„Krone“-Kolumnist Robert Schneider nimmt sich diesmal einer besonders schaurigen historischen Anekdote an: nämlich der Scheinhinrichtung des großen russischen Schriftstellers Fjodor Michailowitsch Dostojewski.
Gerade einmal 28 Jahre war er alt, als er mitten in der Nacht von der russischen Geheimpolizei verhaftet und in die berüchtigte Peter-Pauls-Festung in St. Petersburg gebracht wurde. Am Ende der siebenmonatigen Untersuchungshaft kam es zum Prozess, wo das Militärgericht den „Ingenieur Leutnant a. D. Dostojewski (...) wegen eines religions- und regierungsfeindlichen Briefes (...)“ zum Tod durch Erschießen verurteilte. Was Dostojewski jedoch nicht wusste, war, dass der Zar zu keiner Zeit beabsichtigte, die Todesstrafe zu vollziehen. Er wollte die Begnadigung lediglich ungemein großzügig erscheinen lassen.
Dostojewski und 14 weitere „Staatsverbrecher“ wurden schließlich am 22. Dezember 1849 bei tiefen Minusgraden auf den Paradeplatz der Semjonowski-Garde in St. Petersburg geführt. Noch am selben Tag schrieb er an seinen Bruder Michail: „Dort wurde uns das Todesurteil verlesen, man gab uns das Kreuz zum Kuss, über unseren Häuptern wurde das Schwert gebrochen und wir wurden fürs Begräbnis eingekleidet (weiße Hemden). Dann stellte man uns vor die Pfähle, wo die Exekution stattfinden sollte. Ich war der Sechste in der Reihe (...) und hatte nicht mehr eine Minute zu leben (...).“
Die Garde legte die Gewehre an, der Offizier kostete die unendlich lange Pause genüsslich aus. Dann ertönte der Ruf der Begnadigung. Begnadigung hieß jedoch, Umwandlung der Todesstrafe in eine zehnjährige Haft, die Dostojewski am 23. Januar 1850 im 3000 Kilometer entfernten Sibirien antrat. Während dieser zehn Jahre trug er fortwährend Fußketten. In der Omsker Katorga, wo er inhaftiert war, schrieb er einen Satz, der zu seinen geheimnisvollsten Sätzen überhaupt zählt: „Auch im Gefängnis kann man zu unermesslicher Freiheit gelangen.“
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