2869 Prozesse in Wien

Parkplatz-Abzocker lähmen Bezirksgerichte

Wien
09.10.2024 19:00

Die Parkplatz-Abzocke schwappt als Welle auf die Wiener Gerichte über. Oft sind der Justiz dabei die Hände gebunden, doch es gibt Hoffnung auf ein Ende der Praxis.

Mit Besitzstörungsklagen gegen Autofahrer kennt sich Cornelius Riedl aus, denn der Favoritner Bezirksrichter kommt zu nicht mehr viel sonst: Um die 300 Prozesse musste er im Dunstkreis der Parkplatz-Abzocker 2023 führen, verglichen mit rund 15 „normalen“ Besitzstörungsklagen, etwa weil Hausherren Schlösser von Mietern austauschen, Müll beim Nachbarn abgelegt wird oder die Roadrunner-Szene – Zitat Riedl: „Fast and Furious Favoriten“ – Flächen besetzt.

Urteile zeigen zum Teil schon Wirkung
In ganz Wien wurden letztes Jahr 2869 Prozesse wegen Besitzstörung geführt, „sehr stark fokussiert auf alles, was mit Kfz zu tun hat“, bestätigt Peter Weiß, Vizepräsident am Landesgericht für Zivilrechtssachen. Auch die Richter wissen, dass Besitzstörungsklagen zum Geschäft geworden sind. Die ärgsten „Leger“ der Firmen im Hintergrund habe man durch entsprechende Urteile inzwischen stoppen können, betont Weiß. Firmen, die Klagsdrohungen verschickten, können das etwa nicht mehr direkt tun. Meist behelfen sie sich aber mit Anwälten, die das für sie nun erledigen.

Es gelte jedoch weiterhin der Grundsatz der Eigentumsfreiheit, betont Weiß. Jeder könne mit einem Grundstück im Rahmen der Rechtsordnung tun, was er wolle – auch wenn er es nur von Autos leer halten und darauf so unauffällig wie möglich hinweisen will. Vor Gericht gelte aber: „Vorgänge, die kein vernünftiger Mensch als Nachteil empfinden würde“, können auch keine Besitzstörung sein. Weiß nennt als Beispiel etwa das sofortige Wenden, nachdem man eine „Privatgrundstück“-Tafel entdeckt hat.

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Die Besitzstörungsklage ist in Wahrheit für etwas vollkommen anderes gedacht, nämlich den raschen Schutz des Hab und Guts. Inzwischen sind wir ständig mit Parkplätzen beschäftigt.

(Bild: Lukas Zimmer)

Peter Weiß, Vizepräsident des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien

„Es kommt immer auf den Einzelfall an“
Wer sich dem Geschäftsmodell der Parkplatz-Abzocke verschrieben hat, lässt jedenfalls nicht so schnell locker. „Die Kläger gehen sehr oft in die zweite Instanz“, berichtet Weiß, der viele dieser Fälle dann am Landesgericht für Zivilrechtssachen verhandelt. Bekommen dort öfter die Kläger oder die Beklagten Recht? „Es hält sich die Waage“, so Weiß. Wie die Chancen für Betroffene stünden, könne man pauschal schlecht sagen: „Es kommt immer auf den Einzelfall an.“

Höchstrichter müssen zu Abzocke schweigen
Ein Grund für die Misere: Besitzstörung ist rechtlich ein Ausnahmefall. Es gibt nur zwei Instanzen, der Oberste Gerichtshof hat keine Chance, dazu allgemeine Rechtssätze zu formulieren. Naheliegend wäre etwa das Schikaneverbot, das sich aus § 1295 ABGB ableitet und den Missbrauch von rechtlichen Befugnissen verbietet. Auch der ÖAMTC hat in Musterprozessen schon versucht, das Geschäftsmodell der Parkplatz-Abzocke so zu knacken, allerdings ohne Erfolg bei den Richtern. „Wir wundern uns auch“, sagt ÖAMTC-Jurist Nikolaus Authried.

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Autofahrer sollten auf Schilder achten. Das Schild, mit dem eine Fläche als Privatgrund ausgewiesen wird, muss ein durchschnittlicher Autofahrer aber auch entdecken und lesen können.

(Bild: Lukas Zimmer)

Cornelius Riedl, Bezirksrichter in Wien-Favoriten

Trotzdem ist Authried zuversichtlich: Man decke die Parkplatz-Abzocker derzeit, wo immer man könne, mit Musterklagen ein und sammle so einen – in ähnlichen Prozessen wiederverwertbaren – Teilerfolg nach dem anderen. „Wir vermuten, dass diese Geschäftsmodelle deshalb ohnehin bald auslaufen.“ Ohnehin beobachtet er, dass sich „die Leute immer weniger einschüchtern lassen“, wenn per Brief aktuell meist rund 400 Euro für Besitzstörung durch Autofahrer verlangt werden.

Authried ist nicht allein mit der Empfehlung, nicht zu zahlen. Als ersten Schritt, raten Juristen, solle man genau kontrollieren, ob die Angaben auf dem Schreiben überhaupt stimmen. Parkplatz-Abzocker machen da zwar selten Fehler, aber doch. Eine zweite Chance, der Zahlung zu entgehen, ist die Zeit, die seit der Besitzstörung vergangen ist. Liegt der Fall deutlich über einen Monat zurück, hat ein Kläger oft schlechte Karten.

73 Prozent mehr Besitzstörungsklagen

73 Prozent mehr Besitzstörungsklagen als noch vor zehn Jahren landen inzwischen allein bei den Wiener Bezirksgerichten, fast nur wegen der Parkplatz-Abzocker. Das ist ein Plus von über 1200 Prozessen im Jahr.

Wie man Abzockern die Lust auf Prozesse nimmt
Wenn das, was in der Klagsdrohung steht, tatsächlich so passiert ist, muss man sich aber auch nicht fügen. Statt der geforderten Summen sehen Juristen als Aufwandsentschädigung 20 Euro ausreichend, wenn das Schreiben von einer Firma kommt, und 100 Euro bei einem Anwaltsschreiben. Das Geld solle man überweisen und dazu per Erklärung garantieren, dass man im Wiederholungsfall 250 Euro zahlen werde und darüber hinaus einen Vergleich vor Gericht anbieten. Das reicht oft, damit Parkplatz-Abzocker die Lust auf einen Prozess verlieren.

Will man sich besser absichern, so Authrieds Tipp, solle man einen „vollstreckbaren Unterlassungsvergleich“ – dazu braucht es aber einen Juristen – anbieten oder, etwa beim Amtstag des Bezirksgerichts, noch vor der Klage einen „prätorischen Vergleich“ beantragen. Die Kosten dafür sollten deutlich unter 400 Euro liegen.

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