Lange hatte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron weitgehend allein entschieden – was ihm Spitznamen wie „Jupiter“ oder „Hyperpräsident“ einbrachte. Seit den Wahlschlappen seines Lagers rückt er aber immer weiter in den Hintergrund.
Der konservative Premierminister Michel Barnier, der einer Minderheitsregierung vorsteht, geht deutlich auf Distanz und stiehlt ihm die Schau.
Macron „nur“ noch Moderator
Bei der jüngsten Kabinettssitzung, in der der Budgetentwurf der neuen Regierung vorgestellt wurde, beschränkte sich Macron auf die ungewohnte Rolle eines Moderators, der lediglich den Anderen das Wort erteilt. Rund um den Tisch saßen zahlreiche Ministerinnen und Minister, die er lieber nicht ernannt hätte. „Das ist nicht meine Regierung“, betonte Macron im kleinen Kreis. Für manche der Regierungsmitglieder „schäme“ er sich, sagt er mit Blick auf die besonders konservativen unter ihnen.
„Regierung regiert, Präsident präsidiert“
Die Sitzung dürfte auch deswegen unerfreulich für den Präsidenten gewesen sein, weil sie den Abschied von seiner bisherigen Politik markierte: Sieben Jahre lang hatte Macron neue Unternehmensteuern vermieden, um Frankreich als Wirtschaftsstandort attraktiv zu machen. Doch Barnier zog angesichts der maroden Staatsfinanzen die Notbremse: Große Unternehmen und wohlhabende Privathaushalte müssen künftig eine Sondersteuer zahlen.
„Die Regierung regiert, der Präsident präsidiert“, hatte Barnier gleich nach seinem Amtsantritt betont. Tatsächlich ist die starke Position, die Macron und seine Vorgänger bisher eingenommen hatten, so nicht in der Verfassung festgeschrieben, sondern hat sich im Laufe der Jahrzehnte eingespielt.
Macrons Reise nach Berlin am Tag nach Barniers Regierungserklärung vom 1. Oktober wirkte wie eine willkommene Gelegenheit, der politischen Debatte im eigenen Land den Rücken zu kehren. Möglicherweise tat es Macron auch gut, sich mit dem deutschen Bundeskanzler Scholz über die Erfahrung auszutauschen, Kritik aus den eigenen Reihen zu bekommen.
Abgeordnete wechseln Lager
In den vergangenen Wochen hatten bereits vier Abgeordnete der Präsidentenpartei das Lager gewechselt. Viele in seiner Partei nehmen es Macron noch immer übel, dass er Neuwahlen ausgerufen hatte, die zum Verlust ihrer relativen Mehrheit geführt hatten.
„Das Vertrauen in den Präsidenten hat enorm gelitten“, sagt einer der Abgeordneten des Macron-Lagers, das sich kürzlich zum wiederholten Mal umbenannt hat. „Wir wissen nicht mal mehr, wie wir heißen. Das sagt viel über unser Identitätsproblem aus“, sagte auch kürzlich Ex-Ministerin Aurore Bergé.
Macron stellt „europäische Ebene“ voran
In Berlin äußerte Macron sich erstmals öffentlich dazu, welche Rolle er künftig spielen will. „Künftig hat für mich die europäische Ebene oberste Priorität“, sagte er. Dort gebe es noch viele Möglichkeiten, „Wachstum anzukurbeln und Potenzial auszuschöpfen“. Dies klang, als wolle er vor allem sich selber aufmuntern.
Tatsächlich gilt die Außen- und Verteidigungspolitik in Frankreich als „domaine réservé“ – also eigener Zuständigkeitsbereich – des Präsidenten. Macron hatte schnell klar gemacht, dass er weiterhin Frankreich bei den EU-Gipfeln vertreten werde – obwohl es theoretisch auch möglich gewesen wäre, dies Barnier zu überlassen.
Macron und Barnier machen ihre Abgrenzung voneinander auch durch symbolische Akte deutlich. So schlug Macron den bisherigen Außenminister Stéphane Séjourné als EU-Kommissar vor, ohne dies mit Barnier besprochen zu haben.
„Neues Gleichgewicht“
Barnier entschied seinerseits, die Pressekonferenz nach dem Ministerrat vom Elysée in das Amt des Premierministers zu verlegen – ein Bruch mit einer jahrzehntelangen Tradition. „Dies veranschaulicht das neue Gleichgewicht der Institutionen“, ließ er erklären.
Dass Macron angesichts der unbefriedigenden Lage in seinem Land nun verstärkt seine EU-Leidenschaft ausleben will, scheint verständlich. Allerdings hat der französische Einfluss in Brüssel abgenommen. Das liegt vor allem an der desolaten Budgetlage, weswegen die EU erneut ein Defizitverfahren gegen Frankreich angestrengt hat.
Und es hat auch mit deutsch-französischen Unstimmigkeiten zu tun – mit Blick auf Strafzölle oder Freihandelsabkommen. Diese Differenzen bremsen deutsch-französische Initiativen aus.
„Macron leidet“
„Macron leidet“, resümierte kürzlich jemand aus seinem Umfeld. „Er hat sich dazu entschlossen, sich zurückzuziehen – aber es kostet ihn Überwindung.“
Dass Macron sich mit einer repräsentativen Rolle zufriedengibt, wie sie der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einnimmt, gilt zwar als vorerst unwahrscheinlich. Aber mit Steinmeier konnte Macron immer schon besser als mit Scholz. Möglicherweise wird der Bundespräsident also am Ende doch noch ein Rollenmodell für seinen französischen Amtskollegen.
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