Reger Briefwechsel
Abbé Pierre: Vatikan wusste schon 1959 von Vorwurf
Der Vatikan war nach Hinweisen aus französischen Archiven bereits viel früher als bisher bekannt über das problematische Verhalten des katholischen Geistlichen Abbé Pierre informiert, dem vor Kurzem zwei Dutzend Frauen sexuelle Gewalt vorgeworfen haben. 1959 hatte der Vatikan den Geistlichen angewiesen, eine geplante Reise nach Kanada abzusagen.
Die französische Bischofskonferenz hatte eine vorzeitige Öffnung der kirchlichen Archive angekündigt. Journalisten entdeckten zahlreiche Dokumente, die auf einen regen Briefwechsel zwischen französischen Bischöfen hinweisen, in dem vor dem problematischen Verhalten des Geistlichen gewarnt wurde – allerdings ohne das Fehlverhalten zu benennen.
„Lebenslange Schäden“
In einem Schreiben von 1964, das vermutlich der Generalsekretär der Bischofskonferenz verfasst hat, ist davon die Rede, dass Abbé Pierre „jede Kontrolle über sich verloren“ habe. „Junge Mädchen haben lebenslange Schäden davongetragen.“
Gegen Abbé Pierre waren im vergangenen Sommer Vorfälle sexueller Gewalt bekannt geworden, die sich zwischen den 1950er und den 2000er Jahren ereignet haben sollen. Mehrere der betroffenen Frauen seien zum Zeitpunkt der Geschehnisse minderjährig gewesen.
Wir müssen davon ausgehen, dass all dies bekannt werden kann und die Öffentlichkeit sich dann wundern wird, dass die katholische Hierarchie immer Vertrauen in Abbé Pierre hatte.
Text in einem Schreiben von 1958
Stiftung will Namen ändern
Die Stiftung Abbé Pierre sicherte den Betroffenen ihre „völlige Unterstützung“ zu und kündigte an, nicht mehr den Namen ihres Gründers tragen zu wollen. Das Hilfswerk Emmaus, das heute in mehr als 40 Ländern aktiv ist, schloss einen Gedenkort für den Priester im französischen Esteville.
Frankreich nach Vorwürfen geschockt
Die Vorwürfe hatten in Frankreich eine Schockwelle ausgelöst. Abbé Pierre, der 2007 im Alter von 94 Jahren gestorben war, hatte über Jahrzehnte zu den beliebtesten Persönlichkeiten in Frankreich gehört.
Der 1912 in Lyon geborene Henri Grouès war mit 20 Jahren dem Kapuzinerorden beigetreten und später im Zweiten Weltkrieg in der französischen Widerstandsbewegung aktiv. Aus dieser Zeit stammt sein Name „Abbé Pierre“. 1949 gründete er die Organisation Emmaus, die sich um Arme und Obdachlose kümmerte.
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