(Bild: KMM)

Problem „Wasserkopf“

Warum die Stadt Wien ein Bundesland werden musste

Weil im Osten Österreichs einst zu viele Menschen lebten, haben wir heute neun Bundesländer. Im Jahr 1920 wurde Wien ein eigenes Bundesland. Das war möglich, weil die Länder nach dem Ersten Weltkrieg die Trennung Wiens von Niederösterreich beschlossen.

Kurz gefasst kann man sagen: Weil im Osten unserer Republik einst zu viele Menschen lebten, haben wir heute neun Bundesländer. Warum? Weil aufgrund der neu gezogenen Grenzen Österreichs nach dem Ersten Weltkrieg 1918 innerhalb des jungen – nun sehr kleinen – Nationalstaates Deutschösterreich ein massives demografisches Ungleichgewicht herrschte.

Zu Beginn der Ersten Republik lebte mehr als die Hälfte der Bevölkerung des heutigen Österreichs in Niederösterreich, das damals auch Wien umfasste. Wien war zwar immer die Reichshaupt- und Residenzstadt der Habsburgermonarchie gewesen, war aber nie als eigenes Land definiert. Zwar hatte es seit 1848 einen Gemeinderat, aber keine eigene Landesregierung.

Wien musste aus Niederösterreich herausgelöst werden

Dieser „Wasserkopf“, den Niederösterreich und Wien gemeinsam bildeten, war in der k. u. k. Monarchie kein Problem gewesen, denn gemessen an der Zahl seiner Einwohner rangierte Niederösterreich immer noch hinter den Ländern Böhmen, Mähren und Galizien. In der neuen Republik war dieser demografische Überhang, der sich im „geschrumpften“ Österreich nun besonders deutlich zeigte, jedoch politisch für die anderen Bundesländer nicht mehr tragbar.

Die Teilung von Wien und Niederösterreich stellte deshalb auch eine der Grundforderungen der anderen Bundesländer bei den Beratungen über die neue Verfassung dar. Am 10. November 1920 wurde diese Herauslösung Wiens aus Niederösterreich als eigenes Bundesland beschlossen. Dieser Tag gilt als Gründungsdatum des Landes Wien.

Wien war 1910 die sechstgrößte Stadt der Welt 

Dieses neue Wien war aber ein gänzlich anderes als das alte Wien, die ehemalige Residenzstadt des Habsburgerreiches. Die einstige Kaiserstadt war im Jahr 1910 die sechstgrößte Stadt der Welt gewesen und das Herz eines europäischen Großreichs mit mehr als fünfzig Millionen Einwohnern. Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie wurde aus der rasant wachsenden Metropole, die das wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum eines großen mitteleuropäischen Reiches gewesen war, die Hauptstadt eines von wirtschaftlicher Stagnation und Bevölkerungsrückgang gezeichneten Kleinstaates.

Wien wurde in der Republik kleiner und ärmer, dafür aber egalitärer

Zwischen 1914 und 1920 ging die Einwohnerzahl Wiens von 2,2 Millionen auf 1,84 Millionen zurück. Wien wurde kleiner und ärmer. Dafür wurde die Stadt aber nun aufgrund der politischen Änderungen egalitärer.

Vor 100 Jahren begann also das neueste Kapitel in der jahrhundertealten Geschichte dieser Stadt, die im Jahr 1156 mit dem Privilegium minus, dem „Kleinen Freiheitsbrief“ zum Sitz des Herzogs von Ostarrichi wurde – jenem damals unabhängig gewordenem Herzogtum, aus dem das heutige Österreich hervorging.

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