar noch das Prinzip, wer mehr Steuern zahlt, soll auch mehr Mitspracherecht haben, aber seine Partei trat im Reichsrat zum Unterschied von vielen Liberalen und ländlichen Konservativen vehement für das allgemeine und gleiche Wahlrecht ein, das deshalb 1907 auch eingeführt wurde.
„Der schöne Karl“ und die Frauen
Bürgermeister Lueger war einer der ersten, der Frauen politisch ansprach – und die waren begeistert, dass der „schöne Karl“ sie ernst nahm. Die „Lueger-Amazonen“, wie seine Anhängerinnen von seinen Gegnern verächtlich genannt wurden, waren seine größten Wahlhelferinnen, denn sie erinnerten ihre Ehemänner deutlich daran, wen sie zu wählen hatte. Für das Frauenwahlrecht einzutreten, traute sich Karl Lueger allerdings nicht, dafür war er zu konservativ – obwohl es seiner Partei geholfen hätte, wie sich bei den ersten Wahlen nach Einführung des Frauenwahlrechts 1918 herausstellen sollte.
Erfinder der „Preisdeckel-Politik“
Was aus Lueger den seinerzeitigen „Herrgott von Wien“ machte, wie ihn seine Anhänger nannten? Er sorgte dafür, dass wesentliche Bereiche kommunalisiert wurden und dass jene, die nicht auf die Butterseite des Lebens gefallen waren, nicht diversen privaten Monopolgesellschaften ausgeliefert waren: Elektrizität, Gas, öffentlicher Verkehr, Wasser, Bestattung. Das war „Preisdeckel-Politik“ anno 1900.
Karl Lueger kämpfte auch gegen die damals ausufernde Immobilienspekulation in Wien. Der Bürgermeister dachte weit über seine Amts- und sogar Lebenszeit hinaus und kaufte in weiser Voraussicht Grundstücke für die Stadt an. Auf diesen Grundstücken entstanden später die ersten Gemeindebauten des Erfolgsprogrammes „Rotes Wien“.
Er trieb die Integration voran
Karl Lueger hat unleugbar gegen Juden und auch immer gegen die ungarische „Reichshälfte“ polemisiert, aber er hat die Integration von Zuwanderern aus anderen Teilen der Monarchie vorangetrieben, diese in wichtige Positionen der Wiener Stadtverwaltung gehievt und immer öffentlich verteidigt: „Lasst mir meine Böhm in Ruh’“, war eines seiner geflügelten Worte. Wien war für ihn eine in Sprache und Kultur „deutsche“ Stadt – weshalb er eine knallharte Assimilation der Zuwanderer in die hiesige Mehrheitsgesellschaft einforderte -, aber er war ein österreichischer Patriot, der immer gegen jene wetterte, die laut von einem Anschluss der deutschsprachigen Reichsteile des Habsburgischen Vielvölkerstaates an das deutsche Kaiserreich, den neuen deutschen Nationalstaat, schwärmten.
Geburtsstunde des „Parteibuchsystems“
Über ein besonders lebendiges Erbe Karl Luegers wird auffallend geschwiegen: Das „Parteibuchsystem“, dessen Erfinder er ist und welches er brutal umsetzte. Denn der viel gepriesene „Herrgott von Wien“ hat in „seiner“ Stadt ein Patronage- und Klientelsystem aufgezogen und etabliert, welches es in dieser exzessiven Form in keiner anderen europäischen Hauptstadt gab und das sich alle Parteien bis heute von ihm abschauen: Bist du für mich und hast das richtige Parteibuch, dann machst du Karriere. Wenn nicht, Pech gehabt.
Wien wird Lueger nie loswerden. Denn Lueger ist sowohl in seinen Erfolgen als auch in seinen Abgründen untrennbar mit der Geschichte Wiens verbunden.
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